Das war dann doch zu schnell geschossen von Jeannot Krecké: „2006 war das Jahr der Logistik, und 2007 wird das Jahr der Gesundheitstechnologien sein“, meinte der Wirtschaftsminister am 22. Dezember in einem Interview mit dem Wort. Als wäre kurz vor Weihnachten schon der Aktionsplan Logistique – Luxembourg abgearbeitet gewesen, den der Regierungsrat erst im Mai vergangenen Jahres verabschiedet hatte, und man könne sich voll und ganz dem nächsten Vorhaben zur weiteren Diversifizierung der heimischen Wirtschaft zuwenden.
So verhält es sich nicht. Aber das Logistik-Projekt steht unter besonderem Erfolgsdruck. Zum einen aus der Transportbranche: Die Handelskonföderation wirbt stellvertretend für die ihr angeschlossenen LKW-Fuhrbetriebe für mehr Logistikaktivitäten hierzulande; Cargolux, Europas größte Nur-Fracht-Airline und siebtgrößter Luftfracht-Carrier weltweit, tut das gleiche im eigenen Interesse.
Neue Logistikaktivitäten sollen Frachtmarktanteile hier halten, damit es auch morgen noch etwas von und nach Luxemburg zu transportieren gibt. Vor allem für Cargolux trifft das zu im komplexer werdenden weltweiten Wettbewerb in Luftfrachttransport und Luftfrachtlogistik, aber auch für die LKW-Transportbetriebe. Sie agieren zwar „nur“ auf europäischer Ebene. Doch es fragt sich, wie lange Luxemburgs geografische Lage noch „günstig“ genannt werden kann: Die „Ansiedlungsbanane“ zwischen Birmingham und Madrid verändert ihre Form und weitet sich seit der EU-Erweiterung nach Osten aus. Das wissen auch die Transportbetriebe. Einige haben darauf schon vor zwei Jahren mit der Gründung von Filialen in Osteuropa reagiert (d’Land, 29.04.2005).
„Die Transportnetze sind dabei, sich europaweit zu optimieren“, dozierte Alex Vastag vom Dortmunder Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik auf dem Logistiktag in den Messehallen am 26. September letzten Jahres. Bei diesem Optimierungsprozess steht für Luxemburg einiges auf dem Spiel. Eigentlich ist es schon ein Logistikstandort; von 683 Unternehmen, die mit Distribution zu tun haben, sind 126 ausschließlich in der Logistik aktiv. Das ökonomische Potenzial ist groß: Distribution und Logistik zusammen schufen 2004 einen Umsatzwert von 3,3 Milliarden Euro. Das ist ziemlich viel. Belgien, einer der angesagtesten Logistikstandorte Europas und mit vier Seehäfen gesegnet, brachte es auf 20,4 Milliarden. Bei der Transportintensität liegt Luxemburg mit 89 Tonnen pro Einwohner an der Spitze in der EU, vor Belgien und Holland mit 62.
Mehr als 9 000 Arbeitsplätze zählt der Sektor hierzulande. Zwischen 2001 und 2004 kamen 1 000 Jobs neu hinzu. Das ist der zweite Aspekt des Erfolgsdrucks, unter dem das Diversifizierungsvorhaben Logistik steht. Es soll nicht nur Transportaktivitäten absichern, sondern eine Wachstumsbranche ausbauen, in der in großer Zahl auch geringer qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden können, wie sie in jüngster Zeit durch Betriebsschließungen in der Industrie verloren gingen. Da ist ein Wirtschaftsminister schnell versucht zu sagen: Mission erfüllt.
