Die traditionelle Steuersenkungspartei DP findet zu sich selbst und schöpft neue Hoffnung

Das Schlimmste hinter sich

d'Lëtzebuerger Land vom 10.06.2016

„Liebe Freunde, es ist mir danach zu kämpfen“, begann die schmächtige Parteipräsidentin Corinne Cahen ihre Ansprache im schummerigen Bonneweger Kulturzentrum, und Premier Xavier Bettel spielte bei seiner Rede nicht mehr den netten Nachbarjungen, sondern gab sich ungewohnt laut und energisch. Die fast 200 Teilnehmer des Landeskongresses sollten am Sonntag in einem zweistündigen, diskussionslosen Frontalunterricht mit jeder Menge Schifffahrts- und Fußballmetaphern und viel Polemik gegen die CSV Mut gemacht bekommen, um die Regierungspolitik am Stammtisch, im Büro und beim Grillen zu verteidigen. Und auch das „ehrgeizige Wahlprogramm“, das die Vorsitzende der liberalen Kommunalpolitiker, Martine Dieschbourg-Nickels, für die Gemeindewahlen nächstes Jahr ankündigte.

Vor allem sollten die Parteimitglieder, die auch alle Delegierte waren, überzeugt werden, dass trotz aller Sticheleien von CSV und befreundeter Presse die Demokratische Partei in der Halbzeit der Legislaturperiode nun das Schlimmste hinter sich habe. Nach der Euphorie des Wahlsiegs von 2013 und dem ersten Fiasko bei den Europawahlen 2014 hatte die Regierung 2015, im Jahr der Steuererhöhungen und des Referendums, ihren Tiefpunkt erreicht. Das galt auch für das Vertrauen in die Regierung, so die im Juni vergangenen Jahres von Luxemburger Wort und RTL veröffentlichten Meinungsumfragen, bei denen es seit November wieder bergauf geht – wenn auch noch nicht in der Sonndesfro des Tageblatt.

Xavier Bettel beschwerte sich über den mangelnden Unternehmergeist, darüber, dass ein Unternehmer hierzulande eine Niederlage nicht verziehen bekommen, wogegen alle Stars des Silicon Valley „vier, fünf Konkurse“ hinter sich hätten, bevor sie ihren heutigen Erfolg erlebten. Vielleicht verlangte er in Wirklichkeit solche Nachsicht bei politischen Unternehmen. Aber der Konkurs beim Referendum, in den die DP laut Parteikonten 130 932,31 Euro investiert hatte, oder der Konkurs von Ministerin Maggy Nagel wurden in keinem Rechenschaftsbericht erwähnt.

Dafür wiederholten alle Redner, dass Luxemburg dank der DP und der liberalen Koalition „in den letzten Jahren ein gutes Stück vorangekommen“ sei. Premier Xavier Bettel zählte noch einmal die Reformen auf, die durchgeführt wurden oder in Vorbereitung sind: Elternurlaub, Scheidungsrecht, Tierschutz, Agrargesetz, Trennung von Staat und Kirche, Asylpolitik, Fintech, Arbeitsamt, Omnibus-Gesetz, Ein-Euro-Gesellschaften, Wasserschutz, Verkehrssicherheit, Transparenz des Finanzplatzes... Es bewege sich etwas im Land und man werde am Ball bleiben, doch „ich kann es als Regierungschef kaum erwarten, dass die Reformen bei den Leuten ankommen“. Auch Fraktionssprecher Eugène Berger erklärte, wenn die Reformen nicht so schnell wie gewünscht kämen, dann weil es rechtsstaatliche Prozeduren bei ihrer Umsetzung zu respektieren gelte.

Dass eine Regierung gute Politik macht und sie den begriffsstutzigen Wählern schlecht erklärt, ist aber bloß die übliche Ausrede. Wenn es wieder bergauf zu gehen scheint, dann weil die DP vor einem halben Jahr einen Großteil ihrer Führungsspitze ausgewechselt und einen bemerkenswerten politischen Kurswechsel vollzogen hat. Die moderne Spar­koalition, die in ihrem Koalitionsabkommen einen mittelfristigen Haushaltsüberschuss von 0,5 Prozent abgemacht hatte, wandelte ihn vor sechs Wochen in ein Defizit von 0,5 Prozent um – auch das war kein Thema auf dem DP-Kongress. Fraktionssprecher Eugène Berger versuchte zu erklären, dass die gute Wirtschaftskonjunktur der Regierung nach dem Zukunftspak eine neue Großzügigkeit erlaube. Aber eine gute Konjunktur wolle zuerst erschaffen werden, und daran habe die Regierung ihre Verdienste, meinte er. Doch wen schert noch die verquasteste Erklärung, wenn am Ende die Steuern sinken?

So kann die liberale Steuersenkungspartei nach den von Wählern und Mitgliedern verübelten Steuererhöhungen der ersten Hälfte der Legislaturpe­riode zur Kehrtwende ansetzen: Die DP löse nun ihr Wahlversprechen ein, dass mit der DP die Steuern sinken, triumphierte Eugène Berger, so als hätte er es selbst fast nicht mehr geglaubt. Rechtzeitig zum Wahlkampfjahr 2017 soll der Staat auf eine halbe Milliarde Euro der Haushalte und Betriebe verzichten.

