Es hat etwas von einem Déjà-vu. Im Wahljahr 2018 bestimmten die Debatten um die Niederlassung des Isolationsmaterialherstellers Knauf in Sanem und des Joghurtherstellers Fage in Bettemburg die nationale Aktualität. Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) ließ dabei manche Feder. Denn gegen die Projekte der Firmen, von denen Schneider stets behauptete, sie nicht gezielt umworben zu haben, die er aber stolz als Erfolgsbestätigung seiner Industriepolitik vorstellte, gingen seine Koalitionspartner im grün geführten Umweltministerium genauso vor, wie die lokalen Mandatsträger – auch aus seiner eigenen Partei. Nun nimmt der Widerstand gegen ein anderes Prestigeprojekt zu: Das geplante Rechenzentrum von Google in Bissen, das von der Regierung ausdrücklich unterstützt wird. Die Opposition im Bissener Gemeinderat, die im Januar bei der ersten Abstimmung für die punktuelle Änderung des allgemeinen Flächennutzungsplanes (PAG) gestimmt hatte, knüpft ihre Zustimmung in der zweiten Runde an Bedingungen. Eine lokale Bürgerinitiative – die sich nicht nur gegen Google wehrt – ist aktiv geworden und das Mouvemement écologique hat Einspruch gegen die Änderung des PAG eingelegt.
Der Bissener Bürgermeister Jos Schummer unterteilt die Einsprüche, die während der Aushangphase der geplanten PAG-Änderung bei der Gemeinde eingingen, in verschiedene Kategorien. Zwei bis drei „sehr seriöse“ Einsprüche seien eingegangen. Damit meint er beispielsweise Bauern, deren Grundstücke im Tal unter dem Plateau Busbierg liegen, auf dem die Sonderzone Rechenzentrum entstehen soll, und wo sich später Wasser ansammeln dürfte. Zwischen 60 und 70 Bissener Bürger und Bürgerinnen haben das von der Bürgerinitiative Bissen vorbereitete Faltblatt unterzeichnet und damit Einspruch bei der Gemeinde eingereicht. Darin fordert die Biergerinitiativ Biissen „Klarheit über folgende Fragen: Wer hat die 50,5 Millionen für das Google-Gelände auf Busbierg bezahlt? Wie hoch belaufen sich die Kosten für die erforderliche neue Hochspannungstrasse, für den Anschluss an die Sebes Wasserleitung und das Strassennetz, die die großen Rückhaltebecken auf fremdem Gelände, für die Ableitung des Regenwassers in den Vorfluter (Attert)? Wie hoch werden die zukünftigen Steuereinnahmen aus dem Google-Datencenter auf Busbierg für Staat und Gemeinde Bissen veranschlagt? Wie viele Arbeitsplätze sollen im Google Daten-Center in Bissen wirklich entstehen? Welchen Einfluss wird das auf die Verkehrsentwicklung in unserer Ortschaft haben?“
Ähnliche Fragen stellt sich auch die Opposition in Bissen. Ratsmitglied David Viaggi, der in Bissen der Liste Är Leit angehört und bis zu den letzten Gemeindewahlen selbst Schöffe war, bei den Kammerwahlen aber als LSAP-Kandidat antrat, macht sich ebenfalls Sorgen um den Abfluss des Oberflächenwassers. Denn den Unterlagen zur Abänderung des PAG sei nicht zu entnehmen, wo es am Steilhang an der Nordwestseite des Areals aufgefangen werde, bevor es in die Attert abfließe, und vor allem sei nicht vorgesehen, dass es auf dem Grundstück von Google zurückgehalten werde. Das, sagt Viaggi, sei ein Problem, weil es bei Sturzregen bereits zu Überschwemmungssituationen gekommen sei. Und, weil es so aussehe als ob andere Grundstückseigentümer, beziehungsweise die Allgemeinheit, nicht Google, dafür aufkommen müssten.
