D’Lëtzebuerger Land: Herr Schneider, als Sie für die Nachfolge von Jeannot Krecké auserkoren und Wirtschaftsminister wurden, schienen Sie der neue Goldjunge der Luxemburger Politik zu sein, dem alles gelang. Sie konnten Investitionen in Milliardenhöhe ankündigen, die Schaffung hunderter neuer Jobs, vor allem Industriejobs. Nach den Wahlen 2013 wurden Sie zwar nicht Premierminister der liberalen Koalition, aber Sie sammelten sehr viele Ministerkompetenzen. Nun hat man den Eindruck, das fällt alles ein bisschen zusammen.
Etienne Schneider: Wieso zusammenfallen? Objektiv gesehen, muss man feststellen, dass es der Wirtschaft jetzt besser geht als vor acht Jahren, als ich Minister wurde. Das sind statistisch belegte Fakten.
Das ist aber doch weniger Ihrer Politik geschuldet, als der konjunkturellen Erholung der Wirtschaft in Europa und der Eurozone insgesamt.
Das internationale Konjunkturumfeld spielt natürlich eine Rolle. Aber andere Länder haben von dieser Erholung nicht so profitieren können wie Luxemburg. Demnach ist es schon auf meine Politik und die von uns entwickelten Strategien zurückzuführen, wenn die Wachstumsraten hierzulande höher sind als anderswo.
Nach den letzten Wahlen sieht es aber so aus, als ob so manches von dem, was Sie in der vorangegangenen Legislaturperiode aufgebaut haben, wieder abmontiert wird. Zum Beispiel die Zusammenführung von Wirtschafts- und Mittelstandsministerium – ein lange gehegter Wunsch Ihres Amtsvorgängers. Nun gibt es wieder einen Mittelstandsminister einer anderen Partei.
Das stimmt so nicht. Vorher hatten wir einen Minister und eine Staatssekretärin, jetzt haben wir eben zwei Minister. Aber das Ministerium bleibt eine Einheit. Das ist so mit Lex Delles (DP) abgesprochen. Es ist ja auch ein Riesenressort und zur Zeit der CSV-LSAP-Koalition gab es zusammen mit Françoise Hetto-Gasch ebenfalls zwei Minister dafür. Was aber grundlegend anders ist als zu jener Zeit, ist, dass es nicht zwei, sondern ein Ministerium gibt. Es gibt eine Verwaltung, was zum Beispiel auf der Ebene der Personalpolitik eine Rolle spielt, wir haben nur ein Overhead. Das ist alles eins.
Die Grünen haben bei den Wahlen Stimmen und Sitze gewonnen, während Ihre Partei deren verloren hat. Bei der Verteilung der Ministermandate während der Koalitionsverhandlungen scheinen Sie allerdings ganz besonders geschröpft worden zu sein.
Die LSAP hatte ja vorher auch die meisten Ressorts, da ist es nicht erstaunlich, dass sie am meisten abgegeben hat. Das ist alles auf freiwilliger Basis passiert.
Sie haben das Energieressort abgegeben. Darum haben Sie sich schon als Beamter gekümmert, noch bevor Sie Minister wurden. Sie haben die vergangenen Jahre damit verbracht, den Energiesektor nach Ihrer Vorstellung zu ordnen, Encevo zu dem Konzern aufzubauen, der er heute ist, und die Energiepreise für die Wirtschaft niedrig zu halten. Dass Sie das freiwillig an Claude Turmes abgegeben haben, der in Sachen Energiepolitik doch etwas andere Vorstellungen hat, ist schwer nachzuvollziehen.
Dass die Energiepreise kompetitiv bleiben müssen, dass Encevo als Unternehmen im internationalen Wettbewerb bestehen können muss, das wird auch von Claude Turmes nicht in Frage gestellt. Ein Grund, das Ressort an die Grünen abzugeben, ist der Ausbau erneuerbarer Energien, weil neue Projekte vor allem an Umweltauflagen scheitern. In den vergangenen fünf Jahren hat sich dies sehr wesentlich verbessert. Wollen wir aber in den kommenden fünf Jahren beim Ausbau erneuerbarer Energien einen größeren Sprung machen und um unsere diesbezüglichen Ziele erreichen, ist es möglicherweise interessanter, die Ressorts in einer Partei zusammenzuführen. Das gleiche gilt zum Beispiel in der Wohnungsbaupolitik. Potenziell gebremst wird, der Wohnungsbau durch Ministerien, die hauptsächlich in grüner Hand sind. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, wenn auch Grüne für das Logement-Ressort zuständig sind, damit sie einfacher Kompromisse finden. Dann können sie in Zukunft parteiintern diskutieren, was denn nun wichtiger ist: Windräder oder Fledermäuse, Wohnungen oder der Lebensraum des Rotmilans.
