Es gibt sie, die glückliche Touristin. Sie steht an einem Hotspot, an dem sich Geografie, Geschichte, Life & Style ein Rendezvous geben, seit Jahrhunderten, hat sich allgemein herumgesprochen. Sie ist hingerissen. Inmitten von Busladungen aufmerksamer Asiat_innen, betuchter Damen aus den Emiraten und ihren Kinderwagen und Leibwächtern, den Tourismusbrigaden aus sämtlichen Kontinenten steht sie und staunt. Das ist so schön!
Obwohl sie aus einem wohlhabenden Land kommt, mitten im gepflegten europäischen Museum, und sie weder an Armut noch an schweren Gebrechen leidet, war sie überall noch nicht gewesen. Der Beruf, die Kinder, das Haus, die Zeit ist vergangen, sie wundert sich selber darüber.
Sie ist überall nicht gewesen, wo alle schon waren. Wovon sie gar nicht mehr reden, so selbstredend ist das. Sie hat diesen oder jenen schon millionenfach abgebildeten Ort, diesen optisch und sentimental abgelutschten Ort, längst ein Emblem, ein Logo, eingestanzt in die weltbürgerliche DNA, niemals betreten. Kenner_innen ziehen
diesen Ort schon gar nicht mehr in Betracht, müde winken sie ab: Da kann man ja gar nicht mehr hin. Damals, ja damals, da war das noch anders, als Byzanz noch Byzanz war, damals, als sie mit neugeborenen Augen vor der Antike standen, die friedlich vor sich hin zerbröselte, und es gehörte alles ihnen. Denn sie waren jung, und die Welt war jung, so kam es ihnen jedenfalls vor, auch wenn sie vor ihren Augen den Geist aufgab. Sie hatte wenigstens noch Geist!
Das war vor all den Liftings, bevor man immer professioneller darin wurde, die Touristenströme zu kanalisieren, aus Gotteshäusern Horror-Museen mit unverständlichem Inventar zu machen. Es war, bevor Venedig venezianerfrei wurde und Wien zum Fake. Es war noch nicht alles Attrappe. Warum nicht gleich in China ein Fake-Wien buchen, es wäre sicher authentischer als das, was den bedauernswerten Opfern des Tourismus kulinarisch, optisch, akustisch in sämtlich verfügbare Öffnungen und Aufmerksamkeitskanäle gestopft wird.
All das hat seine Unschuld verloren, ist käuflich geworden, profaniert, von Massenmenschenmassen zertrampelt, hat keinen Charme mehr. Die Auskennerinnen schütteln sich vor Entsetzen beim bloßen Gedanken an den Eiffelturm. Die Touristen und die Terroristen. Gott sei Dank haben sie das ja längst intus. Und sie können ausweichen, großräumig. Südafrika zum Beispiel, Afrika light, immer noch gut. Nordkap geht auch noch.
Die glückliche Touristin gondelt in City-Bussen einmal rundherum und einmal quer durch, sie besteigt Schifflein, die eine Stadt umschiffen, von wo aus sie Türme sieht und Brücken und viele, viele wie sie, die sich vor Brücken und Türmen posten. Es stört sie nicht, manchmal klagt sie über die Füße, nur Stehplätze, aber das nimmt sie in Kauf und sie kauft eine Eintrittskarte, um eine Stadt zu betreten, die zu einem Tourismuspark mutiert ist, den die Einheimischen längst desertiert haben. Weil es so viele wie sie gibt.
Auf der Karlsbrücke, vor der sie gewarnt wurde, vielleicht würde sie zermalmt von den terroristischen Tourismustruppen, steht sie ergriffen. So etwas Schönes und Perfektes hat sie noch nie gesehen, so ein Gemälde mit Fluss und Türmen, und alles am genau richtigen Platz. Sie nimmt ihr Gelati zu sich in der Gelateria, die längst Herrn Xi Ping gehört, inmitten von russischen, arabischen, japanischen Wortfetzen. Ein paar bunte Fetzen wehen auf einer Leine wie in sehr bunten Filmen mit Lambretta und Sophia Loren, sie knipst sie. So italienisch! Ihre Begleiter murmeln was, vielleicht vom Tourismusverein drapiert, wegen Lokalkolorit. So was überhört sie. Sie lässt sich ihre Freude nicht nehmen. Sie hat sie sich verdient.
Sie vergleicht nicht Barcelona mit London mit Berlin. Ihr Paris ist nicht von Milliarden Blicken abgenutzt, das Chanson, das einer klimpert unter einer Brücke, die in unzähligen Filmen mitspielte, ist nicht abgewetzt.
Alles leuchtet, auch der größte Kram, für sie, ihre Augen leuchten.