Zu herb, zu süß, zu wässrig, – es gibt neuen Stoff für Meinungsverschiedenheiten und Connaisseur-Gehabe. Die Materie, über die noch vor vier Jahren niemand ein Urteil fällen musste, heißt alkoholfreies Bier. Heute quetscht das Ohne-Bier sich auf jede Getränkekarte, auf der es noch Platz findet; in den Supermarktregalen drängelt es sich vor die Hochprozentigen; es will aus seinem Nischendasein und hat dies letzten Sommer geschafft.
Ist die Menschheit in den westeuropäischen Breitengraden prüde und rauschaversiv geworden? Nein, schon seit der Antike faseln Philosophen von der Wucht technischer Innovationen; die Akteur-Netzwerk-Theorie hat gar eine regelrechte Obsession mit nicht-menschlichen Handlungsträgern und geht mit der Fragestellung hausieren, ob etwa Techniken und Gegenstände unser Sozialverhalten verändern. Im Falle von alkoholfreiem Bier muss man eingestehen: Neue Gärverfahren etablieren neue Trinkgewohnheiten.
Während früher nach einer gewissen Zeit die Gärung unterbrochen werden musste, geht das Brauwesen heute anders vor: Die Braumeisterinnen lassen das Bier zu Ende gären und entnehmen der Brühe anschließend das Prozentige. Umkehrosmose, Dialyse oder Vakuumverdampfung heißen die innovativen Verfahren, die die Aromen des Biers erhalten und die Restsüße reduzieren. So schafft es neuerdings das Brauwesen, ein fast richtiges Bier ohne Alkohol auf den Markt zu bringen. Daneben ist die neue Generation der Alkoholfreien mittlerweile tatsächlich alkoholbefreit, während die Vorgängerversion häufig bis zu 0,5 Prozent Ethanol enthielt – für trockene Alkoholiker nicht ganz unbedenklich.
Was würde Den Dokter zu dem Trend hin zum Prozentlosen sagen? In der Schwarzweiß-Werbung Den Dokter, die aus Zeiten stammt, in denen es noch Hüte tragende Männer gab, wird geschwärmt: „Déi beschten Medezin fir eise Kierper ass a bleift de gudde Lëtzebuerger Béier.“ Die drei Protagonisten entscheiden deshalb, „elo een zesummen huelen ze goen“. „Een zesummen huelen goen“ macht man nicht mit low- oder no-Prozentigem. Es steht für ein anderes Sozialverhalten; es steht für Geselligkeit, bei der man „elo mol lues mécht“, oder für das Trinkritual nach dem Sport. Denn in der Tat ist der Mineralstoffgehalt von dem Malz-, Hopfen-, Wasser- und Hefe-Gebräu nicht uninteressant: Mit Kalzium, Natrium und Magnesium punktet es. Deshalb gilt Bier als isotonisch – statt Isostar und andern Sportlergetränken können Durchgeschwitzte nach ihrem Training sorglos zum Flüssigbrot greifen. Insofern müsste Den Dokter auch dem Ohne-Bier seinen Segen erteilen.
Diekirch und Simon haben bereits 0,0-Prozentige lanciert. Die sucht man vergeblich auf alkoholfreishop.lu, wo Interessierte alkoholfreies Bier aus den Niederlanden, Belgien, Deutschland, Italien und Frankreich kaufen können. Weil alkoholfrei nicht immer ausreichend „frei“ ist, kann man den Algorithmus zudem auf vegan, halal und bio trimmen. In den Berlin-imitierenden Speciality-Coffee-Buden der Stater Gare sind daneben Cool Ginger Beers zu kaufen, in denen man das Bier vergeblich sucht. Das sei normal, so liest man: Es handele sich um eine scharf-süße Erfrischungslimonade, aber eben nicht um Bier – anders als der Name vermuten lässt.
Laut einer Eurostat-Auswertung verfallen 34 Prozent der Luxemburger Erwachsenen mindestens einmal im Monat starkem Alkoholkonsum. Damit führt das Großherzogtum mit Dänemark und Rumänien in der Liste der EU-Mitgliedstaaten. Diese Pionierposition wird vielleicht von dem Ohne-Bier herausgefordert. Denn Westeuropa ist mittlerweile führend beim Brauen des Prozentlosen. Berechnungen des Deutschen Brauer-Bundes prophezeien: Bald wird jedes zehnte Bier ein entalkoholisiertes sein. Die Barasserie de Luxemburg schreibt, das 0,0-Prozentige habe den Vorteil, dass man jetzt zu jeder Tageszeit von dem „vrai goût de la bière“ profitieren könne. „Un plaisir sans limite“ verspricht die Brasserie Simon. Santé! Prost!