„Décke Sträit“

d'Lëtzebuerger Land du 01.11.2024

Er müsse manchmal schmunzeln, wenn er die Überschriften in den Medien liest, wenn dort steht „Décke Sträit tëscht deem an deem“, spielte CSV-Premier- und Medienminister Luc Frieden am Freitag auf der Pressekonferenz nach dem Regierungsrat die in den vergangenen Wochen für Luxemburger Verhältnisse ungewohnt heftig geführte Auseinandersetzung zwischen CSV-Arbeitsminister Georges Mischo und den Gewerkschaften OGBL und LCGB herunter. Dabei seien „Meinungsverschiedenheiten in einem Punkt“ nicht unbedingt dicker Streit, sondern Teil der demokratischen Debatte, sagte Frieden. Und kündigte die „Modernisierung“ der Arbeitszeiten an, die im Koalitionsabkommen stehe: „Dofir si mer gewielt ginn, dofir hu mer eng Majoritéit.“ Dazu gehöre die Sonntagsarbeit, die man „wéint de Leit“ liberalisiere, damit die Beschäftigten im Einzelhandel nicht nur für vier Stunden aus Lothringen nach Luxemburg kommen müssten, sondern für acht. Man wolle die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern, meinte Frieden.
Von welchen „Leit“ der frühere Präsident der Handelskammer und ehemalige BIL-Präsident sprach, lässt sich erahnen: Das Forschungsinstitut Liser hatte vor fünf Jahren in einer repräsentativen Studie die im Einzelhandel beschäftigten Leit befragt und ermittelt, dass Angestellte, die sonntags (und abends) arbeiten, gestresster und unzufriedener sind; viele lassen sich darauf ein, weil sie befürchten, ansonsten ihren Job zu verlieren oder bei ihren Arbeitskollegen schlecht angesehen zu sein. Als Gegenleistung für die Sonntagsarbeit wünschten sie sich Lohnerhöhungen, ausgedehntere Urlaubsphasen und eine längerfristige Arbeitsplanung, nach der sie sich richten können – was im CSV-DP-Koalitionsabkommen nicht vorgesehen ist. Das Liser hatte auch eine Befragung bei den Unternehmen durchgeführt, aus der sich ergeben hatte, dass vor allem Supermärkte und große Handelsketten mit über 25 Mitarbeiter/innen von verkaufsoffenen Sonntagen profitieren. Weil im Koalitionsvertrag zwar steht, dass, aber nicht wie die Sonntagsarbeit ausgedehnt werden soll, hatten CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz und die CSV-Abgeordnete Stéphanie Weydert in den vergangenen Wochen dafür plädiert, das per Tarifvertrag anstatt per Gesetz zu tun, was es den Gewerkschaften erlauben würde, Kompensationen auszuhandeln, und der Regierung, wie in der EU-Mindestlohnrichtlinie gefordert, die tarifvertragliche Abdeckung zu erhöhen. Sodass es in dieser Frage auch „Meinungsverschiedenheiten“ innerhalb der Partei des Premiers gibt. OGBL-Präsidentin Nora Back drückte ihre Meinungsverschiedenheit mit der Regierung am Montag im Quotidien so aus : „Nous vivons une attaque inédite contre les syndicats.“ LCGB-Präsident Patrick Dury hatte sich vergangene Woche im RTL Radio sehr ähnlich geäußert.

Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Gewerkschaften hatte es in den vergangenen Wochen aber vor allem gegeben, weil der Arbeitsminister sich weigerte, das exklusive Recht der Gewerkschaften zur Verhandlung von Kollektivverträgen anzuerkennen. Frieden bekannte sich am Freitag zwar zu diesem Recht, hielt aber an Mischos Erzählung fest, dass „d’Hallschent ongeféier vun de Personaldelegéierten an de Betriber net an enger Gewerkschaft sinn“. Nun ist es so, dass es in den Betrieben sehr unterschiedliche Konstellationen gibt: Betriebe mit nur Gewerkschaftsdelegierten, solche mit neutralen und Gewerkschaftsdelegierten und auch Betriebe mit nur neutralen. Die Gründe dafür sind vielfältig, doch grundsätzlich können alle Delegierten Kollektivverträge verhandeln, vorausgesetzt, sie werden dabei von einer Gewerkschaft unterstützt – auch wenn sie selbst nicht Mitglied sind. Genau wie Georges Mischo provozierte Frieden am Freitag OGBL und LCGB, indem er den neutralen Delegierten, die weder eine Einheit bilden, noch untereinander organisiert sind, Respekt zollte und den „historesche Merite vun de Gewerkschaften“ anerkannte, doch gleichzeitig betonte, dass ihr Einfluss in den neokorporatistischen und neoliberalen – in Friedens Jargon: „modernen“ – Gesellschaften schwinde. Dass diese Entwicklung, an der die Gewerkschaften in der Vergangenheit nicht ganz unschuldig waren, das Resultat politischer Entscheidungen ist und das ausgewiesene Ziel der EU-Mindestlohnrichtlinie, die die Regierung im nächsten Monat umsetzen muss, darin besteht, diese Entwicklung umzukehren, weigerte sich der Premierminister am Freitag aber genauso anzuerkennen wie sein Arbeitsminister in den Wochen davor. So dass davon auszugehen ist, dass die „Meinungsverschiedenheiten“ zwischen Regierung und Gewerkschaften in den kommenden Monaten noch zu einem handfesten Sozialkonflikt, beziehungsweise einem „décke Sträit“ ausarten werden.

Luc Laboulle
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