Heute loben wir den einfachen, gemütlichen Stadtplatz. Eine Schneise im Häuserdickicht, ein Raum zum Luftholen, eine willkommene Lichtung: mehr soll ein Stadtplatz gar nicht sein. Ein paar Bäume, ein paar Grünflächen, ein paar Ruhebänke, diese Grundausstattung genügt. Ein Platz soll ja dazu dienen, dem städtischen Gewimmel zu entfliehen und die aufgezwungene Hektik abklingen zu lassen. Je klarer der Grundriss, umso besser. Je rudimentärer das Dekor, umso gründlicher die Entspannung.
Genau dies scheint die Escher Gemeindeführung gar nicht zu begreifen. Der „neue“ Platz vor dem Rathaus zum Beispiel ist nichts als eine seelenlose Steinplattenwüste, die platzgewordene Leere. Es ist ein hässliches Viereck, das man am besten im Laufschritt überquert. Aber in den offiziellen Dokumenten der Gemeindeführung heißt es, dieser Platz habe eine „mineralische Gestaltung“. Klingt teuer und gut. Und sieht grausam aus.
Nun sind die Escher Erleuchteten dabei, sich ein zweites Mal am Brillplatz zu vergreifen. Nach dem Fiasko mit André Heller, der den Brillplatz in ein horrendes Kitschgehege verwandeln wollte, einen Freiluftsalon für seine spätpubertären Phantasmen, soll demnächst eine Variante eingeweiht werden, die mit verwandtem Verbalbrimborium protzen möchte. Es sieht ganz so aus, als solle hier nicht ein Platz gestaltet, sondern ein Exempel statuiert werden. Statt den Escher Bürgern zu sagen: Hier ist eure freie Domäne, hier könnt ihr möglichst ungehemmt und unbelastet verkehren, gibt man ihnen zu verstehen: Achtung, hier wird euch eine Botschaft übermittelt, wo ihr auch geht oder steht in diesem mythenumrankten Bereich, ihr werdet bombardiert mit bedeutungsschweren Metaphern, euch werden gärtnerische und philosophische Symbole aufgehalst, bis ihr völlig erschöpft seid vor lauter Ehrfurcht und Demut.
Dieser Platz soll beileibe nicht einfach ein Platz sein, sondern ein „Identität stiftender Lebens- und Kommunikationsraum“, wie im Pressedossier zum Projekt des Landschaftsarchitekten Kamel Louafi steht. Dieses anmaßende Wortgeklingel will gar nicht mehr aufhören. „Das konzeptionelle Programm des Platzes war zu definieren in Form von Nutzungen, Themen, Angeboten oder Aktivitäten.“ Bürger, sei gewarnt! Du betrittst hier eine Konzeption, keinen Platz. Es geht also nicht, hier einfach nur rumzulungern und die Sonne zu genießen. Lässt es dein Aufenthalt auf dem Brillplatz an konzeptioneller Tiefe fehlen, sollst du dich lieber in eine der vielen Escher Straßen mit konzeptionsfreien Schlaglöchern verkrümeln.
„Die Kunst der Formhecken gibt über die Qualität diesem Ort eine hohe Bedeutung.“ Dazu fällt uns eigentlich nur ein, dass dieses hochtrabende Geschwafel überhaupt nicht zur Mentalität der Escher passt. Hier läuft der Diskurs vun der Long op d’Zong, er kommt jedenfalls nicht auf metaphysischen Stelzen daher. Was eine „Formhecke“ sein soll, zudem noch eine künstlerisch gestaltete, brauchen wir nicht lange zu erörtern. Es handelt sich um eine Hecke, die von einem Künstler gestutzt wird, also einem heckenaffinen Stutzartisten. Wenn der Platz einmal fertig ist, müssen die Ersatzkünstler aus der städtischen Gärtnerei antreten, um ständig die Kunst zu retten. Wir beneiden sie nicht. Sie werden immer und immer wieder an Herrn Louafis Konzept herumschnippeln müssen, damit die Natur nicht Natur bleibt, sondern ein rein ornamentales Element. Vielleicht springt bei dieser Operation ja sogar ein neuer Gemeindeposten heraus. Ein kommunaler Formheckengestaltungsinspekteur, eine Art konzeptionsbewanderter Brillplatzhirsch, drängt sich geradezu auf.
Wer sich auf diesen Platz wagt, der wird sofort erhöht und überhöht. Denn er steht subito inmitten der „Installation Fünf Kontinente“. Achtung, bedeutungsschwangerer Edelfaktor! Auch diese Installation ist ein „Kunst-Konzept“ vom Allerfeinsten: „Es ist zugleich Ausdruck der Vielfalt, erzeugt Dynamik, erweckt Neugier und strukturiert in Ergänzung der umlaufenden Hecken die gesamte Fläche bis zur Bebauungskante.“ Danke, Doktor, alles klar. In Esch begegnen sich die fünf Kontinente. So soll es sein in einer künftigen Universitätsstadt. „Im Zentrum befinden sich fünf Bronzeskulpturen, die die Begegnung der Kontinente darstellen.“ Naja, diese Skulpturen, die vor kurzem vorgestellt wurden, gleichen eher überdimensionierten Kalbslebern aus Kunststoff. Aber vielleicht kann man zur Zeit von den fünf Kontinenten auch nicht viel Besseres berichten.
Das Schönste am neuen Brillplatz werden die „Wasserfenster“ sein, dem Architekten zufolge „fließendes Wasser unter begehbarem Glas“. Da diese Fenster nachts erleuchtet sind, verbinden sie die Stadt Esch schnurstracks mit dem Weltraum. Anhand dieser Fenster können sogar Außerirdische die Minettemetropole orten, wenn sie mir ihren UFOs vorbeidüsen. Wäre das keine fortschrittliche Idee für das ramponierte Escher Straßennetz? Verglaste und hell leuchtende Schlaglöcher noch und noch? Damit das nächtliche Esch von oben ausschaut wie ein zur Erde gestürzter Sternenhimmel?