Eine gut funktionierende Logistik kann die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben erheblich verbessern. Die Regierung hat in der Logistik eine neue, gar innovative Aktivität mit hohem ökonomischem Potenzial erkannt und das Wirtschaftsministe- rium unterstützt sie.
Häufig wird die Logistik mit Transport gleichgesetzt. Dabei stellt der Transport nur eine kleine, wenngleich elementare Komponente der Logistik dar. Transport ist notwendig, schöpft aber im Logistikkonzept den geringsten Wert. Doch sogar im industriellen, professionellen Milieu steht Logistik oft für Transport. Was also ist Logistik; welchen Einfluss hat sie auf das ökonomische Umfeld? Welches Verbesserungspotenzial für Produktivität und Wettberbsfähigkeit enthält sie? Und nicht zuletzt: Was ist eine „Supply Chain“?
Was ist eigentlich Logistik??
Logistik wird häufig als die „sechs Richtigen“ definiert: das richtige Produkt in der richtigen Menge zur richtigen Zeit zu den richtigen Kosten mit der richtigen Qualität am richtigen Ort. Doch dies ist das Resultat einer guten Logistik, nicht die Definition.
Überlegt man, was alles gleichzeitig funktionieren müsste, um ein solches Resultat dauerhaft zu erreichen – nämlich Konzeption, Entwicklung, Prototyp, Test, Validation, Produktion, Transport und Verteilung –, dann wird einem das Ausmaß dieses Konzeptes klarer. Dann ist Logistik die Synchronisation von Planung, Koordinierung, Steuerung, Ausführung und Kontrolle der gesamten Material-, Komponenten-, Produkt- und Dienstleistungsflüsse sowie der damit verbundenen Informationsflüsse, die zwischen dem ersten Lieferanten und dem Endverbraucher eine Wertschöpfungskette von Konzeption bis Verteilung durchlaufen und schließlich in der Entsorgung beziehungsweise in der Rückgewinnung enden. Und wenn so viele Akteure (man nennt sie auch Agenten) richtig zusammenspielen, dann kann der Kunde die sechs Richtigen erkennen.
Hinter dieser Definition steckt ein Konzept, das vom Rohstoffabbau über die Wertschöpfungskette bis hin zur Abfallbehandlung reicht. Was bedeutet Wertschöpfung in diesem Zusammenhang? Was nimmt an Wert zu? Fälschlicherweise wird allgemein angenommen, der Wert würde einem Produkt oder einer Dienstleistung zugefügt. Das ist fundamental falsch. Die Wertschöpfung findet allein in den Betrieben der Kette statt. Das Produkt oder die Dienstleistung stellt einen Wert für den Kunden dar. Dieser Wert ist einzig und allein vom Kunden abhängig. Er ist durch viele Faktoren, nie aber durch das Produkt selbst beeinflussbar.
Das Logistikmodell
Eine Wertschöpfungskette besteht aus einer Vielzahl von Agenten, deren Rolle laufend zwischen der eines Lieferanten und der eines Kunden wechselt. Ein und derselbe Agent integriert also beide Zustände. Wir sprechen dann von den Empfängern (Kunden) der Logistik. Die einzelnen Funktionen, die in der Definition aufgezählt werden, sollen dabei voll zum Tragen kommen.
Was zeigt sich heute in den meisten Logistikketten? – Sie bestehen aus einer Reihe von Agenten, die zusammenhanglos ihren Beitrag liefern. Die einzelnen Schnittstellen verhindern die Synchronisation der Kette. Aber solange es keine Synchronisation zwischen den Funktionen gibt und das Konzept nicht vollends umgesetzt ist, werden solche Ketten die Marktverlierer sein. Nicht einzelne Betriebe stehen heute im Konkurrenzkampf auf dem Markt, sondern ganze Logistikketten.
Anzeichen schlechter Logistikketten
Wenn Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit nicht dauerhaft zu verbessern sind, wird meist nach Wunderlösungen gegriffen. Was liegt näher als der Versuch einer Automatisierung der Problemzonen: Betriebe greifen nach technologischen Lösungen, um die Symptome zu beseitigen, statt die eigentlichen Probleme zu lösen. So erklärt sich auch, warum den Empfängern e-Lösungen (e-business, e-commerce ...) angeboten werden, um aus der Logistik-Idee Kapital zu schlagen. Trotz des Kostenaufwands für die Agenten, gelingt es damit nicht, die Trennungen (win-lose) durch eine systemische Integration mittels Partnerschaften (win-win) zu ersetzen, und dies sowohl zwischen einfachen Arbeitsplätzen als auch zwischen Konzernen. Denn nur dann können Gewinn bringende Logistikketten das eigentliche Ziel der Logistik erreichen. Dazu bedarf es eines grundsätzlichen Umdenkens. Die Forderung seitens der Empfänger ist klar: Aus Schnittstellen müssen Bindeglieder werden. Aus win-lose muss win-win entstehen. Das ist bestimmt nicht einfach. Für Ketten, die solch einen Wechsel zustande bringen, bedeutet er die Chance.
Der Weg zur „Supply Chain“Die Supply Chain (SC) ist definitiv das Zukunftskonzept. Als Zukunftsstrategie zur Verbesserung der Logistikketten ist sie bereits seit Anfang der Neunzigerjahre in aller Munde, aber es gibt bis heute sehr wenige echte Supply Chains.
Die SC-Strategie geht davon aus, dass nur auf gegenseitigem Vertrauen basierte Partnerschaften in der Logistikkette die ganze Kette wettbewerbsfähig machen – im Gegensatz zu herkömmmlichen Schnittstellen der Ketten, die in einer vertragsähnlichen Beziehung zueinander stehen. Solche Partnerschaften, und zwar bis zur letzten Konsequenz ausgereifte, sind jedoch dünn gesät.
