Junckers Mea culpa zum Wohnungsbau

Leere Worte

d'Lëtzebuerger Land vom 10.02.2005

Der Staatsminister hat in der Wohnungsbaupolitik versagt. Das stellt niemand anders fest, als der Premier selbst. Dabei habe er als Staats- und Finanzminister "alles getan [...], um Wohnen in Luxemburg für jedermann hier im Land erschwinglich zu machen", beteuert Jean-Claude Juncker in seiner Rede über die politischen Prioritäten seiner Regierung in der Chamber am vergangenen Mittwoch. Dass die Politik der CSV, die das Wohnungsbauministerium seit mehr als 25 Jahren führt, angesichts jahrelang anhaltender exorbitanter Wohnpreise gescheitert ist, daran dürfte niemand mehr ernstlich zweifeln. Daran, dass der Staats- und Finanzminister - und allen voran Wohnungsbauminister Fernand Boden - alles getan haben, um die Misere zu lindern, aber durchaus. Denn eher das Gegenteil ist der Fall. Bereits 1991 erschien eine umfassende Untersuchung zum Wohnungswesen in Luxemburg. Erstellt wurde die „Lip-Studie" im Auftrag des damaligen Ministers für Wohnungsbau und Urbanismus, Jean Spautz (CSV). Auf über 100 Seiten und anhand zahlreicher Statistiken, rechneten die Experten nach, wie viele Wohnungen in Luxemburg zu jenem Zeitpunkt noch gebaut werden müssten, um die Schere zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen. Das ernüchternde Fazit: Schon damals fehlten jährlich über 3 200 neue Wohnungen. Ohne staatliche Eingriffe vor allem im Marktsegment der kostengünstigen Wohnungen sei "kurz- und voraussichtlich auch mittelfristig keine Verbesserung der Wohnungsmarktsituation zu erreichen", hieß es unmissverständlich und mit besonderem Augenmerk auf die sozial Benachteiligten, denen im Preiskampf oft nur die Wahl zwischen kleinen und schlechten Wohnungen bliebe.  Fast 15 Jahre später kann von Besserung noch immer keine Rede sein. Verschiedene, in der Lip-Studie aufgeführte Ansätze, wie die nationale Datenerhebung über leer stehenden oder falsch genutzten Wohnraum, die umfassende Mängelsanierung oder das Anlegen von Baulandreserven harren weiterhin ihrer Umsetzung - und dies obwohl mit einem Bevölkerungswachstum von über 30 Prozent in den vergangenen 30 Jahren das Wohnungsproblem nicht kleiner, sondern größer geworden ist. Statt den Weg für einen Bauboom freizumachen, wird, sobald das neue Budget  gestimmt ist, demnächst eine neue Studie angefertigt. Von denselben Autoren und fast zum selben Thema. In drei Arbeitsschritten sollen sie eine Basis für den "Plan sectoriel logement" erarbeiten, den der "Programme directeur d'aménagement du territoire" (1999) bereits seit über fünf Jahren vorsieht. Als zentrales planerisches Instrument soll er helfen, landesweit mehr Wohnungen zu erschwinglichen Preisen zu bauen, ohne dabei gegen die Grundsätze der im Integrativen Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept (IVL, 2004) festgeschriebenen nachhaltigen Landesplanung zu verstoßen. Einmal mehr werden ausländische Experten dafür den aktuellen Wohnungsmarkt durchleuchten, Zahlen von Statec und "Observatoire de l'habitat" studieren, Bedarfsprognosen erstellen, um daraus Vorschläge für eine effiziente Wohnungsbaupolitik in Stadt und Region zu entwickeln. Eine interministerielle Arbeitsgruppe mit Vertretern aus Gemeinden und Innen- sowie Wohnungsbauministerium soll diese dann diskutieren. All das kostet. Einem Arbeitspapier zufolge, das dem Land vorliegt, würden allein für die ersten zwei Module inklusive Mehrwertsteuern geschätzte 198 000 Euro fällig, womit das Gutachten knapp unter der europäischen Grenze für ausschreibungspflichtige Dienstleistungen liegt. Gegen einen kostenintensiven Auftrag für eine derartige aufbaufähige Grundlagenstudie ist im Prinzip nichts einzuwenden - würde es nicht bereits eine ähnliche Untersuchung geben. Der "Fachbeitrag