Der Wachstumswahlkampf hatte früh begonnen, als der Wirtschaftsminister und die Umweltministerin wegen der Niederlassung einer Steinwolle- und einer Joghurtfabrik aneinander gerieten. Knauf und Fage wurden schnell zu Schlagwörtern für die Diskussion darüber, ob Luxemburg weiterhin Wirtschaftswachstum braucht, ein Industriestandort bleiben will, beziehungsweise neue Industrien ansiedeln soll, und ob es dabei möglich ist, sich nur die herauszusuchen, die einem gefallen. Schnell knüpfte sich daran die zweite Diskussion an um die sogenannten Begleiterscheinungen des Wirtschaftswachstums, die schon früh fremdenfeindliche Züge annahm. Beispielsweise als Infrastrukturminister François Bausch (déi Gréng) bei einer Podiumsdiskussion des Architekten- und Ingenieursorden OAI meinte, er habe ja nichts gegen Grenzpendler, aber es ergebe keinen Sinn, Tausende Arbeitsplätze zu schaffen, nur damit sie von Grenzpendlern besetzt würden (d’Land, 16.02.2018).
Der sozialistische Wirtschaftsminister und Spitzenkandidat Etienne Schneider entschied daraufhin schnell, die Rolle des einzig wahren Verteidigers der Industrie, des Befürworters von Wachstum und Fortschritt insgesamt zu übernehmen. Er unterstellte all denen Parteien, die davon redeten, Wachstum „besser begleiten“ zu wollen, die „qualitatives Wachstum“ forderten oder schlicht es einzudämmen, keine Ahnung zu haben, wie sie das bewerkstelligen sollten. Damit hat Schneider Recht behalten, wie der Blick in die Wirtschaftskapitel ihrer Wahlprogramme zeigt: Sie haben entweder überhaupt nur eine vage Vorstellung davon, wie die Wirtschaft funktioniert und wie man auf sie einwirken kann, oder wollen sie noch wettbewerbsfähiger machen, was zwangsläufig zu mehr Wachstum führen würde. Oft findet man beide Aspekte kombiniert.
Der ADR, die sich für die Wahlen mit fremdenfeindlichem Personal verstärkt hat, kam die Debatte mehr als gelegen und sie eröffnet ihr Wahlprogramm unter dem Titel „Fir e verantwortungsvolle Wuesstum“ mit einer Hetzschrift gegen Ausländer, die innerhalb der ersten drei Zeilen Zukunftsangst, Identität und Sprache mit dem Stau auf den Autobahnen vermischt und schließlich in einer Warnung vor Überfremdung endet: „Wa muer 700 000 Awunner am Land wunnen, mir iwwermuer zu méi wéi enger Millioun sin, da stellen d’Lëtzebuger nach knapps en Drëttel oder e Véierel vun der Bevölkerung duer.“ Mit einem Taschenspielertrick, der an die „America-First-Rhetorik“ von US-Präsident Donald Trump angelehnt ist, versucht die ADR dann zu verbergen, dass zumindest die alten Kämpfer für Rentengerechtigkeit in ihren Reihen wissen, dass es ohne Wachstum auch nichts an Luxemburger zu verteilen gibt. So will die ADR „Prioritéit fir Lëtzebuerger Betriber“, meint das, aber anders als Trump, nicht in einem Außenhandelskontext. Die ADR visiert den Zugang zu Flächen in Gewerbegebieten, so als ob sich dort Unternehmen ohne „Luxemburger“ Handelsermächtigung niederlassen könnten. „Och a grad am Kader vum verantwortungsvolle Wuesstum mussen déi bestoend Lëtzebuerger Betriber wuesse kënnen“, schreibt die ADR, und dabei müsse sie der Staat unterstützen, so als würden sie dabei nicht den Verkehr steigern. So findet die ADR auch, dass der Staat KMU und Start-Ups das Leben leichter machen soll: „D’Grënne vun neie Lëtzebuerger Betriber muss gefërdert ginn“ und zwar mit vom Staat garantierten Krediten. Wo den ADR-Mitgliedern die Idee kam, dass sich die Wachstumsfrage lösen lässt, indem man dem Substantiv „Unternehmen“ das Attribut „Luxemburger“ beifügt – nämlich am Stammtisch –, offenbart sich im dritten Abschnitt ihres Wirtschaftskapitels, wo sie für die Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung auf Lebensmitteln und Getränken im Gaststättengewerbe plädiert, weil dieses wichtig „fir den sozialen Zesummenhalt“ sei. „Mat der ADR gi keng weider Hoteller zweckentfriemt fir Flüchtlingen ënnerzebréngen“, sagt sie noch schnell, bevor sie für Wirtschaftspromotion sowie für die Verteidigung des Finanzplatzes plädiert und verspricht, nicht bei jedem Leak in die Knie zu gehen.
