Wenn über Gewalt an Frauen gesprochen wird, werden meist Bilder von blauen Flecken gezeigt: sichtbare Verletzungen am Auge – Spuren gewaltsamer physischer Schläge, die Frauen erlitten haben. Doch die Wunden psychischer Gewalt sind in der öffentlichen Wahrnehmung unsichtbar. „Wir wollten eine andere Perspektive mit reinbringen, die psychische Gewalt, und auch bewusst jemanden aus einer anderen Schicht“, so Regisseur Eric Lamhène anlässlich der Presse-Preview.
Lamhène, der im Dokumentar-Bereich bereits ein paar Episoden der Serie Routwäissgro realisiert hat, nähert sich dem Thema bewusst dokumentarisch. Der Film basiert auf Recherchen, die er und seine Kamerafrau Rae Lyn Lee seit 2017 gemacht haben. Gemeinsam haben sie am Szenario geschrieben. Das Duo arbeitet seit 2009 zusammen.
Der Film besticht durch eine eindrucksvolle Kameraführung, darunter etwa eine Vergewaltigungs- und eine Abtreibungsszene ohne Voyeurismus, in denen sich dennoch das ganze Ausmaß des Schmerzes vermittelt; zugleich durch das fesselnde Schauspiel: Insbesondere Carla Juri ist in der Hauptrolle der Emma umwerfend. Luc Schiltz gibt ebenfalls überzeugend ihren manipulativen Ehemann, ein fieser Charakter, wenngleich nach außen hin ein charismatischer Typ. Sascha Ley ist in der Rolle der Leiterin des Foyers zu sehen: resolut und doch zugleich chronisch überfordert von den einzelnen Frauen-Schicksalen.
Im Frauenhaus an der Mosel finden Misshandelte unterschiedlicher Herkunft Zuflucht. Da ist Esperanza, „Espe“, die um das Besuchsrecht ihrer jugendlichen Töchter kämpft und sich mit Zigaretten selbst verletzt. Eine junge Heimbewohnerin (Alessia Raschella) hat einen drogenabhängigen Ex-Freund, der hartnäckig versucht, sie wieder an sich zu binden und hinabzuziehen. Der Ehemann der alleinerziehenden Mutter (Véronique Tshanda Beya), die nebenbei als Reinigungskraft arbeitet, versucht ihr noch immer ihre Jungs abzunehmen; die Hochzeit mit einer jüngeren Frau ist schon organisiert.
Jede der Frauen in dem Frauenhaus schleppt ihre eigene Last auf dem Buckel, trägt ihre individuelle Geschichte mit sich und ist mit ihrem Schmerz allein. In dem Foyer sind die Frauen zwar vor Übergriffen geborgen und unter sich, aber es herrschen – selbst nachts – ein ohrenbetäubender Lärm und Kindergeschrei.
Eric Lamhène und Rae Lyn Lee sind mit Vorurteilen in das Frauenhaus gegangen und haben dort gesehen, dass es ganz anders ist, als sie sich das vorgestellt hatten: Kinder, die spielen; einige Frauen, die sich streiten; andere, die miteinander kochen – eine eingeschworene Community. Danach sei ihnen klar gewesen, dass sie einen Film daraus machen wollten, um diese Gemeinschaft zu zeigen, die neue Familie, die dort entsteht, nach dem, was die Frauen erlitten haben. Vorangegangen sind dem Film jahrelange Recherchen mit dort tätigen Vereinen und Gespräche mit Sozialarbeiter/innen. Es wurden Interviews geführt, Geschichten für den Background, um zu verstehen, aber auch ein Stück weit, um die Realität zu spiegeln.
Kein Einzelschicksal wurde genauso übernommen, wie man es im Film sieht. Die vielen Geschichten sind vielmehr zu einem großen Tableau verwoben worden. Das Mobiliar wurde aus verschiedenen Frauenhäusern zusammengestellt. Und: In dem Foyer herrscht keine durch und durch heimelige Atmosphäre. So stößt Emma in Lamhènes Drama mit ihrer introvertiert-nachdenklichen Art, ihrer Mittelschichtsattitüde und ihren nächtlichen Heulkrämpfen nicht direkt auf Gegenliebe.
„Wegen Dir können wir nachts nicht schlafen“, wird ihr anfangs eine Bewohnerin des Foyers in einer offenen Tischrunde vorhalten ... und sie doch unterstützen. Denn auch Emma ist, wie die meisten Frauen in dem Foyer, nicht dagegen gefeit, zu dem Mann zurückzukehren, der sie psychisch manipuliert. Von der Erkenntnis, dass man sich manipulieren lässt, bis zur Selbstbefreiung ist es ein langer, steiniger Weg, auf dem Frau – der Filmtitel ist hier Leitmotiv – lange atemlos den Kopf über Wasser hält und sich nur langsam freischwimmt.
