Die kleine Zeitzeugin

Zoo, Wildniskonserve

d'Lëtzebuerger Land vom 15.02.2019

Im Alter von sieben Jahren lege ich einen Eid ab, vermutlich den einzigen meines Lebens. Nie, nie wieder werde ich einen Zoo betreten. Gerade bin ich weinend rausgelaufen aus dem Straßburger Zoo, vor den in der Allee am Eingang in Eisenketten stehenden Papageien. Angesichts der Todtraurigen hinter Gittern.

Den Schwur breche ich mehr als vierzig Jahre später, anlässlich eines Familientreffens verschlägt es mich in den Schönbrunner Tiergarten. Meine Beklemmung weicht schnell, die Käfige sind so genannten Gehegen gewichen, in denen unsere Mitgeschöpfe so genannt artgerecht gehalten werden. Bei einigen tigere ich aber schnell vorbei, keine Freundin mit mehr Klauen, Federn, Zähnen als ich soll mir in die Augen schauen. Und Gott sei Dank hat meine Seele, oder was von ihr übrig ist, ordentlich Hornhaut gekriegt. Und Wetter gut, Schmaus war es auch, so lustwandele ich inmitten, ja, schön, kaiserlicher Architektur und ihren ruhig gestellten Insass_innen im relativ Grünen. So schlimm auch wieder nicht (mehr).

Zeitmaschine, ächz, krächz, wieder einmal, ja, die Enkelkinder, ja, etwas unternehmen, nicht langweilig, lehrreich auch, etwas mit Luft und Lust beziegungsweise Fun, mit etwas, das trompetet oder einen Schweif aufrichtet oder sich aufplustert oder zum Affen macht. So wunschvorstelle ich mir das jetzt, ein Großmutter-im-Zoo-Bilderbuch. Giraffen-Girls, langhalsige Ballerinas auf dem Cat Walk mit Designer-Fell, so eins hätte ich auch gern. Löwenpapas, Löwenpaschas, die Mama jagt auch. Also in der Natur. Der so genannten, aber eigentlich gibt es die nicht mehr. Sie ist nur noch eine Fiktion, würde man den Enkel_innen sagen, wären sie schon im entsprechenden sprechenden Alter. Oder auch nicht sagen. Würde ja alles verderben. Oder auch nicht.

Denn wir sind im Zoo, um Gutes zu tun. Allein schon dadurch, dass wir hier sind und unsere Langnasen in den Lebensraum unserer nahen und entfernten Verwandten stecken, oder sie zumindest symbolisch an ausbruchsicheres Glas pressen. In den Lebensraum, den wir ihnen vorher genommen haben und jetzt fair wiederschenken, klimatisiert sogar, alles all inclusive. Kost. Logis. Mit Arktisfrischluft oder fauliger Flußodeur. Weil in Afrika, nur als Beispiel, liebe Nachkommen, haben die mit den Stoßzähnen und Nashornhörnern ja keine Perspektive mehr, sie müssen also unter unsere Fittiche kommen wie die Mumien und die Götter. Denn die Afrikaner, liebe Nachkommen, sind wild auf Profit. Nicht so schlecht also, der Deal, die Haftbedingungen optimal, wer will einer natürlichen Feindin zum Opfer fallen? Statt einer unnatürlichen.

Das wird uns jetzt auf Schritt und Tritt eingebläut, wir erhalten die Art, diese und jene, die Vielfalt gar mit unserem Zoo-Voyeurinnen-Ticket, wir können Krokodil-Patin oder Insekten-Sponsor werden. Weil ja beinahe alle schon beinahe ausgestorben sind, wir sehen hier die letzten Exemplare, die künftigen Ex-Exemplare.

Unsere irdischen Mitbewohner_innen also jetzt hinter Glas, schön sauber, kaum noch bestialischer Gestank, gut gehalten. Nur ihr Verhalten lässt zu wünschen übrig. Manchmal ist es etwas verhalten, bei dem Preis. Die Nilpferde, die nur noch bei Großmüttern so heißen, sind steinern, beziehungsweise düstere Fleisch-Installationen. Depri-Dekos. Okay, der Pandabär ist quasi ausgestorben, aber so tot muss sich der globale Zoo- Liebling und Werbeträger nun auch wieder nicht stellen. Die Eisbärin ist konsequente Katatonikerin, niemand kann sie aus der Konserve locken.

Sind die überhaupt echt?

Dafür, dass wir ihnen ein Lebensräumchen, ein Überlebensräumchen, mahnen die Schautafeln, zur Verfügung stellen und auch noch Eintritt zahlen, könnten unsere gefiederten und gehörnten Freund_innen wirklich für uns den Affen machen. Quietschfidel rumturnen, angerobbt kommen. Possierlich sein oder respekteinflößend bedrohlich, während uns im Safe Space schaudert, light.

Sind die überhaupt echt? Aber was ist echter als der Fake?, murmelt Zoon politikon vor dem Glas mit den live Schau-Objekten vor sich hin, der größte Bluff ist der echte Wilde. Nur ein Pfeil im Herzen kann uns von unserer Blödheit erlösen.

Michèle Thoma
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