zum Plan directeur sectoriel logement" aus dem Jahr 2002, im Auftrag des Wohnungsbauministers vom Planungsbüro Zilm verfasst, hat ebenfalls Daten über Wohnungsbestand, Bevölkerungswachstum, Bautätigkeit et cetera gesammelt, um daraus Leitlinien für eine nachhaltige Wohnungspolitik und einen Landeswohnungsbauplan zu definieren. Die Untersuchung kam zu dem wenig überraschenden Schluss, die bisherige Bautätigkeit reiche bei weitem nicht aus, um den künftig weiter steigenden Bedarf an Wohnungen zu decken. Die Autoren schlugen deshalb Maßnahmen vor, die teilweise bereits in der Lip-Studie genannt wurden: den subventionierten Wohnungsbau intensivieren, flächensparender bauen und dabei das System der "Zentralen Orte" (ein Konzept des IVL) berück-sichtigen, neues Bauland mobilisieren und für die öffentliche Hand reservieren. Daraus wurde nichts. Die Studie verschwand nach ihrer Veröffentlichung auf Nimmerwiedersehen in einer ministeriellen Schublade. Auf die Frage, warum gewonnene Erkenntnisse nicht einfach vertieft wurden und als Grundlage für eine damals schon im Gespräch gewesene interministerielle Arbeitsgruppe dienten, wollte der Erste Berater des zuständigen Ministers, Daniel Miltgen, keine Antwort geben. Doch es ist längst ein offenes Geheimnis, dass aus dem Wohnungsbauministerium seit Jahren gegen einen sektoriellen Ansatz, wie ihn das IVL vorsieht, interveniert wurde. Zudem war das Verhältnis zwischen Wohnungsbau- und Landesplanungsministerium bis vor kurzem Insidern zufolge äußerst angespannt. Er habe nachgegeben, sagte Miltgen im Gespräch mit dem Land. Somit kann der Sektorplan Wohnung in den nächsten Jahren also kommen - wenn alles glatt geht. Es sind aber nicht nur interne Querelen, Animositäten und inhaltliche Differenzen, welche das angeblich von allen Beteiligten so gewünschte, rasche Vorwärtskommen im Wohnungsbaudossier behindern. Die Wohnungsbau- und Landesplanungspolitik der CSV erschöpft sich seit Jahren weitgehend in einer Ankündigungspolitik. So ist in regelmäßigen Abständen - meistens im Kontext von Wahlen oder wenn der öffentliche Druck gerade wieder einmal zunimmt - von der progressiven Grundsteuer die Rede. Der Premier hatte sie bereits in seiner Rede zur Lage der Nation von 2002 allzu gierigen Bodenspekulanten angedroht, sogar mit Datum: ab 1. Januar 2005. Bisher ist es bei den Drohungen geblieben. Und obwohl im schwarz-roten Koalitionspapier die Einführung erneut versprochen wird, besteht wenig Hoffnung, dass sich das in Bälde ändern wird: Auf eine parlamentarische Anfrage zum „Impôt foncier" erklärte Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) am 11. Oktober das Finanzministerium als allein zuständig für Steuerfragen. Das aber spielt den Ball kurzerhand zurück: Vorschläge für eine Grundsteuerreform oblägen dem "Conseil supérieur des finances communales", und der sei dem Innenministerium unterstellt. Bisher scheint es jedenfalls keine einzige Vorarbeit in keinem der betreffenden Ministerien für eine Grundsteuerreform zu geben. Allein dafür braucht es oft mehrere Monate. Gegen eine fiskalpolitische Wende bei der CSV, welche vermögende Grundstücksbesitzer zur Verantwortung zieht und statt der Nachfrageseite verstärkt das Angebot in den Blick nimmt, spricht zudem die Verlängerung bereits bestehender steuerlicher Maßnahmen bis 2007, die der Premier in seiner aktuellen Rede ebenfalls versprochen hat. Dabei ist deren Preis mildernde Wirkung bis dato nicht erwiesen. Experten gehen vielmehr davon aus, dass Baupromotoren die Vergünstigungen für angehende Eigentümer etwa bei der Mehrwert- und der Registrierungssteuer durch überteuerte Angebote regelrecht "einpreisen". Sogar die Erbpacht, eingeführt, um horrende Bodenkosten zu neutralisieren und vom Staatsminister neuerdings zur Chefsache gekürt, kann in diesem Sinne kontraproduktiv wirken und tut es möglicherweise auch schon: In Rümelingen verkauft der "Fonds du logement" Häuser für je 300 000 Euro. Da fragt sich, wen der staatliche Wohnungsbau eigentlich subventioniert.   