Luxemburg und der Erste Weltkrieg Literturgeschichte(n)

Kriegswolken über Rümelingen

d'Lëtzebuerger Land vom 24.04.2015

Vor einem Jahrhundert hatten die Regierung, das Parlament, die Großherzogin, die Industrie und das Bistum auf das falsche Pferd gesetzt und an der Seite des Deutschen Reiches den Ersten Weltkrieg verloren (d’Land, 8.8.14). Deshalb hatte die Regierung die Zuschüsse für eine Ende dieses Jahres geplante Ausstellung über den Ersten Weltkrieg abgesagt. Den mit den Vorbereitungen beschäftigten Historikern war es nicht wichtig genug, sich über die staatliche Zensur hinwegzusetzen und ihre Ausstellung ohne viel Geld zu organisieren; am Ende blieb die Aufsatzsammlung Guerre(s) au Luxembourg – 1914-1928 (d’Land, 28.11.14).

Ohne viel Tamtam zeigt das Merscher Literatur­archiv nun seine eigene, höchst aufschlussreiche Ausstellung mit einem sorgfältig gemachten Katalog. Auch wenn sie sich auf die Perspektive der Luxemburger Literatur im Ersten Weltkrieg beschränkt, versucht sie doch, das Thema in einem allgemeineren Zusammenhang zu setzten. Die Luxemburger Literatur war erst wenige Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg aufgekommen, um mit Naturmetaphern den entstehenden Natio-nalstaat zu besingen. Dann kam 1914 das Deutsche Heer, und die Naturmetaphern blieben: Kriegswolken über Rümelingen (Nic Pletschette), Sturmzeiten (Camille Zimmer) oder Stûrm a Sonneschein (Willy Goergen) hießen die Gedichte und Erinnerungen an das Stahlgewitter, das über das spießig verschlafene Großherzogtum hereinbrach, wie der Studienrat Jos Tockert in der Jahre nach dem Krieg veröffentlichten Sammlung Heimat. Luxemburgische Erzählungen und Skizzen aus dem Weltkrieg kritisierte.

Eines der historischen Schlüsselwerke ist die in acht überarbeiteten Auflagen und einer Persiflage erschienene Gedichtsammlung Über den Kämpfen. Zeitgedichte eines Neutralen des späteren Ministers Nikolaus Welter. Es spiegelt auch den bis heute vertuschten Widerspruch zwischen dem Widerstandswillen eines Teils der Bevölkerung und der Kollaborationsbereitschaft der herrschenden Kreise wider. Wie das Großherzogtum zwar im Alltag unter den Kriegsauswirkungen litt, aber von den Kampfhandlungen weitgehend verschont blieb, beschrieb der liberale Journalist Batty Weber in Aus dem Wartezimmer des Kriegs. Neutrale Kalenderblätter. Anders als Batty Weber gab es aber auch Autoren wie Marcel Noppeney, Paul Palgen und Frantz Clément, die wegen ihrer pazifistischen und antideutschen Gesinnung nicht im Wartezimmer, sondern im Zuchthaus saßen.

Doch die Literatur besteht nicht bloß aus den selbstständigen Veröffentlichungen, die mit allerlei Militaria und Andenken von Privatsammlern inszeniert werden. Die Ausstellung erinnert auch daran, dass es eine ganze Literatur von ungedruckten Aufzeichnungen und Tagebüchern aus der Kriegszeit gibt. Vielleicht etwas zur kurz kommen die vor allem in der Presse veröffentlichte Zeugnisse der politischen und ästhetischen Radikalisierung, von denen allerdings einige literarische Texte schon 2012 in der Ausstellung über Satire zu sehen waren, andere in Gast Mannes’ Luxemburgische Avantgarde Erwähnung finden. Kaum Platz im auf Belletristik beschränkten Literaturzentrum finden leider die vor allem gegen Kriegsende erschienenen Broschüren über die Modernisierung des Staats und der Wirtschaft.

Welche Bedeutung der Erste Weltkrieg in der Literatur spielte, zeigte bereits 15 Jahre nach seinem Ende die Veröffentlichung der Studie Das Erlebnis des Weltkriegs in der luxemburgischen Dichtung. Diese vielleicht erste thematische Studie zur Luxemburger Literatur überhaupt ist heute etwas in Vergessenheit geraten. Denn ihr Autor, Alphonse Foos, hatte schon 1934 wieder auf das falsche Pferd gesetzt und musste am Ende des Zweiten Weltkriegs fluchtartig das Land verlassen.

Luxemburg und der Erste Weltkrieg Literaturgeschichte(n) ist bis zum 18. September im Centre national de littérature in Mersch zu sehen; montags bis freitags 9.00 bis 17.00 Uhr; www.cnl.public.lu; Katalog 267 S., 25 Euro
Romain Hilgert
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