Sie haben darüber hinaus die Armee- und die Polizeiressorts abgegeben.
Diese Ressorts hatte ich fünf Jahre lang, und die großen Reformen innerhalb der Polizei und der Armee sind soweit abgeschlossen. Dort geht es in den kommenden Jahren vor allem darum, das Tagesgeschäft zu leiten, und ich hatte Lust, mal wieder etwas Neues zu machen. Deshalb habe ich das Gesundheitsressort angenommen. Ich wurde auch nicht gezwungen, dieses oder jenes Ressort zu nehmen, denn innerhalb der LSAP war ich derjenige, der die Ressorts verteilt hat. Nicht, dass ich nur ausgewählt hätte, was mir Freude macht. Das Gesundheitsdossier ist ein großes, komplexes Ressort, und daher wollte ich es nicht einem der neuen, noch unerfahrenen Regierungsmitglieder geben nach dem Motto: Sieh zu, dass du klarkommst. Außerdem sind Armee und Polizei nicht unbedingt Themen, die einem als sozialistischen Minister besonders gut zu Gesicht stehen. Es ist nicht ganz einfach, der Parteibasis zu vermitteln, warum die Verteidigungsausgaben steigen. Für die Partei haben diese Themen keinen großen Reiz.
Während der Koalitionsverhandlungen hieß es plötzlich, Sie würden sich aus der nationalen Politik zurückziehen und als EU-Kommissar nach Brüssel gehen. Das sah dann schon so aus, als würden Sie nach Ihrem Wahlergebnis schmollen.
Beim Referendum 2015 war eine der Fragen auf meinen Vorschlag hin, die Ministermandatszeit auf zehn Jahre zu beschränken. Die Wähler haben dagegen gestimmt, so dass ich im Grunde nicht mehr daran gebunden bin, irgendwann während dieser Legislaturperiode Platz zu machen. Aber die LSAP hat ausgehandelt, dass sie den Kandidaten für den EU-Kommissar bekommt, und deshalb gab es innerhalb der Partei eine Diskussion, diese Möglichkeit zur Erneuerung der Führungsmannschaft zu nutzen. Indem man entweder jemanden im fortgeschrittenen Alter ersetzt, wie Nicolas Schmit, oder mich. Die Entscheidung ist darauf gefallen, mit Nicolas Schmit einen Anfang 60-Jährigen durch jemand Neuen zu ersetzen.
Die Erklärung, die Sie im Herbst gegeben haben, klang etwas anders.
Das mag sein. Aber ich war nie Kandidat für den Posten des Kommissars, und eine solche Diskussion über die verschiedenen Optionen zur Erneuerung muss man innerhalb der Partei führen können, ohne dass sofort alles an die Öffentlichkeit gelangt.
Haben Sie nun vor, Ihre Mandate zu Ende bringen, oder gehen Sie doch irgendwann innerhalb der Legislaturperiode?
Bis auf Weiteres bin ich für fünf Jahre als Mitglied der Regierung vom Großherzog ernannt. Wenn ich nun sage, ich bleibe bis zum Ende, und entscheide mich in drei Jahren anders, wird mir das wieder vorgeworfen werden. Dabei habe ich immer gesagt, ich will nicht von der Politik abhängig, auf ewig Berufspolitiker sein. Ich will nicht auf einer Bahre aus der Regierung oder aus dem Parlament hinausgetragen werden müssen; diese Vorstellung war mir immer ein Gräuel. Es braucht doch den Personalwechsel, damit neue Ideen entwickelt werden können.
Apropos neue Ideen. Nach der Referendumsniederlage waren Sie monatelang von der Bildfläche verschwunden, ähnlich wie jetzt nach der Wahlniederlage. Ihr Comeback in der Aktualität haben Sie damals mit einem lauten Knall gefeiert: mit Ihrem Vorschlag, Luxemburg zum führenden Standort für den Rohstoffabbau im All zu machen. Dafür werden Sie seit Wochen von der Opposi—tion und besonders von der CSV kritisiert, die sich überhaupt auf Sie eingeschossen zu haben scheint.
