Heute loben wir die weltbewegenden Ereignisse. In England machte ein Briefträger Schlagzeilen, weil er auf seinem täglichen Rundgang mit einem unerklärlichen Phänomen konfrontiert wurde. Ein Fasan hatte den ahnungslosen Postboten auserkoren, um ihn immer wieder mit ausgeprägter Kontaktfreudigkeit zu überraschen. Regelmäßig wurde der Mann vom Fasan angesprungen, besser: angeflattert. Oft machte sich das übermütige Tier über eine Strecke von ein paar hundert Metern am Vertreter des britischen Postwesens zu schaffen.
Dass Briefträger systematisch von Hunden angefallen und leider auch wüst gebissen werden, ist eine Lappalie. Da Tiere intelligent sind, jedenfalls weit intelligenter als der Homo sapiens, könnte es sich bei diesen hündischen Feindseligkeiten um eine subtile Form des Protests gegen den miesen Kundenservice der Post handeln. Natürlich sind die Briefträger in diesem Fall nur die bedauernswerten Sündenböcke, die keine Schuld tragen an den wirren Entscheidungen der postalischen Chefetagen. Der Beruf des Briefträgers ist ohnehin deprimierend genug, die armen Menschen müssen sich unter Umständen – wie letzte Woche – durch gewaltige Schneemassen kämpfen, um eine Form der Kommunikation zu betreiben, die sich längst per Mausklick im schneefreien Kämmerlein schneller und effizienter erledigen lässt.
Aber ein Fasan? Wie kommt dieses gefiederte Wesen dazu, die Streitlust der Hunde nachzuahmen? Den Fasan kennen wir doch eher als friedliches Geschöpf, Schlemmer und Feinschmecker sind voll des Lobes über die vollends gelassene Ausstrahlung eines Fasans auf dem prachtvoll gedeckten Festmahltisch. Genau diese geeichten Fasanexperten regten sich sofort maßlos auf über das ungewöhnliche Benehmen des briefträgersüchtigen Tieres: Dieser Unhold gehöre abgeknallt, forderten sie lautstark, der dreiste Vogel sei durch und durch geistesgestört, was immerhin schon ein fortschrittliches Urteil ist, weil Tieren in religiös geprägten Ländern in der Regel überhaupt kein Geist zugestanden wird.
Hier sind wir nun auf einer typischen Konfliktebene angelangt. Es geht um die Frage der Prioritäten. Was ist wichtiger? Die reibungslose Briefzustellung oder die Ausdrucksfreiheit eines Fasans? Die Bedürfnisse eines Dienstleistungsbetriebs oder das Vorrecht der Natur? Es ist zu fürchten, dass sich auch in diesem Fall die menschliche Logik durchsetzen wird: kein lebendes Wesen hat das Recht, die eingespielte Maschinerie einer altehrwürdigen Institution zu stören oder gar zu gefährden. Der Fasan müsste also beseitigt oder zumindest eingefangen und unschädlich gemacht werden. Wir wissen ja, dass Fasanen in Sachen Post völlig unbeleckt und ahnungslos sind. Sie sind in dieser Hinsicht nicht nur Laien, sondern regelrechte Banausen, die sich mit grausamer Stupidität über die komplexen Funktionsgesetze der Post hinwegsetzen. Die Reaktion des betroffenen Briefträgers dürfen wir allerdings auf gar keinen Fall unterschlagen. Der geplagte Mann verlangte mitnichten, vom stetig angreifenden Fasan befreit zu werden. Er beklagte sich zwar über die deutlich erschwerten Bedingungen seines täglichen Rundgangs, betonte aber andererseits, er sei bereit, sich den Fasan mit trickreichen Ausweichmanövern so gut wie möglich vom Leib zu halten. Kein Wort also von Abknallen, Liquidieren, Exekutieren.
Vielleicht ahnte dieser friedliche Briefträger, dass das Benehmen des forschen Fasans nichts mit gängigen Erklärungsmustern zu tun hatte. Vielleicht erkannte er schon nach kurzer Zeit, was dieses Tier tatsächlich antrieb. Die Art der leidenschaftlichen Attacken lässt vermuten, dass es sich hier um eine spektakuläre Variante der Liebestollheit handelte. In anderen Worten: Der Fasan war Hals über Kopf in den Briefträger verknallt. Jetzt haben wir eine schöne Geschichte. Sie reicht weit über die ungemütliche, kontraproduktive Verzahnung von Postwesen und Tierwelt hinaus. Jetzt stellen sich ganz andere Fragen. Kann ein Briefträger glücklich mit einem Fasan zusammenleben? Kann er den schmachtenden Fasan bei sich aufnehmen und mit ihm eine zufriedenstellende Partnerschaft aufbauen? Wie reagieren die Vorgesetzten, wenn der Briefträger die Liebe des Fasans erwidert und ihn einbindet in seinen täglichen Botengang? Wenn der Fasan zum Beispiel auf der Schulter des Briefträgers hocken oder – ein Liebesbeweis ohnegleichen – von Zeit zu Zeit ein Kuvert oder ein Päckchen mit dem Schnabel packen und fachgerecht abliefern darf?
Und schon häufen sich die dräuenden Probleme. Es könnte sich ja um eine gleichgeschlechtliche Liebe handeln. Männlicher Fasan schmust öffentlich mit männlichem Briefträger: eine Horrorvorstellung für alle Tugendwächter, vom homophoben Papst bis zu den Abermillionen kleiner Vorurteilshändler. Und neuerdings werden ja wieder ganz konkret Scheiterhaufen geschichtet. Das originelle Paar müsste also die nähere Zukunft fürchten. Glücklich die Briefträger, die von liebesverrückten Marienkäfern angefallen werden. Diesen Tierchen kann man in der Westentasche ein Liebesnest bauen. Dort sieht sie keiner.