Linster, Léa; Holzer, Kerstin: Mein Weg zu den Sternen

Es ist angerichtet

d'Lëtzebuerger Land vom 15.05.2015

„Wer gut kocht, dem wird alles verziehen“, heißt es gleich zu Beginn in der Biografie von Léa Linster. Ein Satz, der innehalten lässt. Also: Man nehme 360 Gramm Buch, 224 Seiten, manche mit Text, manche als Platz und Raum für persönliche Notizen oder weitere Rezepte. Diese mixen, pürieren, soufflieren, kochen, garen und pochieren, nur nicht versalzen oder anbrennen lassen, mit fünf Rezepten aus dem Fundus abschmecken und mit 29 Fotos aus dem Fami-lienalbum garnieren, spicken und passieren, schließlich in 14 Kapiteln anrichten und servieren. Et voilà: Im Bücherregal steht: Mein Weg zu den Sternen. Aus meinem Leben. Die Biografie der Köchin und bislang einzigen Frau, die je den renommierten Kochpreis Bocuse d’Or gewann: Léa Linster. Aus Frisingen. Im munteren Plauderton erzählt „das Mädchen von der Tankstelle“, wie sie ihren Weg machte aus dem kleinen Dorf im Süden Luxemburgs hinaus in die große, weite und vor allen Dingen männerdominierte Welt der Spitzengastronomie. Das hegt Erwartungen an ein großartiges Format, doch das Entree mit vorspeisender Suppe ist überzuckert.

Denn für Léa Linster – so liest es sich in den ersten Kapiteln – war dieser Weg ein Klacks. Als hätte es nur einer neuer Speisekarte und einer neuen Tischdecke bedurft, um aus der Dorfgastwirtschaft mit Schinkenbroten ein Weltrestaurant, mit „klassischer und kreativer Küche aus besten Produkten in anständigen Portionen, perfekt im Geschmack, nicht zu kompliziert“ zu machen. Die Mühen, die dieser Weg bereitete, gibt es nur in Nebensätzen, zumindest auf den ersten knapp einhundert Seiten. Diese schildern ein gut behütetes Leben in Frisingen: schon als Kind fürs Kochen prädestiniert, vom Vater geliebt, von der Mutter erzogen. Ein zielgerichtetes Leben in geraden Bahnen, zeitlos, ganz ohne „Flausen“ oder Moden einer Jugend. Alles so locker und leicht, als sei das Leben im elterlichen, familiären Bahnhofscafé mit angeschlossenem Kraftstoffverkauf wenn nicht in Milch geschwommen, so doch in einer Sauce aus zu viel Zucker, zu viel Sahne. Es fällt dem Leser schwer, Sympathien und Begeisterung dafür zu entwickeln.

Als Entree also kein raffiniertes Süppchen, sondern eine Crème brûlée. An manchen Stellen angebrannt. Als sei Linster einer US-amerikanischen Fernsehserie entsprungen und meistere als furchtlose Heldin im Zorro-Kostüm alle Herausforderungen, die das Leben so parat hat. Man schaut hin oder liest weiter, aber weiß, dass bis zum Abspann alles, aber auch wirklich alles sich in Wohlgefallen auflösen wird.

Wer eine Biografie rezensiert, läuft gerne Gefahr, das dargestellte Leben zu bewerten und zu beurteilen. Es fällt schwer, sich gerade zu Beginn der Biografie davon freizumachen, das Buch in die Ecke zu feuern und zu sagen: Was für ein Papakind, was für eine Prinzessin, was für ein Pudding mit Zuckerguss. Wenn da nicht die Mutter gewesen wäre, die Léa Linster mehr an Rüstzeug für ihren Lebensweg mitgab, als die Köchin es wahrhaben möchte, wenn auch die Mutter mit der Hilflosigkeit der damaligen Zeit agierte und reagierte. Überhaupt eröffnet das Verhältnis zur Mutter die intimste, ehrlichste Stelle im Buch, wenn Linster ihre Mama zum Arzt begleitet und auf dieser Fahrt Bestätigung, Anerkennung Lob für ihren Lebensweg einfordert. Und Mama das verweigert.