Der CSV scheint die eigene Rolle in der Debatte, in der sie ungezügeltes Wachstum gegeißelt hatte, in den vergangenen Monaten ein wenig unheimlich geworden zu sein. Im Unterkapitel zum Arbeitsmarkt nimmt sie Abstand von der ADR: „Ohne Immigration und Grenzgänger würde unser Arbeitsmarkt zusammenbrechen.“ Und: „Nicht die Grenzgänger sind daran schuld, sondern die ungenügende oder die nicht von unserem Arbeitsmarkt erforderte berufliche Qualifikation der einheimischen Arbeitssuchenden“, wenn diese keine Anstellung fänden. Ansonsten will die CSV, die in den vergangenen Monaten versprach „Wachstum zu begleiten“, vor allem eines: Die Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen, damit sie wächst: „Wir wollen attraktive Standortfaktoren bieten, damit unsere Unternehmen Spitzenreiter im internationalen Wettbewerb bleiben.“ Und: „Das steuerliche Umfeld und die Lohnnebenkosten müssen wettbewerbsfähig bleiben.“ Um den KMU das Leben zu vereinfachen, fordert sie nicht nur weiteren Bürokratieabbau, obwohl Jean-Claude Juncker den bereits vor einem Jahrzehnt zur Chefsache erklärt hatte, sondern auch die Ausweisung zusätzlicher Gewerbegebiete, obwohl für die Sektorpläne lange Jahre der heutige Spitzenkandidat Claude Wiseler zuständig war.
Mit der Forderung „keine Ausweisung zusätzlicher Biotope auf Bauland in bestehenden Allgemeinen Bebauungsplänen“, belegt die CSV, dass sie das Wachstum der Natur mindestens so eng begleiten will, wie das der Wirtschaft. Sie will KMU mit steuerimmunisierten Reserven beim Investieren helfen und besseren Zugang zu Wagniskapital für Start-ups ermöglichen. Das klingt nicht nur mehr oder weniger so, als ob sie die bisherigen Bemühungen unter den LSAP-Wirtschaftsministern unterstützt. Die CSV tut dies explizit, indem sie das Nation Branding lobt und den „Bereich Weltraumtechnologie“ als „Sparte mit Zukunftspotenzial“ anerkennt. In nur sechs Zeilen findet die Debatte um Knauf und Fage ein Echo. Darin meint die CSV, in Gewerbezonen müsse „jenen Unternehmen Priorität eingeräumt werden, die ins Clusterkonzept und die Diversifizierungsstrategie passen“, und „gezielte Politik für die Anziehung ausländischer Investoren ist unerlässlich. Wir müssen ein Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Ökologie finden und klar definierte Sektorstrategien ausarbeiten“. Aber wie genau man verhindern will, dass Unternehmen wie Knauf und Fage versuchen, sich niederzulassen, bleibt unklar.
Die LSAP mit ihrem Spitzenkandidaten Etienne Schneider muss das nicht erklären. Sie meint fettgedruckt: „Luxemburg soll (...) als Produktions- und Industriestandort erhalten bleiben.“ „Qualitatives Wachstum“, schreibt sie weiter, „ist für uns nicht gleichzusetzen mit Desindustrialisierung. Es bedeutet an erster Stelle, dass Produktionsmethoden effizienter und weniger belastend für die Umwelt werden.“ Wie ein nachträglicher Gedanke taucht dabei die Erwähnung der Rifkin-Studie zur 3. Industriellen Revolution auf, die „weitere Lösungsansätze“ bieten soll. „Als Fortschrittspartei steht die LSAP diesem Prozess grundsätzlich offen und positiv gegenüber, aber wir wollen ihn auch nicht einfach über uns ergehen lassen. Wir wollen den technologischen Wandel gestalten (...)“, verteidigt die LSAP die Bilanz ihres Ministers. Als zukunftsweisende Sektoren gelten ihr deshalb besonders die Weltraumtechnologien, die holzverarbeitende Industrie und die Kreativindustrien.