Das ist nicht der einzige Punkt, in dem Viaggi die Vorbereitungsarbeiten mangelhaft findet. In den Unterlagen ist die Einbettung des Gebäudes durch einen rotgestrichelten Kasten auf den Landschaftsfotos eingezeichnet. Ein Scherz, nicht nur angesichts der technischen Möglichkeiten zur Modelierung, die es heutzutage gebe, sondern auch wenn man weiß, dass das Gebäude um die 25 Meter hoch werden soll. Für die Opposition ist zudem nicht ausreichend geklärt, wie der Verkehr geregelt werden soll. Die geplanten Maßnahmen – eine neue Zubringerstraße und Kreisverkehre auf der N7 –, beruhten größtenteils auf einer Studie von 2015. Sie berücksichtigten weder das durch den Innovationscampus für die Automobilindustrie, der in direkter Nachbarschaft entsteht, steigende Verkehrsaufkommen – noch das tatsächlich zu erwartende Verkehrsaufkommen durch die Niederlassung von Google, da nicht gewusst sei, wie viele Mitarbeiter im Datenzentrum beschäftigt sein werden. 300 oder 400? Weil das zur Zeit unklar ist, könne niemand sagen, ob die im PAG-Plan vorgeschriebenen Parkplätze reichen werden. Viaggi ist auch sauer, dass der Gemeinderat im Vorfeld der Abstimmung zur Eröffnung des PAG-Änderungsverfahrens nie eines der anderen Google-Rechenzentren in Europa, beispielsweise im benachbarten Belgien, besucht hat. Durch einen solchen Besuch, meint der LSAP-Politiker, hätte man sich ein Bild von der zu erwartenden Lichtverschmutzung und Lärmbelästigung machen können. Und nicht zuletzt sei ungeklärt, wie die Serverfarm gekühlt werden soll. Die Attert führe nicht genug Wasser, um es zur Kühlung zu nutzen, so viel scheint mittlerweile klar. Ob der Pegel der Alzette ausreicht oder durch einen Anschluss an die Sebes-Leitung Trinkwasser zum Einsatz kommt? Oder ob eventuell eine ganz andere Technik ohne Wasser zur Kühlung eingesetzt wird? Der Schöffenrat habe bisher erklärt, Google werde investieren, um diese Probleme zu lösen, wenn der Flächennutzungsplan erst einmal abgeändert sei, so Viaggi. Doch die Opposition hätte gerne voher Antworten.
Darin liegt eines der Probleme mit dem Google-Rechenzentrum: Wie man es dreht und wendet: die Prozeduren bieten keinen passenden Rahmen für das Projekt. Um das zu verstehen, muss man kurz in der Projektgenese zurückspulen. Wunschstandort für die laut Etienne Schneider größte Investition in der Luxemburger Wirtschaftsgeschichte war nicht der Busbierg, sondern die Liegenschaft Am Seif direkt neben dem Creos-Umschaltwerk und der Luxlait am Roost. Eine Niederlassung dort hätte die Versorgung mit Strom und Kühlwasser aus der Luxlait-Kläranlage ohne größere Infrastrukturarbeiten ermöglicht. Doch der Eigentümer der Grundstücke wollte nicht verkaufen. Als Alternative wurden 35 Hektar auf dem Busbierg gekauft, was nun die Verlegung von, wie Bürgermeister Jos Schummer sagt, jeweils einem halben Kilometer Strom- und Wasserleitungen voraussetzt.
Vor allem aber ist der Busbierg derzeit als Grünzone im Flächennutzungsplan eingetragen. Damit sich Google dort niederlassen kann, soll er Gewerbegebiet werden, allerdings spezifisch dem Bau eines Rechenzentrums vorbehalten sein. Doch bei einer Änderung des Flächennutzungsplans werden genaue Informationen, wie der Strom- oder Wasserverbrauch eines einzelnen Betriebes, der sich dort ansiedeln will, nicht im Detail geprüft, es geht ums große Ganze drumherum. Erst danach, während der Ansiedlung einzelner Unternehmen in einem ausgewiesenen Gewerbegebiet, wenn die Firmen individuelle Anträge zur Niederlassung und für Betriebsgenehmigungen stellen, kommen diese Fragen auf den Tisch und es schalten sich die Umweltbehörden zur Prüfung der Auflagen ein. Da das Projekt dieses Stadium noch nicht erreicht hat – bisher wird offiziell nicht einmal bestätigt, dass sich hinter der Firma London Bridge tatsächlich der Internetriese Google versteckt – soll in Bissen die Grünzone für ein konkretes Einzelprojekt umgewidmet werden, ohne dass esAnhaltspunkte gibt, wie das Projekt konkret aussieht.
Das ist auch einer der Punkte, die das Mouvement écologique in seiner Stellungnahme anprangert. Das Mouveco glaubt nicht, dass von der Milliarde Euro, die Google investieren soll, viel in der Luxemburger Wirtschaft hängen bleibt. Da nicht klar sei, wie viele Arbeitsplätze entstehen, zweifelt die Nichtregierungsorganisation, den gesamtwirtschaftlichen Nutzen des Rechenzentrums an. Dazu kommen die Belastungen für Mensch und Umwelt. Warum dermaßen viel Ackerland umwidmen, den Lebensraum von Fledermäusen und geschützten Vogelarten einschränken, wenn nicht gewusst sei, welchen Mehrwert das Projekt bringe? Immerhin werde Google allein ein Zehntel der in den neuen Sektorplänen vorgesehenen – und aus Sicht vieler mittelständischer Unternehmen dringend gebrauchten – neuen Gewerbeflächen beanspruchen.
