Wenn in zwei Wochen, am 27. und 28. Februar, in den Messehallen auf dem Kirchberg das erste Logistics Management Forum stattfindet, wird das Logistik-Projekt der Regierung wieder öffentlich interessant. Dass es still darum geworden wäre, könnte man meinen, aber im Wirtschaftsministerium verfolgt man das Projekt intensiv weiter. Bis hinauf zum Minister selbst: „Auf jeder Prospektionsreise gleich welche Branche betreffend, bringe ich die Logistik ins Spiel“, sagt Jeannot Krecké. „Wir sagen unseren Gesprächspartnern, ihr könnt in Luxemburg ein Headquarter einrichten, produzieren, Forschung betreiben – oder Logistik.“ Wie dem japanischen E-Commerce-Anbieter Rakuten, der letzte Woche bekannt gab, seine Europazentrale in Luxemburg einzurichten und der, so Krecké, versprochen habe, falls der elektronische Handel floriere, auch Waren vom Großherzogtum aus in Europa zu verteilen.
„Wertschöpfende Zusatzaktivitäten inklusive“, das ist Krecké wichtig. Es gehe ja nicht einfach darum, mehr Transporte nach Luxemburg zu holen und Lagerräume anzubieten, wiederholt er sein Logistik-Mantra, sondern Ver- und Umpacken von Waren, Montage, Rechnungsstellung, Zoll-Clearing, Rücknahme zwecks Entsorgung – und außerdem natürlich das höchst anspruchsvolle Dirigieren von Versorgungsflüssen, das so genannte Supply Chain Management.
2006 hatte die Regierung sich einen Aktionsplan Logistik gegeben. Er soll helfen, die Branche zum ökonomischen Standbein auszubauen, Arbeitsplätze mit geringeren Qualifikationsanforderungen zu schaffen, um Entlassungen aus Industriebetrieben zu kompensieren, und die ansässigen Transport-Akteure, allen voran Cargolux, an den Standort zu binden.Seitdem wurde eine ganze Agenda an Verbesserungsvorhaben abgearbeitet, die für den internationalen Warenverkehr via Luxemburg positiv sind: Die Zollformalitäten wurden durchforstet und die Zollverwaltung auf den Weg hin zum „papierlosen Zoll“ gebracht. Die Steuergesetzgebung wurde angepasst; rückwirkend zum 1. Januar 2008 werden eine Reihe attraktive Mehrwertsteuerregelungen gelten. „Die Regierung hat ihre Hausaufgaben gemacht“, sagt Luc Henzig von PriceWaterhouseCoopers. Das Consulting-Unternehmen hatte 2005 eine Studie über die Möglichkeiten zur Entwicklung des Logistikstandorts angefertigt. Damals ging es in erster Linie um den Umschlag von Luftfracht und Zusatzaktivitäten. Denn 2004 hing ein großer Teil der 9 000 Arbeitsplätze im Logistikbereich im weitesten Sinne von Cargolux ab.
Der Wirtschaftsminister verfolgt heute ein weiteres strategisches Ziel: Seefracht ins Land zu holen. Wie bei der Luftfracht geht es insbesondere um Produkte aus Asien, vor allem aus China. Um Zugang zu den Warenströmen zu erhalten, die in Hongkong oder Singapur abgehen und in Nordseehäfen wie Rotterdam und Antwerpen ankommen, wurden in den letzten zwei Jahren Kontakte nach Asien geknüpft. Roadshows zur Präsentation Luxemburgs finden in den Nordseehäfen statt. Kreckés Ansatz: „Allein im unmittelbaren Hinterland Rotterdams sind so viele Logistikaktivitäten entstanden, dass einem die Luft wegbleibt. Damit zu konkurrieren, wäre Unsinn. Aber als Nischen-Anbieter könnte Luxemburg sich etablieren.“ Im weiteren Hinterland der Häfen sozusagen und Logistik-Kapazitäten anbieten, die in den Häfen selbst aus Kapazitätsgründen nicht immer angeboten werden können. CFL Cargo habe mittlerweile immer besseren Zugang zu den Nordseehäfen, das soll helfen.
Seefracht über die Schiene zum Transit nach Luxemburg zu holen und Zusatzaktivitäten an der Fracht vorzunehmen, soll den Schwerpunkt für den Logikstik-Hub Luxemburg-Süd bilden, der auf dem ehemaligen WSA-Gelände nahe Bettemburg, aber darüber hinaus auch auf Teilen zweier weiterer Gewerbegebiete zwischen Bettemburg und Düdelingen eingerichtet werden soll. Man befinde sich gegenwärtig noch in der Planungsphase, sagt Jeannot Krecké. Um 2009 bis 2010 würden auf dem Ex-WSA-Gelände aber die ersten Ausbauten abgeschlossen sein.
