Kreativindustrie

Mehrwert schaffen

d'Lëtzebuerger Land vom 20.05.2016

Kurze Durchsage an alle Künstler, Kunstschaffende und Kreative, die glauben, durch ihr Schaffen bewegten sie sich etwas über der Melee der anderen Beamten und Angestellten: Dem ist nicht so. Denn geht es nach den Autoren des Arbeitspapiers zur Kreativindustrie in Luxemburg, sind auch sie nur ein Glied in der Wertschöpfungskette und bestenfalls ein Standortfaktor.

„Les créatifs contribuent significativement au PIB d’un pays en apportant une plus-value aux entreprises et aux organisations dans lesquelles ils interviennent“, heißt es auf der ersten Seite des Papiers. Die Autoren – Tania Brugnoni, Projektmanagerin des Creative Hub 1535 in Differdingen, Jan Glas, Designer und ehemaliger Mitarbeiter von Luxinnovation, Anna Loporcaro, Beauftragte für Kultur- und Kunstevents im Mudam, Kuratorin der Biennale Design City und Botschafterin von Design for Europe, und Olivier Zephir vom Technoport in Esch – fordern die Gründung eines Clusters für die Krea­tivindustrie, wie es sie beispielsweise für die Automobil-, die Biotech- oder die Weltraumbranche gibt. Ihr Papier, so Jan Glas gegenüber dem Land, wollen sie Anfang Juni dem Wirtschaftsministerium vorlegen, damit dort entschieden werden kann, ob es zum Kreativ-Cluster kommt oder nicht. Zur Cluster-Bildung wären zwei Vollzeitmitarbeiter mit zehn Jahren Berufserfahrung notwendig und Jahresbudgets von um die 300 000 Euro, haben sie ausgerechnet. Dafür würde die neue Struktur dann „die kreativen Berufe unterstützen, sowie ihr Fachwissen („axé sur l’entrepreneuriat“) und Kollaborationen zwischen alten und neuen Firmen initiieren, um auf diesem Weg Innovation und Wachstum im Land zu unterstützen“. Unter Objectif wird folgende Gleichung aufgestellt: „Ideen = Innovation = Wachstum = Wettbewerbsvorteil“.

Zu den Bereichen, die auf diesem Weg helfen sollen, einen Wettbewerbsvorteil für Luxemburg zu schaffen, zählen Kunsthandwerk, bildende Kunst, Film, Design, Architektur, Computerspiel- und Softwareentwicklung, Mode, Musik, Medien (alte und neue), die eher vage umrissenen „Manufaktur und Herstellung“ und natürlich Marketing und Kommunikation. „Longtemps les acteurs créatifs ont été associés aux artistes avec comme but d’avoir un impact culturel et sociétal. Ceci n’est certainement pas faux et les disciplines se confondent, se complètent et collaborent. L’heure est venue de prendre conscience de la dimension économique des IC et de leur facteur d’impact chez les consommateurs.“ Das ist aber einstweilen vor allem heiße Luft, denn über die wirtschaftliche Gewichtung dieser kreativen Branche in Luxemburg weiß man bisher nichts. „Des statistiques ont été commandés récemment par le Gouvernement au Statec.“

Dabei wird wahrscheinlich das Gleiche passieren, wie vor einigen Jahren, als die Logistik-Branche aus dem Boden gestampft wurde. Man analysierte Umsatz und Beschäftigung im Straßentransport, im Schienenverkehr und in der Luftfracht, kombinierte die Zahlen und es stellte sich heraus, dass die Logistikbranche, als solche bis dahin namentlich fast unbekannt, ein großer Wirtschaftsakteur geworden war und um die 10 000 Beschäftigte in Lohn und Brot hielt. Ähnliches passiert derzeit mit der Fintech-Branche, von der bis vor zwei Jahren kaum jemand gehört hatte. Aber seitdem die Mitarbeiter aller Firmen zusammengezählt sind, die der heimischen Finanzbranche Dienstleistungen anbieten und dabei einen Computer einsetzten, verkauft Finanzminister Pierre Gramegna (DP) Luxemburg im Ausland, als Fintech-Hotspot, fast so, als liege das Alzette-Tal gleich neben dem Silicon Valley.

An solchen Marketing-Operationen verdienen Beraterfirmen gerne mit. Im Dezember 2014 veröffentlichte EY die Studie Creating growth. Measuring cultural and creative markets in the EU. EY stellte fest: Die Kultur- und Kreativbranche verbuchte Jahreseinnahmen von 535,9 Milliarden Euro, steuerte 4,2 Prozent zum europäischen Bruttoinlandprodukt bei und sei mit sieben Millionen Beschäftigten der drittgrößte Arbeitgeber nach dem Bauwesen und dem Gaststättengewerbe und noch vor der Stahlbranche. Allein im bildenden Kunstbereich waren laut EY 1,2  Millionen Leute beschäftigt, davon fast 800 000 Künstler, Fotografen, Designer... Die Visual arts, zu denen EY auch Möbeldesign zählt, verbuchten auch ein Viertel des Umsatzes der europäischen Kreativbranche.