Xavier Bettel warb noch einmal ausgiebig für die Steuerreform, die deutlich den Prioritäten der DP entspreche: sie sei gerecht, sie entlaste Alleinerziehende, fördere den Wohnungsbau und private Zusatzversicherungen, sie sei sozial selektiv, ermögliche die Individualbesteuerung und helfe den Betrieben. Aber sozial gerecht, selektiv und individualisiert hin oder her, er wusste, dass nichts milderer Balsam für eine liberale Seele ist und sich nichts bezahlter in der Wahlkabine macht als eine Steuersenkung.

Doch mit ihrem politischen Kurswechsel bringt die DP treue Verbündete gegen sich auf. Die Unternehmer hatten einmal geglaubt, dass die liberale Koalition, zu deren Sieg sie beigetragen hatten, ihre Regierung sei, und der Einfluss der Steuerberater bei den Koalitionsverhandlungen oder die Ernennung des Direktors der Handelskammer zum Finanzminister schienen ihnen Recht zu geben. Doch nun verübeln sie zuerst der DP, auf die Haushaltspolitik als Mittel der ökonomischen Disziplinierung zu verzichten und mit der Reform des Arbeitszeitgesetzes nach der Pfeife von LSAP und OGBL zu tanzen, sowie anderen Sozialschnickschnack wie die höheren Entschädigungen beim Elternurlaub.

Parteipräsidentin Corinne Cahen musste deshalb betonen, dass die DP „bisher eine exzellente Zusammenarbeit mit den Unternehmen hatte“, etwa bei der Reform des Arbeitsamts und der „fami­lienpolitischen Modernisierung“. Denn „die Sozial- und Familienpolitik, die wir machen, ist keine Politik auf Kosten der Betriebe, sondern eine Politik, die sich auf Dauer für sie und für ihre Mitarbeiter lohnt“. Deshalb rief sie jene, „die das Patronat nach außen vertreten“ auf, „nicht immer so zu tun, als ob das alles schlecht wäre, als ob das alles das Geschäft schädige, als ob jede sozial- und familienpolitische Maßnahme ein Geschenk wäre, wofür man etwas anderes anstelle bekommen müsste“. Deshalb solle man das nicht alles durch „muskulöse Auftritte kaputt machen, was wir uns in den vergangenen zwei Jahren zusammen – Regierung, Patronat und Gewerkschaften – aufgebaut“ hätten.

Auch Xavier Bettel betonte, dass die DP sich nicht in eine Ecke drücken lassen wolle, denn sie verstehe es, „etwas für die Betriebe und die Lohnabhängigen zu machen“. Doch der ehemalige Präsident des Handelsverbands und des Wirtschafts- und Sozial­rats, Gary Kneip, bekam nicht genug Stimmen für einen Platz im Direktionskomitee der Partei.

Nicht nur die Unternehmer zweifeln an der liberalen Linie. Der Harlinger Vorsitzende des DP-Nordbezirks, Marco Koeune, war am Sonntag wiederum der einzige, der es offen aussprach: Die DP bekomme draußen im Land vorgeworfen, „kein Profil zu haben, nicht liberal zu sein, zu sozial zu sein und zu viel auf Camille Gira zu hören“, den grünen Staatssekretär. So musste Parteipräsidentin Corinne Cahen das angeblich Selbstverständliche beteuern: „Wir haben eine klare inhaltliche Linie, wir sind eine zusammengeschweißte Mannschaft mit einem klaren Leader, Xavier.“ Ex-Ministerin Anne Brasseur bestand darauf, dass die DP sich keine Gedanken über ihren nächsten Spitzenkandidaten zu machen habe, denn sie verfüge mit Xavier Bettel über „einen Kapitän“. Das war dann die Richtigstellung, nachdem Parteipräsident Corinne Cahen Anfang der Woche in einem Rundfunkinterview eine Diskussion über den liberalen Spitzenkandidat abgeblockt hatte.

Auch der neue Generalsekretär Marc Ruppert beruhigte die Kleingläubigen, die fürchten, dass Etienne Schneider oder François Bausch den Ton in der Koalition angeben, indem er aufzählte, wo „der blaue Stempel“ die Regierungspolitik geprägt habe: bei der Steuerreform, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, in der Familienpolitik bis hin zum Konjunkturaufschwung und dem Tierschutz. Eine „starke liberale Handschrift“ trage auch die Bildungspolitik, meinte er und vergaß, dass von allen Regierungsmitgliedern nur LSAP-Staatssekretärin Francine Closener unbeliebter als DP-Erziehungsminister Claude Meisch ist.

Zudem hatten vor einem Jahr eine Handvoll Dissidenten mit Hilfe des ehemaligen DP-Staatsrats ­Claude A. Hemmer den neoliberalen Zirkel Déi Liberal gegründet. Einer der Gründer, der ehemalige Vizepräsident der DP-Nachwuchsorganisation JDL, Laurent Heisten, erklärte Ende Mai im Luxemburger Wort, dass „die Parteigründung natürlich auch ein Ziel“ sei und nannte eine Teilnahme an den Kammerwahlen 2018 „durchaus realistisch“. Doch auch diese Provokation war kein Thema des Kongresses. Parteipräsidentin Corinne Cahen beruhigte, die Regierung sei angetreten, um „das Land nach Jahren des völligen Stillstands zu modernisieren. Wir wollten nicht die Leute modernisieren“. Aber der liberale Wähler erwartet keine Identität, keine Ideologie und keine großen Denker von seiner Partei, sondern weniger Steuern. Und so findet die DP am Ende doch noch zu sich selbst. Vielleicht noch rechtzeitig vor den Wahlen und sogar in der Sonndesfro des Tageblatt .

Romain Hilgert
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