Luftfracht-Logistik am Flughafen und in der Industriezone Contern, See- und Bahnfracht im Süden. Das Terminal der Schienenautobahn von Lorry-rail spielt eine wichtige Rolle im Konzept. Der Huckepack-Transport von LKW-Aufliegern zwischen Bettemburg und Boulou am Fuße der Pyrenäen, nahe der französisch-spanischen Grenze, ist mit seiner Streckenlänge von 1 300 Kilometern einzigartig in Europa. Derzeit fährt ein Zug täglich in beide Richtungen, bei ausreichendem Bedarf sei es natürlich möglich, öfter zu fahren, sagt Lorry-rail-Generaldirektor Nicolas Welsch. Lorry-rail lasse sich gut an: „Der reguläre Betrieb begann im November.“ Kunden seien bisher Betriebe aus Schweden, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Spanien und Luxemburg, 15 davon als ständige Kunden, andere haben die Schienenautobahn zu testen begonnen. „Immerhin“, sagt Welsch, „fahren wir täglich, auch wenn auf den Straßen Sonntagsfahrverbot herrscht, und über eine Distanz, für die man in einem LKW zwei Chauffeure benötigt.“ Wird Lorry-rail genutzt, ist dagegen für Zugmaschine und Chauffeur am Terminal Endstation. Für die Kunden folgt daraus, dass sie den Weitertransport der Ware ab Bettemburg oder Boulou organisieren müssen. Das kann dauern, aber gerade deshalb kann es für Lorry-rail noch so manches an potenzieller Kundschaft geben. Auch aus Luxemburg selbst: Romain Kribs, Berater bei der Handelskonföderation, hat eine Umfrage unter den Mitgliedern des Groupement transports gemacht: „Die große Mehrzahl sieht Lorry-rail nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung und Chance an, und viele suchen noch nach Partnern am Mittelmeer, damit sie ebenfalls die Schienenautobahn nutzen können.“
Das klingt alles recht verheißungsvoll – aber welchen Platz hat darin die logistische Königsdisziplin, das Supply Chain Management? „Man muss tatsächlich trennen zwischen der klassischen Logistik, die auf Infrastrukturen und Vorteile wie einen gut funktionierenden Zoll angewiesen ist, und dem Supply Chain Management, das eine höchstqualifizierte Tätigkeit mit viel Informationstechnologie ist“, sagt Alban Quillaud, Vice President Südwesteuropa im Zentrum für Logistiklösungen von Kuehne + Nagel. K+N, einer der größten Logistikanbieter weltweit, ist hierzulande mit dem Zentrum für Logistiklösungen und dessen über hundert Mitarbeitern der vermutlich zurzeit wichtigste Anbieter von Supply Chain Management, das im Grunde darauf hinausläuft, dem Kunden durch die intelligente Wahl von Versorgungswegen Kosten zu ersparen. Gerade angesichts Klimaschutz und gestiegener Treibstoffpreise: „Umso wichtiger ist die ausgeklügelte Verbindung aller möglichen Transport- und Versorgungsmodi. Gelingt das, winken Gewinnmargen von 20 bis 30 Prozent.“
Könnte die Regierung dieses Feld strategisch entwickeln? Für Alban Quillaud hat Luxemburg sehr viel Potenzial wegen seiner Vielsprachigkeit, seiner sozialen Stabilität und seiner Kleinheit: „Das schafft Neutralität. Es ist ein Unterschied, ob ein Logistikanbieter in einem Land wie Frankreich oder Großbritannien sitzt, oder in Luxemburg.“ Schon deshalb würden in absehbarerer Zeit vermutlich noch weitere große Anbieter im Supply Chain Management sich für Luxemburg interessieren.
Ein Selbstläufer also? Wirtschaftsminister Krecké meint, es müsse den Betrieben überlassen werden, was sie machen. Aber zumindest ein Punkt bleibt wohl zu thematisieren: die Aus- und Weiterbildung. Seit einem Jahr gibt es eine Facharbeiterausbildung mit CATP-Abschluss im technischen Lyzeum in Bonneweg. Dort aber werden selbstverständlich keine Supply-Chain-Manager ausgebildet, sondern Lageristen. Eine SC-Weiterbildungsmaßnahme wurde 2007 vom CRP Henri Tudor in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Aeronautical University Embry Riddel eingerichtet. Die ersten Zertifikate wurden vor zwei Wochen vergeben. „Wir haben das ganz schnell organisiert“, sagt Jos Schaefers vom CRP Henri Tudor. Bei den Logistikfirmen sei die Initiative sehr gut angekommen.
Aber reicht das? Für Alban Quillaud sind Sprachkompetenz plus Ausbildung der Schlüssel zum Erfolg des Logistikstandorts Luxemburg im höchstwertigen Bereich, dabei müsse vielleicht die Uni Luxemburg eine Rolle spielen. Jos Schaefers erinnert daran, dass der Aktionsplan der Regierung eigentlich eine Logistik-Schule vorsieht, und meint, die könne man als Public-Private-Partnership mit Logistikbetrieben einrichten. „Allzu akademisch werden muss es nicht.“ Schaefers plädiert darüber hinaus für eine regelrechte nationale Strategie im Supply-Chain-Management: „Wir sind ja schon ein Logistikstandort und haben an die 120 Betriebe hier.“ Klassische Logistik auszubauen bedeute dagegen zwar nicht nur, aber auch mehr Transport. Bei der Transportintensität liegt Luxemburg mit 89 Tonnen pro Einwohner bereits an der Spitze in der EU, vor Belgien und Holland mit 62.
Genug Diskussionsstoff für das Logistikforum in zwei Wochen – zumal noch nicht die Logistik-Diskussionsplattform eingerichtet wurde, die das Aktionsprogramm der Regierung vorgesehen hatte. Das wird von allen möglichen Seiten bedauert: Jos Schaefers fürchtet „Abgrenzung, wo es doch eigentlich um Kooperation geht“, Romain Kribs von der Handelskonföderation wundert sich, „dass wir nur punktuell zu bestimmten Themen gerufen werden“, und Luc Henzig von PriceWaterhouseCoopèers meint, Luxemburg brauche „einen Monsieur oder eine Madame Logistique, der oder die die Sache in die Hand nimmt und animiert“.