Mit Phrasen wie „die indirekte Kraft des kreativen Motors“ erklärt EY, dass die Kreativindustrie wichtiger Katalysator für andere Wirtschaftsbranchen sei. Beispielsweise die Tourismusbranche. Denn jeder dritte Tourist in der EU plane seinen Urlaub dem kulturellen Angebot entsprechend. Museen wie das Louvre oder das British Museum zögen Millionen von Besuchern an. In Frankreich allein habe der Kultur-Tourismus 2011 18 Mil­liarden Euro an Umsatz generiert. Dass Teile der Kreativindustrie (wie beispielsweise Museen) von der öffentlichen Hand finanziert werden, erkennt EY durchaus an. 62 Mil­liarden Euro sollen die EU-Mitgliedstaaten 2012 in Kulturdienstleistungen investiert haben. Seit 2008 sinken die Kulturausgaben jährlich um ein Prozent. „Cultural spending by governments gets a high profile, yet accounts for only 1% of government outgoings in the EU28 – a share unchanged during the decade to 2012 and far behind defense (2,9%) and education (10,7%).“

Dabei dürfte die finanzielle Abhängigkeit der kreativen Branche vom Staat in Luxemburg vielleicht noch ausgeprägter sein als anderswo. Die Filmbranche hängt an den Subven­tionsmillionen des Film Fund, der dafür sorgt, dass in Luxemburg gedreht und nachgearbeitet wird. Auch die Medien sind in Luxemburg staatlich unterstützt, die Zeitungen beziehen Pressehilfe und RTL hat seinen Konzessionsvertrag. Die Museen und die Theater sind öffentlich finanziert. Künstler konkurrieren um Kunst-am-Bau-Projekte in öffentlichen Gebäuden, um sich ein Einkommen zu sichern. So dass die Rechnung, wie hoch der Beitrag zur nationalen Wertschöpfung nach Abzug der Mittel aus den öffentlichen Budgets ist, vielleicht ernüchternde Resultate ergeben könnte.

Das Vorzeigeprojekt der Luxemburger Kreativindustrie ist das 1535 Creative Hub in Differdingen (Foto), wo sich Künstlerateliers an Design- und Architektenbüros reihen. Anfang des Jahres waren dort 43 Firmen und 250 Beschäftigte untergebracht, wie es im Strategiepapier zur Cluster-Bildung heißt, weitere 250 Firmen stünden auf der Warteliste, um dort Büros zu erhalten, wenn die Renovierung der verbleibenden Gebäude abgeschlossen ist. Doch auch ins Creative Hub fließen öffentliche Gelder, es ist ein Projekt der Gemeinde Differdingen. Und dass Künstler und Kreative dort Schlange für ein Lokal stehen, erklärt sich auch durch die bewusst sozial gehaltenen Mieten. Daran wird deutlich, dass das 1535 vor allem auch ein Immobilienprojekt ist und Kunstschaffende und Kreative ebenso mit den harschen Bedingungen auf dem heimischen Immobilienmarkt kämpfen, wie Gastarbeiter auf der Suche nach einer menschenwürdigen Unterkunft.

„Pour promouvoir l’innovation au Luxembourg il faut des compétences créatives. Cette ‚créativité’ résulte d’actions entrepreneuriales et de soutiens aux entreprises et organisations (privées et publiques) présentes. L’authenticité et le savoir-faire obtenus par ces activités créatives seront un facteur clé pour l’économie et l’image du pays“, heißt es unter Vision/Philosophie des geplanten Clusters. Damit stehen die Kreativen fortan im Dienste des Nation Branding. Konnte man bisher davon ausgehen, dass Unternehmer kreativ sein müssen, um wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, läuft das eher darauf hinaus, dass Kreative insgesamt zu Unternehmern werden sollen. Wer sich darauf einlässt, den wirtschaftlichen Mehrwert von Kreativität, Kultur und Kunst zu messen, riskiert auch, den Wert von Kultur als öffentlichem Gut, wie es auch die Bildung- oder Gesundheitssysteme sind, in Frage zu stellen. Dabei räumen sogar die Firmenberater von EY in ihrem Bericht ein: „Moreover, culture brings many positive, nonfinancial returns to people’s lives, which are largely unmeasured.“

Michèle Sinner
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