Denn es gibt diese wunderbare Stelle etwa in der Mitte des Buches, ab der Linster ihre wunden Punkte zeigt und die Biografie das Genre von Selbstdarstellung zu Lebensbericht wechselt. Das Scheitern mit dem Restaurant in Luxemburg-Stadt, das Geliebtsein-Wollen um jeden Preis – vor allem von der Mutter –, das Hadern mit sich selbst. Nein, kein Hurra-Geschrei über schwarze Flecken auf der weißen Kochschürze und kein überhebliches „Na siehst du!“ bricht sich Bahn, sondern Einblicke und Reflektionen Linsters über sich selbst – sei es in der Rolle einer Frau unter Köchen oder dem Unzufriedensein mit der eigenen Figur oder als Mensch, einfach nur als Mensch, der dem Leser Möglichkeiten zur Identifikation gibt und in diesen kleinen Szenen mehr von ihrer Persönlichkeit erklärt als in allen Erfolgsgeschichten zuvor und danach. Wenn sie etwa auch noch so schlagfertig alle spitzen Bemerkungen über ihr Gewicht kontert, merkt man daran, dass sie das Thema oft aufgreift und angreift, wie sehr es sie bewegt, beschäftigt, beschlagnahmt, Linster sogar dazu verführt Diäten auszuprobieren, um sich am Ende dann doch selbst zu erkennen.

Mein Weg zu den Sternen ist Unterhaltungslektüre. Kein Werk, das sich je um einen Preis in Klagenfurt oder Darmstadt bewerben wird, kein Buch, das auf einen Nobelpreis hoffen darf, und keine Literatur, die sich um Sterne verdient macht, aber solides Handwerk – ab Seite 95. Das zur Einordnung des Werks. Auch dieses Œuvre hat seinen Anspruch, seine Leserschaft. Beidem wird Léa Linster gerecht. Denn Linster möchte Freude bereiten, „verzaubern“, wie sie es nennt. Das ist ihr Lebensmotto. Dazu passt diese leicht zu lesende Biografie mit großem Unterhaltungswert, garniert mit Lebensweisheiten und Mut machenden Parolen, fast wie ein kleiner Lebenshilfe-Ratgeber aus dem Reich der Küchenpsychologie – was keine Geringschätzung ist, sondern herrlich im Bild bleibt. Das Buch ist nicht schwer verdaulich, schlägt nicht auf den Magen, sondern geht liebevoll durch diesen hindurch, ganz nach dem Lebensmotto der Sterneköchin: „Ich möchte unterhalten.“ Und das gelingt ihr mit dem Buch. Ganz ohne Frage. Ganz ohne Kritik.

Es lohnt sich dieses Buch zu lesen, im Anschluss an die Lektüre von Geständnisse eines Küchenchefs: Was Sie über Restaurants nie wissen wollten von Anthony Bourdain. Der Koch berichtet schonungslos aus dem Alltagsleben eines Spitzenküchenmeisters und liefert Hintergrundwissen, dass auch für Léa Linster der Weg kein einfacher gewesen ist.

Geschrieben wurde Linsters Biografie von der Münchner Journalistin und Buchautorin Kerstin Holzer, die nicht gerne für mehr als acht Personen kocht. Ihr gelingt es, den Sprachduktus und die Persönlichkeit Léa Linsters in Worte zu fassen, wenn man ihr auch manchen Satz nicht verzeihen möchte: „So ein Huhn ist wie ein guter Freund, es lässt dich niemals im Stich. Du kannst es stundenlang kochen und es zaubert dir den schönsten Fond … Es macht alles mit.“

Léa Linster mit Kerstin Holzer: Mein Weg zu den Sternen. Aus meinem Leben. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 215 Seiten, ISBN 978-3-462-04713-4. Ab 18,99 Euro
Martin Theobald
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