Der Aktionsplan sieht jedoch viel vor. Zum einen soll Luxemburg zu einer „interkontinentalen Logistikplattform“ werden, womit die Luftfracht gemeint ist, zum anderen soll es als Umschlagplatz für Schienenfracht ausgebaut werden: einerseits auf der Nordost-Südwest-Achse von Polen Richtung Spanien, andererseits auf der Achse von der Nordsee bis südlich der Alpen. Eine ganze Bandbreite von zusätzlichen Wert schöpfenden Aktivitäten entlang von Logistikketten soll ausgebaut beziehungsweise ins Land gelockt werden. Von den so genannten Third Party Logistics (3PL), die Lagerung, Verpackung und Vorbereitung für den Weiterversand einer Ware umfassen, über die höherwertigeren Fourth Party Logistics (4PL), die mehr zu tun haben mit der Planung von Stoffflüssen, Informationsverläufen und Austauschvorgängen innerhalb der Logistikkette, bis hin zu den Reverse logistics, die die Rücknahme nicht verkaufter Produkte, Recycling und Wiederverwertung organisieren.
In diesem Zusammenhang war die Vorstellung des Masterplans über die Neunutzung des ehemaligen WSA-Geländes in Bettemburg am Dienstagnachmittag ein wichtiger Schritt. Als die US-Armee im Sommer letzten Jahres entschied, das Gelände zu räumen, fielen der Regierung unvermutet 44 Hektar Staatsland mit Eisenbahn- und Autobahnanschluss zur erneuten Nutzung zu. Beinah ein Geschenk des Himmels, da frei von Preisspekulation. Denn für investitionswillige Logistikunternehmen ist Luxemburg nicht die erste Adresse. Im alljährlichen European Distribution Report von Cushman [&] Wakefield, Baley [&] Baker, dem Ranking für Investoren im Logistikbereich, schneidet das Großherzogtum regelmäßig schlecht ab. Spitzenreiter im Bericht 2006 war erneut Belgien, gefolgt von Frankreich – nicht zuletzt auch wegen ihrer günstigen Grundstückspreise und Mietkosten. Dagegen sind es diese beiden Kriterien, die Luxemburg im Vergleich der Logistik-Regionen nach unten ziehen.
Und auch höherwertige Fourth Party Logistics, wie sie derzeit in Luxemburg zu finden sind, umfassen nicht nur Arbeiten für Organisationsfachleute, Ingenieure und IT-Experten – Platz für Güter wird auch benötigt. Kuehne + Nagel, eines der zehn führenden Logistikunternehmen Europas, verwaltet von seiner Luxemburger Niederlassung aus die Versorgungskette (Supply Chain im Fachjargon) von Apple Computers von der Produktion in China, Tschechien, Irland und den Niederlanden, bis hin zur europaweiten Auslieferung. Achim Taylor, Managing Director von Kuehne + Nagel Luxemburg, stellte das Prinzip auf dem Logistiktag Ende September vor. Auch bei diesem Konzept passieren noch immer Materialflüsse Luxemburg – wenn auch viel weniger als früher. Doch es entsteht Platzbedarf.
Dem kann auf dem ehemaligen WSA-Gelände abgeholfen werden. In vier Stufen soll es neu und „modular“ bebaut werden. Wo früher Panzer lagerten, sollen künftig Frischprodukte, Pharmazeutika, Bauteile für die Autozulieferindustrie oder elektronische Geräte umgeschlagen und dabei noch Mehrwert geschaffen werden. „Man könnte zum Beispiel Laptops, die aus China kommen, mit Gebrauchsanweisungen in europäischen Sprachen versehen, oder die Festplatten formatieren“, stellte Jeannot Krecké sich die Zukunft vor. Räume für Aus- und Fortbildung und für Logistik-Forschung sind ebenfalls geplant. „Auf keinen Fall“ gehe es bei dem Ausbauprojekt „nur um Transport“. Ausdrücklich würden Logistikbetriebe gesucht. 50 Anfragen liegen dem Ministerium bisher vor. Es kann steuernd eingreifen, denn wer sich niederlässt, erhält einen Grundstücksanteil vom Staat durch ein dreißig Jahres gültiges „droit de superficié“ übertragen. Es zeichnet sich auch Interesse von Logistikunternehmen ab, die von weit kommen und interessante Fracht nach sich ziehen könnten: mit einem Logistik-Provider aus China und einem aus Südkorea beispielsweise ist das Ministerium im Gespräch, ein Resultat jüngster Prospektionsreisen nach Fernost.