Den Eindruck habe ich auch.
Sind der Verlust von zwölf Millionen Euro öffentlicher Gelder, wie sie durch die Investition bei Planetary Resources verloren gingen, für Sie nicht Grund genug, politische Konsequenzen, beispielsweise durch einen Rücktritt, zu ziehen?
Sicher nicht. Wir haben ebenfalls viel Geld investiert, um andere Wirtschaftszweige aufzubauen, hunderte Millionen, um die Logistikbranche aufzubauen oder die Branche der Biotechnologien. Und ich möchte eine Gegenfrage stellen: Wenn die Anteile von Encevo ihren Wert innerhalb eines Jahres verdoppeln, wie der rezente Verkauf gezeigt hat, dann interessiert das niemanden...
... dafür dürften Sie den Preis nicht geheim halten, sondern müssten sagen, wie viel für die Anteile bezahlt wurde...
... doppelt so viel, wie die Post ein Jahr vorher für ihre Anteile bezahlt hat. Wenn es gut läuft, ist das selbstverständlich. Wir können aber nicht jedes Mal den Minister austauschen, wenn es nicht gut läuft. Immerhin habe ich meine Arbeit als Wirtschaftsminister gemacht. Jean-Marie Halsdorf hat es zu seiner Zeit als CSV-Innenminister versäumt, Kläranlagen zu bauen. Er hat seine Arbeit nicht getan, und das hat Luxemburg sechs Millionen Euro an EU-Strafen gekostet. Damals hat niemand seinen Rücktritt gefordert. Und wenn wir zu einer Start-Up-Nation werden wollen, geht das nicht ohne Risiken. Man muss nur mal bedenken, was bei SES Astra alles schiefgegangen ist, bevor die Firma zum führenden Satellitenbetreiber weltweit geworden ist.
Das Planetary-Resources-Fiasko bot in den vergangenen Monaten beileibe nicht den einzigen Anlass für Kritik an Ihnen. Sie standen wegen Ihrer Industriepolitik im Kreuzfeuer, wegen der Ansiedlung von Fage und Knauf, und weil Sie vor den Wahlen ohne Einschränkungen gesagt haben, dass die Wirtschaft weiter wachsen muss. Von der Wachstumsdebatte hört man jetzt nicht mehr viel.
Dafür, dass ich als einziger Spitzenkandidat für Wachstum eingetreten bin, wurde ich von allen Seiten attackiert, obwohl nun nicht mehr angefochten wird, dass es so ist. Aber so ist das nun mal vor Wahlen, da zeigen sich Kandidaten auch schon mal von ihrer hässlichen Seite.
Bedenkt man, woher die Kritik kam, würde das heißen, Sie seien eine Koalition mit unehrlichen Partnern eingegangen?
Ich kann nur sagen, dass meine Botschaft in diesem Punkt stets die gleiche war. Ich habe versucht, authentisch zu bleiben, und ich kann mich deshalb noch selbst im Spiegel betrachten.
Wie soll die Wirtschaft denn nun weiter wachsen? Im Koalitionsabkommen steht beispielsweise, dass die Prospektionspolitik gezielter auf prioritäre Bereiche ausgerichtet werden soll. Wer entscheidet denn nun, ob ein Unternehmen in die Strategie passt oder nicht?
Wir wollen Rifkin-konformes Wachstum. Auch wenn der Rifkin-Prozess oft belächelt wird – im Endeffekt läuft er darauf hinaus, dass Wachstum über Produktivitätssteigerungen stattfindet anstatt über Ressourcenverbrauch und die Schaffung von immer mehr Arbeitsplätzen. Eigentlich findet das jetzt schon statt. Einerseits über die fortschreitende Digitalisierung. Und andererseits, weil wir durch die Sektorpläne Rückstand bei der Ausweisung von Industrie- und Gewerbegebieten haben. Das ist eine automatische Wachstumsbremse. Als Beispiel dafür, wie wir in Zukunft vorgehen wollen, kann Ich den Automotive-Campus nennen, den wir vergangenen Freitag im Regierungsrat genehmigt haben. Dort werden nun von der öffentlichen Hand gemeinsame Infrastrukturen für 26 Millionen Euro vorfinanziert, für Investitionen, die bisher jedes Unternehmen einzeln vornahm. Dabei geht es um modulierbare Parkhäuser, die gegebenenfalls problemlos in Büros umgewandelt werden können, statt dass jedes Unternehmen, das sich dort ansiedelt, Flächen versiegelt, um Parkplätze für seine Mitarbeiter einzurichten. Die Kantine ist eine gemeinsame Struktur, ebenso Konferenzräume und Auditorien sowie – dafür braucht es allerdings noch eine Gesetzesänderung, um sie in die in Gewerbezonen zulässigen Aktivitäten aufzunehmen – beispielsweise auch Kinderkrippen für den Nachwuchs der Mitarbeiter aller Firmen, die sich dort ansiedeln. Wir wollen ein Maximum der gebrauchten Energie vor Ort zum Beispiel über Photovoltaikanlagen produzieren. Das ist Rifkin, ganz konkret.
