Es ist ein ganz sonderbarer Film, den Francis Ford Coppola, der Altmeister Hollywoods (The Godfather, 1972-1990; The Conversation, 1974) als sein mutmaßlich letztes Werk gedreht hat: Megalopolis – allein der Titel drängt auf die Superlative, die Überwältigung, den Exzess. Die Gigantomanie, die Coppola in seinem neuen Film betreibt, schied bereits im Frühjahr bei den Filmfestspielen von Cannes die Geister. Alles an diesem Film deutet auf die grenzenlose kreative Freiheit, die Coppola sich für dieses Herzensprojekt erarbeitet hat. Seine eigene Produktionsgesellschaft American Zootrope kam für den Film auf, den Coppola rund vierzig Jahre lang erträumt hat, aber nie angehen konnte. Die umständliche Produktionsgeschichte des Films hat im Laufe der Zeit einen übergroßen Charakter angenommen – beispielsweise wurde die Vorproduktionsphase durch die Terroranschläge vom 11. September unterbrochen – und führte sogar dazu, dass Coppola sein Weingut verkaufen ließ, um die Produktionskosten des Films aufbringen zu können. Es ist eines dieser Beispiele, wo die Entstehungsbedingungen rund um das Kunstwerk ein Narrativ entwickeln, das den eigentlichen Inhalt des Filmes auf eine ironische Weise doppelt. In Bezug auf den Regisseur Francis Ford Coppola dürfte das ohnehin nicht weiter verwundern: Hearts of Darkness: A Filmmaker‘s Apocalypse, das Making-of zu Coppolas Apocalypse Now kommt einem in den Sinn.
Angelehnt an die Reden Ciceros erzählt Megalopolis von dem Architekten und Wissenschaftler Cesar Catilina (Adam Driver), der die hochverschuldete Stadt New York neu ausrichten möchte – ein ambitioniertes Bauprojekt steht an, das erneuerbare Materialien nutzen will, um die Stadt so in die reinste Utopie zu überführen. Doch der Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito) sieht in Catilina einen Konkurrenten, der seine Machtposition gefährden könnte. Dabei deuten bereits die untersichtigen Kameraeinstellungen der Wolkenkratzer New Yorks in die Richtung, die dieser Film nehmen wird. Es geht aufwärts, eine Aufsteigergeschichte soll erzählt werden, die womöglich auch der Abschiedsfilm Coppolas ist, dem es letztlich im Kern nur um eines geht: Sich noch einmal über sich selbst erheben, sich ganz frei entfalten – kompromisslos, eigensinnig und entschlossen. Nur unter diesem Gesichtspunkt ist Coppolas neuem Film ansatzweise beizukommen.
Coppola hat Megalopolis in einem wilden Stilgemisch inszeniert: Die tradierte Vorstellungswelt vom antiken Rom – sie wird zuvorderst über Architektur, Maske und Kostüme heraufbeschworen – implementiert er gleichrangig in ein modernes urbanes Stadtbild der 1920-er Jahre, das mit visionären Bildern im Stile des urban decarb weiter verdichtet wird. In den Nacht-
szenen der regennassen Straßen, in denen sich grelles Neonlicht spiegelt, lädt Megalopolis auch in die Neo-Noir-Welt ein. In diesem Setting der Extravaganz, das das gesamte Erscheinungsbild des Films prägt, faltet Coppola ein shakespearesches politisches Ränkeschmieden aus, das von diversen Intrigen und Korruption geprägt ist. Dass Coppola darin eine ewige Wiederkehr der gleichen Machtspiele, der Betäubung der Massen durch „Brot und Spiele“, der gleichen politischen Intrigen und Zweckbündnisse sehen will, scheint evident. Idealismus und Pragmatismus kommen sich auf unheilvolle Weise in die Quere. Megalopolis will sich ganz offensichtlich als Kritik an der politischen Ignoranz der Reichen und Mächtigen verstanden wissen. Bei all den Anachronismen und dem Pomp, die diesen Film in seiner Aufmachung so einprägsam wie bizarr erscheinen lassen, bleibt womöglich gerne übersehen, dass Coppola damit einen letztlich ernst gemeinten Befund der desolaten politischen Verhältnisse der Vereinigten Staaten von Amerika setzten möchte. Und doch glauben der Film und sein Regisseur an die bessere Welt, die reine Utopie, die hier eine ohne Klassenkämpfe sein soll – eine politische Fabel zwischen universellen Aussagen und harschen, konkreten Gegenwartsbezügen.