Auch Emma wird zunächst zurückkehren zu dem Mann, der sie misshandelt hat. Zum einen, weil sie nicht wahrhaben will, was geschehen ist, und ihren Mann vor anderen noch immer in Schutz nimmt; zum anderen aus dem Glauben und dem inneren Wunsch heraus, ihn zu ändern. „Miteinander reden“ wird zur Chiffre dafür, sich ihm ein weiteres Mal auszuliefern.
Es zieht einem den Magen zusammen, wenn sie zurückkehrt in das protzige Eigenheim, in dem sie einst mit ihm zusammenlebte, verloren in der Wohnung steht und vergeblich versucht, mit ihm zu reden. Ihr „Du musst Dich ändern“ verhallt folgenlos.
Beim Freischwimmen und dabei, die Realität, des erlittenen psychischen Missbrauchs klar zu sehen, spendet Théodore Emma Trost, ein Plüsch-Einhorn, das eines Tages vor ihrem Zimmer sitzt und das die Heimbewohnerinnen herumreichen, um den Neuangekommenen die Ankunft zu erleichtern. Dabei unterstützen sie aber auch die übrigen Mitbewohnerinnen, denn langsam entwickeln sich Freundschaften, Verständnis und Solidarität.
In einer nächtlichen Szene gehen sie auf eine Party in einen Club, wo sie sich mit bunten Leuchtfarben bemalen und tanzen. In einer weiteren Szene brechen sie auf an einen See und trinken Wein. Es sind gelungene Kamera-Einstellungen, die gerade deshalb unter die Haut gehen, weil sie kurze Freiheitsmomente beleuchten, die immer wieder getrübt werden von den emotionalen Aus- und Einbrüchen der Frauen. „Ihr seid nicht normal“, hält Emma den anderen Bewohnerinnen entgegen und sucht dennoch die Nähe zu ihnen und ihren Kindern. Tatsächlich kann so ein langsamer Heilungsprozess einsetzen, auch wenn die Übergriffigkeit ihres Mannes bleibt.
„Ich sehe eine Frau, die über Wasser treibt, aber von dem Gewicht noch immer nach unten gezogen wird“, sagt die Heimleiterin anfangs zu Emma. „Du verstehst gar nichts“, entgegnet Emma und pustet ihr dabei frech ins Gesicht: „Ich bin längst erstickt.“
Da schimmert kurz die überdrehte Carla Juri hervor, wie sie vor Jahren in der Hauptrolle in der leider recht nervigen Verfilmung von Charlotte Roches Feuchtgebiete (2013) zu sehen war. Und doch lebt dieser eindrucksvolle Film in erster Linie gerade von Juris unglaublich fesselndem, nuanciertem Rollenspiel. Als Ausländerin in Luxemburg, wo sie auch nach Jahren nicht souverän Französisch spricht (eine vermeintliche Schwäche, die ihr Mann ihr vorwirft), ist es für sie ohne Verwandte und soziales Umfeld besonders schwer, beruflich Fuß zu fassen. Ihrem Mann, einem gestandenen Architekten, hat sie es denn auch zu „verdanken“, dass er ihr einen Hilfsjob in seinem Architekturbüro vermittelt – Mittel zum Zweck und nur ein weiterer Baustein in dem Abhängigkeitsgeflecht, aus dem sich Emma allein befreien wird.
Hors d’Haleine beeindruckt vor allem dadurch, dass die Filmemacher/innen weder ihre Figuren noch die Zustände schwarz-weiß zeichnen und der Film trotz seines Themas nie ins Pathetische kippt. Dass ein Mann auf so sensible Weise die Realität missbrauchter Frauen einzufangen vermag, ist erstaunlich. Und so viel sei verraten: Am Ende steht kein Happy End, doch zumindest ein hoffnungsvolles Ende. Wer selbst in einer solchen Situation war, wird wissen: Es braucht fast ein halbes Leben, um sich freizuschwimmen.
Der Film wird in Gemeinden gezeigt, gefolgt von Diskussionsrunden, unter anderem für Schüler/innen, aber auch im Rahmen der Orange Week, und er läuft zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen im Utopia in allen Sälen. Man darf hoffen, dass es nicht nur Frauen und die ohnehin Betroffenen in die Kinosäle zieht. Denn das Drama ist nicht nur wegen der Sensibilität des darin verhandelten Sujets ein kleines Wunderwerk, sondern auch künstlerisch eine Wucht.