Die kaum geführte Diskussion um eine Baulandmobilisierung - A und O einer effizienten Wohnungsbaupolitik - zeigt, wie wenig ernst es die politischen Verantwortlichen, allen Beteuerungen zum Trotz, meinen. Während im Ausland längst Gutachten über "Best practises" zirkulieren, die Gemeinden darüber informieren, wie sie mit welchen Mitteln am besten notwendiges Bauland akquirieren können, aber auch wie sie zum Beispiel für Erbpachtverträge werben können, wird hier zu Lande auf allen Ebenen eine Vermeidungstaktik gefahren. Die Gesetzeslage erlaubt es den Gemeinden beispielsweise, Bebauungsfristen vorzusehen. Aber auch der Staat hat es bis heute versäumt, gangbare Wege in der Baulandmobilisierung aufzuzeigen und ein kohärentes Konzept vorzulegen, das unterschiedliche Instrumente, wie das kommunale Vorkaufsrecht, Bebauungs- und Nutzungsfristen, progressive Strafsteuern et cetera, sinnvoll miteinander kombiniert. Ein vom Regionalfonds der EU kofinanziertes Gutachten aus dem Jahr 2000 über die Mobilisierung von Bauland in der Alpenregion (in punkto Besitzstandsdenken und Zersiedelung Luxemburg durchaus ähnlich) hat verschiedene Praktiken miteinander verglichen. Es stellt fest, dass eine wirksame Boden- und Baulandpolitik nur mit einer "abgestimmten Ausgestaltung" und "konsequenten Ausführung" sowohl von Anreiz- wie dirigistischen Instrumenten zu erreichen ist. Bei Strafmaßnahmen aber, so die Gutachter, bräuchten die Gemeinden Unterstützung "von oben" durch die Landesregierungen. Insofern ist der proklamierte Pakt zwischen Staat und Gemeinden, der in den nächsten Wochen durch eine Werbekampagne für mehr kommunale Bautätigkeit begleitet werden soll, eine gute Idee (die seit Jahren angemahnt wird). So lange es der Staat jedoch - bewusst oder fahrlässig - versäumt, den Gemeinden die nötigen Instrumente an die Hand zu geben und ihre Anwendung zu überprüfen, bleibt der Pakt ein hohles Versprechen mehr. Derlei Unterlassungssünden ließen sich noch eine ganze Reihe aufzählen, erinnert sei an das „Carnet de l'habitat", das nach über fünfjähriger Vorbereitungszeit dieses Frühjahr in ein Gesetz gegossen wurde, oder an den vom Staatsminister 2002 erteilten Auftrag an das Innenministerium, kommunale "Wohnentwicklungspläne" einzuführen. Sie kamen nicht, und ausgerechnet der damalige Verantwortliche, Michel Wolter (CSV), gefällt sich heute in der Rolle desjenigen, der eine dirigistische Politik seitens des Staates fordert. Eins aber sticht besonders hervor: Wenn der CSV der soziale Wohnungsbau tatsächlich so wichtig ist und ihr die Wohnungspolitik der letzten Jahre nicht mehr schmeckt, warum hat sie den zuständigen Minister nicht einfach ausgetauscht? 2004 wäre dazu wieder eine Gelegenheit gewesen. Einen - sozialistischen - Anwärter für den Posten gab es; der Gesundheitsminister sitzt nun als beobachtender LSAP-Vertreter in der interministeriellen Arbeitsgruppe dabei. Das hätte nicht zuletzt jedoch geheißen, eine traditionelle Klientel der CSV - die Wohnungs- und Grundsstückseigentümer - zu verprellen. Und sich mit dem CSV-Stimmenfänger Nummer eins aus dem Osten anzulegen. Wegen seines Stoizismus und seiner Begabung, Kritik geradezu von sich abperlen zu lassen, wird Fernand Boden auch mal "Teflonminister" genannt. Dass der Spitzname nicht von ungefähr kommt, zeigt die Reaktion des erfolgsarmen Langzeit-Wohnungsbauministers kurz nach Junckers Brandrede: Wenn der Druck nur groß genug ist, regelt der Markt das schon, tönt er unbeirrt.

Ines Kurschat
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