„D’DP ass dovunner iwerzeegt, datt Lëtzebuerg e staarke Wuesstum brauch, fir säi generéise Sozialsystem ze garantéieren“, pflichtet sie der LSAP bei. Damit die Grenzpendler weniger Stau auf Luxemburgs Straßen verursachen, will die DP Freihandelszonen „déi Säit vun der Grenz“ schaffen. Sie bekennt sich zum Space-Mining und zu den neun Maßnahmen, welche die „DP-geführte“ Regierung im Rahmen des Rifkin-Prozesses festhielt, zum Beispiel zum Aufbau des Energie-Internets, dem Ausbau der Elektromobilität und dem Aufbau der Kreislaufwirtschaft. Für die DP, traditionell dem Handel und dem Mittelstand nahe, ist letzterer „das Rückgrad“ der nationalen Ökonomie und sie will ihn ähnlich wie CSV und LSAP bürokratisch sowie steuerlich entlasten und dem Handwerk Zugang zu Flächen in Gewerbezonen zusichern, beziehungsweise die Ladenöffnungszeiten liberalisieren. Die große Überraschung in Sachen Standortpolitik im Programm der DP findet sich allerdings im Kapitel „Aarbescht: Beruff a Privatliewe matenee verbannen“: „Um Index festhalen“. Dort schreibt die DP, die noch vor fünf Jahren auf Geheiß der Unternehmerverbände die gesamte Wirtschaft desindexieren wollte: „Fir sécher ze goen, datt d’Peie reegelméisseg un d’Inflatioun ugepasst ginn, suergt de Lëtzebuerger Indexsystem fir en automateschen Ausgläich vun der Deierecht. D’DP wäert un deem System festhalen.“ Das wollen auch CSV und LSAP, die das ebenso klar und deutlich in ihren Programmen festhalten.
Dass der Index nicht ein einziges Mahl im Programm von déi Gréng erwähnt wird, verdeutlicht, wie gleichgültig ihnen sowohl die Mitbürger sind, die sich Bioprodukte nicht leisten können, als auch die Wirtschaftspolitik. Von den Gewerkschaften diese Woche aufgefordert, Stellung zu beziehen, meinte Parteipräsident Christian Kmiotek auf Twitter patzig, für die Grünen sei „sonnekloër: mir ginn net un den Index frëckelen. Dont acte.“ Aber ebenso sonnenklar wird bei der Lektüre des Wirtschaftskapitels im grünen Wahlprogramm, dass Wirtschaftspolitik für die Partei hauptsächlich darin besteht, Solaranlagen auf den Dächern von Handwerksbetrieben mit „Impulsprogrammen“ zu subventionieren. Zwar bekennen sich auch die Grünen zu den langfristigen Zielsetzungen des Rifkin-Prozesses, aber sie meinen damit hauptsächlich den Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien und 100 Prozent Biolandbau. Ansonsten meinen die Grünen, dass „Gutes Leben mehr ist als Bruttosozialprodukt“ und wollen die Tausch-, Teil-, Reparatur-, und Verleihdienstleistungen unterstützten sowie die Corporate social responsibility weiterentwickeln. Mit diesen wenig realitätsbezogenen Phrasen machen die Grünen deutlich, dass ihr Konzept von Wirtschaftspolitik sich im Wesentlichen darauf resümiert, mit Naturschutzauflagen neue Projekte zu verhindern.
Die Programme von Déi Lénk und den Piraten sind in punkto Wirtschaftspolitik ähnlich luftig wie das der Grünen. Erstere wollen die schädliche Nischenpolitik Luxemburgs unterbinden– dazu zählen sie auch die Weltraumbranche – und eine moralisch lupenreine, auf Kooperativen aufbauende Wirtschaft. Sie wollen dafür eine bessere Bildungspolitik und neue Investitionen auf ihre „Pertinenz“ überprüfen. Wie genau man eine solche Prüfung gesetzlich verankern könne, wissen auch die Linken offenbar nicht so genau. Sie fordern aber die mit der EU-Gesetzgebung unvereinbare Rückverstaatlichung ehedem staatlicher Betriebe wie der Post und Energielieferanten. Das wollen auch die Piraten – „Kritesch Infrastrukturen an ëffentlecher Hand“ – obwohl sie gleichzeitig finden: „datt wirtschaftlech Aktivitéiten net an de Kompetenzberäich vum Staat gehéiren“ und verlangen, „en kontrolléiert Zréckzéie vum Staat (...)“. Die KPL fordert in ihrem knappen Programm die „Verstaatlichung von Großbetrieben und Banken und von strategisch wichtigen Wirtschaftszweigen“. Ganz so ernst mit dem Abschaffen des Privatbesitzes und des Kapitalismus ist es aber auch ihr nicht, denn: „Ausdrücklich ausgenommen von Verstaatlichungen sind kleine und mittlere Industrie-, Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe.“