Dass Jeannot Krecké sich verbal derart vom Transportgewerbe distanziert, und ganz speziell vom LKW, hat wohl zwei Gründe. Zum einen will er den Eindruck vermeiden, hier würde jene dubiose Straßentransportnische neu belebt, die in den Achtzigerjahren geschaffen worden war, wenig unter Kontrolle stand und Anfang 2002 mit großem Getöse mit der Kralowetz-Affäre aufflog. Die Frage, inwiefern eine regelwidrige Vergabe von Cemt-Transportlizenzen durch das Transportministerium erfolgte, beschäftigte zweimal die Gerichte und daneben einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
Andererseits ist noch nicht abschließend geklärt, ob die Düdelinger Autobahn das Logistikzentrum „aushält“, wenn in beiden Richtungen nach und nach je 500 LKW-Fahrten täglich vom und zum Zentrum erfolgen werden. Im Wirtschaftsministerium geht man davon aus, dass sich kein Problem stelle, aber die Straßenbauverwaltung prüft das noch. Immerhin gilt die A3 seit Jahren als „gesättigt“, hatte die Straßenbauverwaltung schon den Ausbau auf zweimal drei Spuren geplant. Nur aus Finanzgründen wurde er 2005 zurückgestellt. Das „schlechte Image“ des Straßengüterverkehrs hierzulande, von PriceWaterHouseCoopers 2005 als „Bedrohung“ für den Logistikstandort eingeschätzt, hat allerdings auch mit dem allgemein hohen Lastwagenaufkommen zu tun: die schon erwähnte Transportintensität von 89 Tonnen pro Einwohner ist in Luxemburg doppelt so hoch wie im EU-Durschnitt (44 Tonnen).
Ob der Logistikpark als Umschlagplatz Erfolg hat, soll allerdings zu einem großen Teil von der Bahn abhängen. Besser gesagt von CLB, der Container Logistics Bettembourg s.a., der Betreiberin des Container-Terminals gar nicht weit entfernt vom WSA-Gelände. Luftfracht auf die Bahn will das Wirtschaftsministerium bringen; in Bettemburg soll die Schnittstelle entstehen. CLB soll ein Business-Modell dafür erstellen. Man arbeite mit Hochdruck daran, sagt CLB-Generaldirektor Fränz Benoy.
Das Vorhaben ist auf jeden Fall kühn, denn Luftfracht ist Terminfracht. Und es fragt sich, ob nicht die noch immer mangelnde Interoperabilität der europäischen Bahnnetze, ihre verschiedenen Stromsysteme, Spurweiten und Sicherheitssysteme ein solches Projekt scheitern lassen könnten. Genau wie die Vergabe von Gleiswegen an fremde Bahnen noch immer nicht überall ganz diskriminierungsfrei verläuft. Aber eine Chance könnte Lorry rail heißen: Im April nimmt zwischen Bettemburg und Südfrankreich die erste autoroute ferroviaire ihren Betrieb auf. Dann werden ab dem Terminal nicht nur Container per Bahn befördert, sondern auch ganze LKW-Auflieger auf Huckepack-Waggons. Prinzipiell könnte Luftfracht auf diesem Weg rasch nach Südfrankreich und weiter auf die Iberische Halbinsel gelangen.
Der Logistik-Aktionsplan reicht allerdings über das Projekt Logistikpark Bettemburg hinaus. Die „mise à disposition de surfaces foncières dédiées“ ist darin nur ein Punkt unter vieren. Und eine Arbeitsgruppe von Wirtschafts- und Transportministerium prüft derzeit, inwiefern die unmittelbare Umgebung des Flughafens in Frage kommt für die Ansiedlung von Logistik-Aktivitäten. Auch die nationale Industriezone in Contern könnte für Luftfracht-Logistik geöffnet werden.
