Als Wahlluxemburgerin hat Frau es nicht leicht, wenn sie sich sprachlich integrieren will. Sie gibt ihr Bestes, Luxemburgisch zu reden – wenn die autochthonen Freund/innen eine/n lassen. Denn meistens schalten sie, sobald sie einen Akzent hören, auf Deutsch, Französisch oder sogar Englisch um. Und vorbei ist‘s mit dem Lernen durch Sprechen und Nachahmen. Also schaut sie luxemburgische Nachrichten und hört eifrig Radio. Die ganz Entschlossenen verfolgen die Sitzungen und die Kommunikationen im Parlament. Dort macht sich der Abgeordnete Fred Keup große Sorgen. Gefühlt fast jeden Monat einmal schickt der ADR-Mann eine parlamentarische Anfrage, in der er sich nach dem Befinden der Luxemburger Sprache erkundigt: ob als Unterrichtssprache, ob im Briefverkehr zwischen Krankenhäusern und Patient/innen, ob während des Kulturjahrs 2022 in Esch/Alzette.
Immer findet der Politiker, die Luxemburger Sprache werde zu wenig gesprochen und auch zu wenig geschrieben. Er klagt, in der Hauptstadt, in der inzwischen mehr als 70 Prozent Nicht-Luxemburger/innen leben, sei kaum mehr Luxemburgisch zu hören. Und schlägt Alarm. Nicht einmal Studien, die belegen, dass das Interesse für Luxemburgisch noch nie so groß war wie heute, dass Kinder und Erwachsene statt wie früher auf Deutsch, heute auf Luxemburgisch chatten, können ihn umstimmen. Als der Kommissar für die Förderung des Luxemburgischen im ADR-Tëlee unterstreicht, dass es ein reges Interesse, ja geradezu einen Run von den Wahlluxemburger/innen auf Luxemburgischkurse gibt, dass es nicht so lange her ist, dass in der Chamber Reden komplett auf Französisch gesprochen wurden, beharrte Keup kurz darauf: Die Gefahr, dass das Luxemburgische ganz verschwindet, sei „effektiv da“. Paradoxer geht es nicht.
Offenbar steht die Quantität für Leute wie Fred Keup über alles und allem. Denn sogar in der Sprache noch ungelenk agierenden Wahlluxemburger/innen fällt auf: In parlamentarischen Anfragen finden sich nicht selten Schreibfehler. Damit ist er nicht allein. In Redaktionsstuben und Bürokantinen weiten sich die Augen panisch, wenn nicht in Luxemburg geborene Mitarbeiter/innen von ihren eingeborenen Kolleg/innen eine Schreibhilfe verlangen: Wird der Ausruf Vreck nun mit F geschrieben oder mit V? Eine Umfrage fördert ans Licht: Viele Lëtzebuerger/innen liegen daneben, denn sie sind überzeugt, es wird mit F geschrieben, aber das Wörterbuch weist eindeutig Vreck als richtig aus.
Die Uneinigkeit der Autochthonen hat sogar die Regierung auf den Plan gerufen: Seitdem investiert sie ungeheure Summe darin, einen Rechtschreibkanon und eine einheitliche Schreibweise zu definieren. Auch mit dem Grammatik-Laxismus soll es bald vorbei sein. Im Superhirn Script des Erziehungsministeriums arbeitet eine eigene Arbeitsgruppe daran, Schrift-Luxemburgisch für die Schulen zu überarbeiten. Wie sieht es aus, wenn diejenigen, die unterrichten, sich selbst nicht darauf einigen können, wie denn nun der Papst auf Luxemburgisch geschrieben wird: mit einem oder zwei O?
Über die Rechtschreibung der Einheimischen machen sich Keup und seine Freund/innen allerdings weniger Sorgen. Oder hebt er die diesbezüglichen Anfragen für die zweite Hälfte der Chamber-Sitzungsperiode auf? Dabei handelt es sich übrigens um ein Phänomen, das man im Ausland ebenso beobachten kann: Die vehementesten Verteidiger/innen der deutschen Sprache, die den Untergang der deutschen Kultur in rechtspopulistischen Foren herbeischreiben, tun dies meist in einem Deutsch, dass es in den Augen schmerzt. Warum nur gehen Rechtssein und sogenanntes Nationalbewusstsein oft mit einer signifikanten Rechtschreibschwäche in der eigenen Sprache einher?
Dass es nicht am Bildungsstand liegt, haben soziologische Untersuchungen zu Genüge bewiesen: Die rechtsextreme AfD in Deutschland etwa wird von Mittelschichten gewählt, darunter Ärzte, Ingenieure, Professoren.
Man könnte das Sprachenthema ganz anders angehen. Liebevoller. Nicht so verkrampft. Purismus ist doch eher eine deutsche Sache, protestantisch-streng, damit sollten sich die mehrheitlich katholischen Luxemburger/innen nicht gemein machen. Nichts ist so langweilig, wie in einem Zug zwischen Hannover und Hildesheim reinstes Hochdeutsch zu hören. Da wünscht sich sogar die Norddeutsche wuchtiges Bayrisch herbei. Eine Konversation, in der dann Französisch oder Türkisch erklingt, weckt Träume nach fernen Ländern. Genau das Polyglotte, der behände Umgang mit mehreren Sprachen, die Offenheit und Flexibilität machen im kleinen Land Luxemburg und seine Leute so charmant und attraktiv. Wenn das verloren ginge, Vreck, das will man sich gar nicht ausmalen.