Schön und gut, aber wer entscheidet in Zukunft, ob ein Unternehmen wie Knauf „Rifkin-konform“ ist oder nicht? Genau in diesem Punkt waren Sie und Umweltministerin Carole Dieschbourg (Grüne) sich nicht einig.
Solche Situationen wollen wir künftig verhindern, indem auch die Umwelt- und Landesplanungsministerien Vertreter ins Steuerungsgremium des Trade and Investment Board schicken. Denn über die Strategie sind wir uns einig. Wenn in diesen Gremien klar ist, dass es von vornherein keine Chance gibt, einem Unternehmen eine Genehmigung auszustellen, dann braucht es kein Geld in Prozeduren zu investieren. Und ich muss mich nicht in der Öffentlichkeit dafür rechtfertigen, zumal wir wie im Fall Knauf die Firma gar nicht aktiv umworben haben.
Sie sagen, Wachstum soll über Produktivitätsgewinne zustande kommen. Um über die Produktivität zu diskutieren, soll es demnächst eigens einen Produktivitätsrat geben. Nun gab es vergangene Woche bereits Probleme, den Nationalen Rat für die öffentlichen Finanzen zu besetzen. Wer soll denn Mitglied im Produktivitätsrat werden und wie wird er sich vom Wirtschafts- und Sozialrat (CES) unterscheiden?
Der Produktivitätsrat soll nicht ausschließlich mit staatlichen Akteuren besetzt werden. Wir warten deshalb den Ausgang der Sozial- und der Berufskammerwahlen ab, um danach die Mitglieder zu nominieren. Der CES befasst sich mit punktuellen Fragen, dabei gibt es meistens Streit zwischen den Sozialpartnern und sie geben dann zwei separate Gutachten an die Regierung ab, die damit dann wenig anfangen kann. Der Produktivitätsrat soll sich deswegen weniger mit punktuellen, sondern vielmehr mit strategischen Fragen im Zusammenhang mit der Produktivität auseinandersetzen.
Besonders heftig streiten sich die Sozialpartner normalerweise, wenn es um die Arbeitsproduktivität geht, die auf der Grundlage des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der Zahl der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt berechnet wird. Nun hat sich vergangenen Herbst herausgestellt, dass das BIP als Messinstrument der Wirtschaftsleistung sozusagen kaputt ist. Es reicht aus, wenn eine Handvoll multinationaler Unternehmen in ihren Luxemburger Filialen Verluste verbuchen, statt wie bisher Gewinne, damit die Wachstumsrate 2,5 Prozent niedriger ausfällt als geplant, so geschehen 2017. Was sagt denn der Wirtschaftsminister dazu, wenn die Wirtschaftsentwicklung nicht mehr korrekt zu messen ist?
Das Statec arbeitet daran, das Problem in den Griff zu bekommen. In Brüssel gibt es beispielsweise auch Überlegungen, zum Beispiel geistiges Eigentum anders in der Berechnung zu berücksichtigen, was große Folgen für die Luxemburger BIP-Berechnung hätte. Auf die reale Entwicklung hätte eine solche Änderung der Berechnungsmethode Null Inzidenz, aber das BIP würde bedeutend zulegen. In kleinen Ländern schwindet die Korrelation zwischen BIP und Steuereinnahmen zunehmend. Vergangenes Jahr zum Beispiel sind die Einnahmen aus den Betriebssteuern um 17 Prozent angestiegen. Aber in der Wachstumsrate spiegelt sich das nicht wider. So dass die BIP-Zahlen immer weniger aussagekräftig sind. Wie gesagt: Das Statec arbeitet daran.