Die kleine Zeitzeugin

Karl, ein Knicks

d'Lëtzebuerger Land vom 01.03.2019

Er mochte Kühe. Jetzt ist es endgültig um mich geschehen, wer bekennt sich schon zu Kühen, diesen mampfenden, dampfenden Muttermonstern, außer einer Milliarde Hindus natürlich?

Und dann er, von dem man eher eine Affinität zu Schwanenhalsschwänen erwarten würde oder zu Antilopinnen. Nein, Kühe! Dabei schaute er treuherzig, aus tiefster Kuhseele, durch seine Sonnenbrille. Doch obschon er Kühe mochte, puderte er seine, wie er meinte, kuhfarbenen Haare – in Luxemburg nennt man das kuhblond, eine wenig gehypte Haarfarbe – weiß. Man muss es mit der Liebe ja auch nicht übertreiben.

Ja, kaum hat er seine Seele ausgehaucht, geht es mir wie vielen andern, denen er plötzlich, welch eine Erscheinung!, hochdosiert am Bildschirm erscheint. Ich bin eine Fanin.

Dabei habe ich keine Ahnung von seiner Mode, hab überhaupt keine Ahnung von Mode, Twiggy war die letzte Influencerin, die meinen Dress Code wesentlich prägte, danach gab es den Jutesack, den echten aus der Scheune der Großmutter, absolut tragbar. Aus dem Müll Gefischtes, damals schon trendy, aber nur in Fundi-Kreisen. Ökologisch, ökonomisch.

Was die perverse kapitalistische Mode-Industrie trieb, fand in einem parallelen Universum statt, die Skulpturen, die Weibern auf den Schädel gepflanzt wurden, die Kostümchen, die verzweifelten Einfälle wie beim Kinderfasching, die Bestrebungen, Frauen zu Aliens oder Comic-Figuren aufzurüsten, später auch Männer, Skelette mit Firlefanz zu behängen. Die diversen Losungen, alle auf los!, die ausgegeben wurden, barock oder puristisch oder wieder zurück in dieses oder jene Jahrzehnt. Der ganze Kostüm-Karneval, für sowas gab es nicht mal mehr ein Achselzucken, Eva- und Adamskostüm reichten mir im Wesentlichen, der Rest war nur klimatischer Notwendigkeit geschuldetes Accessoire.

Hin und wieder, herumstreunend zwischen Bildschirmbildern, war ich ihm schon begegnet. Karl, wie ich ihn seit den Kühen nenne. Wobei, darf ich das überhaupt, außer unter vier Kuhaugen, ist das nicht ein Übergriff, posthum auch noch? Diesem Kon-Zen-trierten gegenüber, diesem hundertprozentig Präsenten gegenüber, von einer egal wie gewandeten, hochgradig zerstreuten Prokrastiniererin?

Was Karl sagte, hatte es in sich. Und wie er es sagte. Der Mann in Schwarz mit dem weißen Haarschwanz, sein Gewicht, großes Thema, hat er reduziert auf das Wesentliche, alles hat er reduziert auf das Wesentliche. Selbst die bei Interviews servierten Plauder-Häppchen waren al dente, er war ein großer Meister des kleinen Talks.

Der Aufrechte, immer in Schale, zusammengehalten von seiner Schale, seiner Rüstung. Kopf hoch, das Löwen-Antlitz über dem Vatermörder. Die Fingerkuppen aus schwarzem Leder ragend wie in einem schlechten Psycho-Thriller.

Der schwarze Ritter, der Asket, der Mönch der Mode, Ausschweifungen, wie man früher sagte, können wir uns höchstens zusammenfantasieren. Der Über- Mensch, wie Joop im Nachtodzustand fabuliert. Der preußische Junker, das Ethos heißt Arbeit. Der Zen-Buddhist, seine Zeit ist jetzt. Der Priester für Ungläubige, wie er einmal scherzte. Der, der einen Vogel mit seiner Katze hatte. Der Eremit in seiner Luxus-Suite, der Muttersohn, der Liebende. Der liebte, bis dass der Tod ihn schied und darüber hinaus, Asche zu Asche. Diese Erscheinung in einer Welt des Scheins. Die Disziplin der Eleganz, etwas, was man Haltung nennt.

Und trotzdem der Unterhaltsamste. Der mit dem Witz, den Pointen, der mit einer Handbewegung etwas vom Tisch wischte, einer unnachahmlichen.

Der Mann, der allein war, allein sein konnte. Splendid Isolation. Trotzdem treu Gefährt_innen gegenüber. Ja, uff, toll, alles okay, aber warum spendete er die Choupette-Kohle nicht allen Katzen der Welt oder Straßenköter_innen? Oder besser noch: Menschen? Mir zum Beispiel?

Ja, warum nicht? Wo er doch so reich war, mit Schlössern und Gütern gar. Aber dann sickern Wohltätigkeiten durch, Kind mit Krebs, Sorge Menschen gegenüber, die für ihn da waren. Güte und Treue, Fürsorglichkeit, altmodische Eigenschaften ohne Glamourfaktor. Die rührend schräge Geschichte eines immer islamischer werdenden Ehepaars, das eines seiner Landgüter betreut, die Weigerung der Frau, bei Anwesenheit eines Mannes zu bedienen. Sie zu entlassen, bringt er nicht über das Herz. Er geht einfach kaum noch hin.

Nach dem Tod? Dafür hatte Karl nur eine Handbewegung übrig, Leichtigkeit und Grandezza. Vorbei, weg damit. Dazu das Pfft, dieses verächtliche Luftausstoßen das er so meisterlich beherrschte. Das Pfft, das alles auflöst, alles löst sich in Luft auf, er wird sich aus dem Staub machen.

Seine Überreste, damit wollte er niemand belästigen, weg damit, pfft! Zum ersten Mal finde ich ein Schnauben unnachahmlich.

Ein Knicks vor dem Marquis de L., ich gehöre ja noch zu einer Degeneration, in der Mägdelein das Kulturgut Knicks vermittelt wurde. Wenn sie im unhöfischen Luxemburger Ambiente diesen reizenden Dressurakt außer vor lila Bischöfen auch kaum je anbringen konnten.

Ein Knicks vor dem Marquis de L. kommt mir voll okay vor.

Michèle Thoma
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