Letzte Konsequenz hieße: Produkte oder Dienstleistungen durchlaufen die Kette mit Höchstgeschwindigkeit vom ersten Agenten bis hin zum Verbraucher. Währenddessen gibt es kein Kaufen und Verkaufen zwischen Agenten. Erst wenn der endgültige Verbraucher gezahlt hat, fließt das Geld mit Höchstgeschwindigkeit in entgegensetzter Richtung in die Kette hinein und beendet die Wertschöpfung. Das ist keine Utopie: Es gibt heute Beispiele mit erstaunlichen Resultaten. Der vom Verbraucher am weitesten entfernte Partner erhält sein Geld früher als in einer nicht synchronisierten Kette, in der jeder Partner vom nächsten bezahlt wird, unabhängig davon, ob das Produkt beim Endverbraucher angekommen ist. Einer Kleidermodenkette ist es gelungen, alle drei Wochen eine neue Kollektion in jedes ihrer über die gesamte Welt verteilten Geschäfte zu liefern. Das heißt: 17 Mal im Jahr Konzeption, Entwicklung, Zukauf, Planung, Koordinierung, Produktion und Verteilung – und das mit über die ganze Welt verteilten Kettenpartnern.
Die Tendenz heißt eindeutig Supply Chain. Die Umsetzung aber erfordert innovative, umsetzbare Modelle. Neue Kompetenzen sind aufzubauen. Dass dies für einzelne – sogar große – Betriebe schwierig ist, zeigt eine interessante Umfrage in einem Forum über SC. Auf die Frage, was den Betrieben am meisten in Logistikketten zu schaffen macht, nannten 31 Prozent die „dezimierte und fragmentierte Supply Chain“, das heißt schlicht und einfach die nicht existierende Supply Chain. Betriebe fragen also nach echten SC-Dienstleistungen.
Logistik als Zukunftsdienstleistung?
Es gibt heute schon Dienstleistungen im Logistikbereich. Die bekannteste ist ohne Zweifel der Transport. Zum Teil wird Transport auch mit Zwischenlagerung verbunden. In diesem Falle spricht man von der einer Third Party Logistic (3PL). Solche Anbieter gibt es auch in Luxemburg; Cargolux ist darin zweifellos am weitesten fortgeschritten. Fourth Party Logistic (4PL) bietet an, wer die Synchronisation einer Logistikkette unterstützt. Obwohl sie noch selten sind, existieren solche Provider schon; hier als Logistikanbieter einzusteigen, macht also wenig Sinn. Wer auf dem Zukunftsmarkt der Logistic Service Providers (LSP) gewinnen möchte, sollte nicht an der Unterseite der Pyramide von Logistikdienstleistungen einsteigen. Er muss eine Strategie anwenden, die der SC-Idee entspricht.
Ein erster taktischer Schritt könnte eine Logistikplattform der Zukunft sein, eine Plattform, die über die 3PL und 4PL hinauswächst, das so genannte 4PL+ Konzept. Eine Logistikkette kann zu einer echten Supply Chain werden. Ein Provider identifiziert Partner (Logistikkunden), die einer oder mehreren Ketten angehören. Er erstellt ein synchrones Modell für diese Ketten. Synchrone Modelle sind innovative Konzepte, die zum Beispiel Konzeption, Produktion und Verteilung so organisieren, dass die Durchlaufzeiten und Lagerbestände minimiert werden. Ergebnisse aus der Praxis zeigen, dass sich damit zwischen 50 und 70 Prozent der Durchlaufzeiten und Lagerbestände reduzieren lassen, ohne dabei den Kundenservice zu gefährden. Der 4PL+ Provider muss es fertigbringen, Partnerschaften (win-win) zwischen den einzelnen Logistikkunden herzustellen, die den globalen Kettenvorteil über den lokalen Agentenvorteil (win-lose) stellen. Folgende Dienstleistungen muss der 4PL+ Provider anbieten können: Supply Chain-Modellentwurf, globales Kettenmanagement, Kettenplanung, Finanzberatung, IT-Dienste, Schulung, globale Leistungsmesssysteme, Partnerschaftsberatung, Markterforschung und Segmentierung, 3PL-Partnerschaften, Durchlaufzeitberechnung und Projektmanagement besonders im Bereich der Produktentwicklung.
Schlussfolgerung Logistik ist kein neues Konzept. Luxemburg hat durch seine schnellen Entscheidungsprozesse eine einmalige Chance, in der zukunftsorientierten Logistik Fuß zu fassen. Dazu ist keine Grundlagenforschung auf dem Gebiet der stochastischen SC-Modelle nötig. Solche Themen werden in wissenschaftlichen Zeitschriften zuhauf veröffentlicht und gestalten eine scheinbar komplexe Welt nur noch komplexer. Gefragt ist Innovation in der Logistik; Innovation, welche die Logistik so verbessert, dass:
1. die heutigen 3PL-Provider in Luxemburg mehr Geld verdienen, 2. die Empfänger durch kürzere integrierte Durchlaufzeiten in Gewinn bringenden Ketten mehr Geld verdienen, 3. morgen damit begonnen wird, dank einer 4PL+ Taktik die SC-Strategie vollends umzusetzen, 4. Arbeitsplätze für verschiedene Bildungsniveaus geschaffen werden und 5. Luxemburg als Vorreiter der SC-Provider seine Wettbewerbsfähigkeit steigert.
Der Autor ist Direktor des Laboratoire de technologies industrielles am Centre de recherche public Henri Tudor.