Ferner wirft der Film existenzialphilosophische Fragestellungen auf, die er vor einer übergroßen Uhr und orangeroten Sonnenuntergängen aushandelt. Hier wird von der großen Fallhöhe eines visionären Träumers erzählt, der in der Dämmerung über Zeit und Raum philosophiert – eine Idee, die der taumelnde Protagonist gleich im Auftakt sinnbildlich vollführt: In imposanter Höhe, auf dem Dach eines riesigen Gebäudes schwebt er über dem Abgrund, nur um kurz vor seinem Absturz die Welt in einen Stillstand zu versetzen – es ist die Dimension des Tragischen, denn dieser Cesar Catilina ist wie versessen darauf, die Zeit zu beherrschen, doch anhalten kann er sie nicht. Gerade unter diesem Gesichtspunkt lässt Megalopolis augenfällige Bezüge zu seinem Schöpfer zu: Der mittlerweile 85-jährige Regisseur, dessen Werk im amerikanischen Kino seinesgleichen sucht, beschaut sich in diesem Film gewissermaßen selbst. Die Sorgen und Ängste, die diesen Cesare Catilina umtreiben, beschäftigen auch Coppola: Welches Vermächtnis der Welt hinterlassen? Wie in Erinnerung bleiben? Coppola beschaut den Menschen in Bezug auf die Zeit und den Raum mit einem verklärenden Romantizismus, den er immer wieder mit ausladender Dekadenz bricht, die sich besonders in Szenen des reinsten Spektakels entfaltet: Die imposanten Wagenrennen im Stile einstiger Monumentalepen wie Ben Hur (1959), die hier in umgebauten Broadway-Stadien stattfinden, sind nur eines von vielen prägnanten Beispielen. Während einer riskanten Trapez-Nummer heißt es da nicht zufällig: „Von diesem Moment an arbeiten wir ohne Netz!“ Das Zügellose einer machttrunkenen Stadt soll beschrieben werden; nicht immer ist in diesem überladenen Spektakel klar auszumachen, wo der Stilüberschuss in Megalopolis prägnant den Exzess der dekadenten Stadtobrigkeit widerspiegelt und wo er sich tatsächlich in einen reinen erzählerischen Leerlauf begibt – ein Sicherheitsnetz kennt dieser dreistündige Film nicht. Strenge und Konzentration können nicht die Leitlinien in der Ausführung von Megalopolis gewesen sein – die Abwesenheit einer externen Studioinstanz wird da überaus spürbar. Coppola verweist auf dieses eigenwillige überbetonende Moment mit der selbstreflexiven Einstellung eines reißenden Filmbandes.
Dabei war die Hinwendung zur reinen Ästhetik des Films Coppola nie fremd. Seine Adaption von Bram Stokers Dracula (1992) etwa wurde besonders dem Manierismus zugeordnet. Mit Susan Sontag gesprochen, erschöpft Megalopolis sich indes im „camp“, in einer ganz eigenen Weise, die persönliche Vision einer Welt über ästhetische Phänomene erfahrbar zu machen. Dabei gibt sich Coppola keine Blöße, er erzählt viel und ausschweifend; das Auseinanderklaffen von Form und Inhalt ästhetisiert er dabei selbstreflexiv mit. Es ist gerade das „Campartige“ des Films, das die Oberhand gewinnt und die Grenze zum Kitsch bisweilen überschreitet. Der Formenüberschuss indes zeugt von der Eigenwilligkeit und der Überzeugung dieses Veteranen des amerikanischen Kinos, dass Film nur persönlich sein kann; die ganze künstlerische Entscheidungsgewalt hat er für diesen Film auf sich vereinen können – sie vermag es, einen ebenso fasziniert wie ratlos zurückzulassen.
Hinter Megalopolis steht auf jeden Fall das Selbstverständnis eines Regisseurs, für den das US-Kino einst eine doppelte Identität besaß: Sehr persönliche, ambitionierte, ästhetisch gewagte Filme konnten zugleich kommerziell überaus erfolgreich sein. Was damals die Formel für den erfolgreichen Kassenschlager war, ist heute Experiment. Freilich lässt sich sagen, dass mit der radikalen Ablehnung dieser wilden Anachronismen – wie die Ersteindrücke in Cannes augenfällig bezeugten – die Pforte durchaus offen ist, sich über diesen Film lustig zu machen. Megalopolis erscheint wie ein sonderbares Artefakt, ein Film, der von den ehemaligen Ansprüchen und Widersprüchen des New Hollywood ebenso zeugt, wie er klarmacht, was heute davon geblieben ist.