Auch das Mouveco bemängelt, dass es bisher nur Gerüchte darum gibt, wie hoch der Stromverbrauch des Rechenzentrums ist, und ob zur Kühlung ohnehin knappes Trinkwasser oder ganz andere Techniken eingesetzt werden. Über den Stromverbrauch kann das Mouveco ebenfalls nur mutmaßen, möglicherweise müsse eigens die Transportnetzkapazität der Anschlüsse nach Deutschland ausgebaut werden. Auf Nachfrage vom Land richtet Creos aus, man könne sich nicht zu potentiellen Einzelkunden äußern, verweist (in Absprache) für weitere Fragen ans Energieministerium, das, nachdem es Creos Redeverbot im Dossier Google erteilt, nicht zu erreichen ist. Dabei hat Creos den Energiebedarf mit Google besprochen, wie aus dem Bericht der öffentlichen Konsultation Scenario report 2040 hervorgeht. Dort heißt es unter „Future Mega Data Centre“ : „A project to install a massive data centre with very high energy needs is still unofficial and unconfirmed. Based in Bissen/Roost, the projected surface should be close to 25 hectares.“ Demnach bräuchte Google ab 2030 eine Anschlussleistung von 260 Megawatt. Dazu heißt es im Bericht : Such an enormous single power demand will considerably reduce the remaining power reserves of the existing high voltage grid and will make extensive reinforcements necessary to ensure a reliable future grid supply.“ Dass es mit der Transparenz hapert, ist also keinesfalls nur eine böswillige Unterstellung von Projektgegnern, sondern auch ganz konkret auf die Verschwiegenheitsklauseln zurückzuführen, die der Investor alle Verantwortlichen mit denen er redet, unterzeichenen lässt.
Obwohl Schummer nur die PAG-Einwände der direkt betroffenen Grundstückseigentümer für gültig hält, will er mit dem Schöffenrat alle empfangen und anhören, die im Rahmen der Umwidmung Kritik angebracht haben. Er räumt bereitwillig ein, dass der Informationsstand nicht ausreicht, und gelobt Besserung, auch wenn er noch nicht weiß, wie. Für die betroffenen Bauern will er Lösungen finden, „Weiterarbeiten“ lautet sein Motto bis zur zweiten Gemeinderatsabstimmung über die Flächenumwidmung, die voraussichtlich im April stattfinden wird. Schummer, der glaubt, dass das Projekt Einnahmen in die Gemeindekasse spülen wird, ist zuversichtlich, dass es eine Mehrheit dafür geben wird, obwohl David Viaggi meint, einzelne Mehrheitsräte könnten sich der Opposition anschließen.
Spätestens im April also könnte die Debatte wieder Regierungsniveau erreichen. Bisher halten sich die Minister mit Aussagen zum Thema Google zurück, obwohl sich anfangs Staatsminister Xavier Bettel (DP) mit Etienne Schneider um die Zuständigkeit um das Prestigeprojekt Google stritt. Auch die Grünen schweigen bisher. Aus gutem Grund. Denn hatten sie Knauf und Fage deutlich abgelehnt – zu hoch der Ressourcenverbrauch und die Schadstoffbelastung –, so erklärte der grüne Infrastrukturminister und Spitzenkandidat im Zentrum François Bausch vor den Wahlen, das Projekt Google passe in die Entwicklungsstrategie des Landes, die Richtung Digitalisierung gehe. Sollte der Bissener Gemeinderat der Flächenumwidmung für das Rechenzentrum zustimmen und sich dann bestätigen, dass Google durch seinen Stromverbrauch nicht nur den Ausbau der Netzkapazitäten erforderlich macht, sondern auch die Einhaltung der Klimaziele gefährdet (d’Land, 08.02.2019), müsste der grüne Energieminister Claude Turmes Farbe bekennen. Sollte der Gemeinderat gegen die PAG-Änderung stimmen und damit das Projekt Google kippen, stünden von Schneider über Bettel und Bausch bis hin zur CSV, die das Projekt ebenfalls ausdrücklich unterstützte, alle blöd da und müssten endgültig klären, wie die Behörden in Zukunft mit großen Investitionsprojekten umgehen.