So sehr in der Branche selbst diese Initiativen begrüßt werden, so sehr wünscht man sich, dass weitere Schwerpunkte im Aktionsplan angepackt würden. „Luxemburg braucht etwas, um es gegenüber Unternehmen im Ausland zu kommunizieren“, meint Jeannot Erpelding, im Cargolux-Management zuständig für Fragen, die die Airline mit der Regierung klärt. „Administrativ und regulatorisch hat Luxemburg vor allem seine TVA-Regelung vorzuzeigen. Dass etwa beim Import einer Ware die Mehrwertsteuer nicht vorfinanziert werden muss.“
Noch stärker mit TVA-Regelungen nach außen werben? – In Sachen Mehrwertsteuer strebt die Regierung weitere Verbesserungen an. Von der Beschleunigung der Abläufe bis hin zur Wiedereinführung der TVA-Repräsentation, in der beispielsweise ein Logistiker-Provider am Ende einer Versorgungskette eine Mehrwertsteuerzahlung für ihm vorgelagerte Provider übernehmen kann.
Könnte ein verbesserter Zolldienst ein Marketingargument für den Logistikstandort Luxemburg sein? – „Wenn man sich vornähme, wir schaffen beispielsweise den modernsten Zoll Europas, mit der besten IT-Ausrüstung, und das erreichte, dann wäre das ein tolles Argument“, meint der Chef eines Transportbetriebs. Aber so weit will die Regierung offenbar nicht gehen. Und wenn der Aktionsplan festhält, dass die Dienste der Zollverwaltung künftig rund um die Uhr, jeden Tag, zur Verfügung stehen sollten, „dann können wir damit nicht werben“, meint der Wirtschaftsminister, die Zollverwaltung sei „bemüht, jeder Anfrage so schnell wie möglich nachzukommen“. Dagegen wird derzeit untersucht, ob sich in Luxemburg besonders schnell im Vergleich mit anderen EU-Staaten der so genannte authorized economic operator einführen lassen könnte. Geplant ist er EU-weit ab Anfang 2009 als Teil eines Sicherheitskonzepts, in dem die Union Maßnahmen folgt, die die US-Regierung nach 9/11 einführte. Demzufolge muss künftig jede Fracht, die in die EU importiert werden soll, zuvor in einem engen Zeitfenster angemeldet werden. Dafür sind viele Daten zu liefern – ein authorized economic operator ist ein geprüfter und für besonders vertrauenswürdig befundener Betrieb, der weitaus weniger Daten beim Import abzuliefern braucht. Jeder Logistikanbieter hätte als AEO einen Wettbewerbsvorteil.
Und schließlich sieht der Aktionsplan vor: „développer les compétences“. Damit sind Logistik-Forschung und die Einrichtung einer Logistik-Akademie gemeint und – nachdem seit Herbst letzten Jahres eine Fachlogistiker-Berufsausbildung besteht – eventuell auch ein Umschulungsprogramm zum Logistiker.
Zwischen den Betrieben soll der Austausch in einem Forum gepflegt werden. Abgeleitet davon ist eine Plattform, in der das Centre de recherche public Henri Tudor gemeinsam mit Wirtschaftsministerium und Handelskonföderation die fortgeschrittensten Logistik-Konzepte vom Management der Versorgungsketten Industriebetrieben näher bringen will. Dieses Konzept geht davon aus, dass eigentlich jeder Betrieb gemeinsam mit seiner Logistikkette im Wettbewerb mit anderen steht. Daraus ergebe sich ein „großes Innovationspotenzial, sowohl für einen Industriebetrieb, wie für die Logistikprovider“, meint Jos Schaefers, Chef des Laboratoire de technologies industrielles am CRP Henri Tudor. Seiner Meinung nach sollte in Luxemburg dieser Ansatz regelrecht strategisch verfolgt werden, um höchste Wertschöpfung zu erreichen.