Polizeiverfolgungen

Hubschrauberhalali

d'Lëtzebuerger Land vom 11.02.2010

Heute loben wir die spektakulären Sicherheitsmaßnahmen. Ein Jogginganzug ist ein kostbares Gut. Sozusagen ein sakrosankter Fetisch unserer zappelnden, vor lauter Stress und Nervosität fast schon explodierenden Gesellschaft. Wer sich an einem Jogginganzug vergreift, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Das Schlimms­te ist in unserem Fall eine Polizeihubschrauberverfolgungsjagd. Das musste ein dreister Kleiderdieb erfahren, der sich in einem Ingeldorfer Sporthandel unerlaubt einen Jogginganzug unter den Nagel riss. Er wurde gnadenlos gejagt, als hätte er soeben die Zentralbank ausgeraubt. Oder den großherzoglichen Palast in die Luft gesprengt.

Natürlich können wir die Geschichte auch tiefer hängen. Dann wird sie plötzlich verblüffend banal. Ein Mann sucht sich zwei Jogginganzüge aus, bezahlt einen davon korrekt und lässt den zweiten in einer schwarzen Tasche heimlich mitgehen. Vor der Tür wird er von einem Angestellten des Sporthandels erwischt. Er gerät in Panik, drückt dem Geschäftsvertreter die schwarze Tasche mit dem Diebesgut in die Hand und nimmt Reißaus. So weit, so gut: Dem Inhaber des Sport­handels wurde also der geklau­te Jogginganzug zurückgegeben, eine schwarze Tasche als kleines Präsent noch dazu, und der Dieb muss zur Strafe irgendwo in der Landschaft sein Joggingprogramm ganz ohne spezifischen Anzug absolvieren.

Noch eine Stufe tiefer: Der Dieb hat wohl irrtümlich angenommen, im Sportgeschäft seien schon die Solden ausgebrochen. Solden sind jene begnadete Zeit, wo der Preis von Jogginganzügen bis zu 50 Prozent reduziert wird und jeder Joggingbegeisterte folgerichtig zwei Anzüge zum Preis von einem ergattern kann. Natürlich ist es vermessen, wenn ein Privatmann selbstherrlich die Solden ausruft. Trotzdem sollten wir nicht vergessen, wofür die Solden stehen: in aller Öffentlichkeit führen die Händler via Preisschilder vor, wieviel sie ihren Kunden jahresüber zuviel abgenöpft haben. Dieses „Zuviel“ wäre dann Geld, das ihnen nicht zusteht, oder – prosaischer ausgedrückt – das sie ihren ahnungslosen Kunden geklaut haben. Wäre dies nicht eine leckere Vorlage für das Plädoyer ei­nes Rechtsanwalts vor Gericht? Oder hängt unsere Geschichte jetzt wirklich eine Stufe zu tief?

Konzentrieren wir uns lieber auf die Folgen, die der illegale Solden-Aficionado erleiden musste. Die Polizei mobilisierte ihren Hubschrauber gegen den flüchtigen Kleiderdieb. Wir wissen nicht, ob die Beamten im Hubschrauber Jogginganzüge trugen. Aber wir erkennen hier einen interessan­ten Ansatz zur luftgestützten Verbrecherhatz. Zwar hat die Polizei nachträglich in einem Communiqué klargestellt, dass ihr Hubschrauber nicht eigens zu Ehren des Kleiderdiebs ausgerückt sei. Ohnehin hätten die Hubschrauberpiloten einen anderen Auftrag erledigt und so problemlos zur Kleiderdiebverfolgung hinüberschwenken können.

Jetzt sind wir allerdings ein bisschen erstaunt. Das kann ja nur heißen, dass der ursprüngliche Hubschrauberauftrag noch unwichtiger war als die Luftattacke auf einen fliehenden Kleiderfreak. Wozu stieg der Hubschrauber denn überhaupt in die Luft, wenn die Polizei mir nichts dir nichts ihre Mission abbrechen und eine andere Fährte aufnehmen kann? Haben die tapferen Gesetzeshüter etwa eine Bisamratte gejagt, die in einem Hühnerstall bei Diekirch ungebührlich randalierte? Oder nahmen sie einen furchtbaren Triebtäter ins Vi­sier, der mitten auf einem verschnei­ten Feld hemmungslos masturbierte und das sittliche Empfinden von Krähen und Amseln zutiefst verletzte? Aus der Kriminalstatistik erfahren wir ja, dass nichts Masturbierende nachhaltiger in Angst und Schrecken versetzt als das plötzliche, scharfe Knattern eines Hubschraubers.

Da wir auf die Sparsamkeitsappelle unserer Regierung immer positiv reagiert haben, fragen wir uns jetzt ganz unverfroren, wieviele Jogginganzüge man eigentlich von der Summe kaufen kann, die ein einziger Polizeihubschraubereinsatz kostet. Die Antwort kommt wie aus der Polizei­flinte: Man könnte die gesamten einheimischen Ordnungskräfte mit nagelneuen Jogginganzügen einkleiden. Das würde übrigens nicht der Sicherheitslogik entbehren. Denn es ist doch wohl ökologischer, einen flüchtigen Jogger auf dem Joggingweg zu jagen. Der Jogger – und sei er hundert Mal ein frecher Dieb – versaut die Atmosphäre nämlich nicht annähernd so verheerend wie der Polizeihubschrauber.

Wir wollen aber den volkswirtschaftlichen Nutzen des Polizeihubschraubers nicht außer Acht lassen. Wie wir hören, war die Aktion gegen den Kleiderdieb nur eine Art Generalprobe. Demnächst wird eine ganze Armada von Polizeihubschraubern (mit Unterstützung aus allen verbündeten EU-Staaten) gegen die wahren Großgangster auf dem Boulevard Royal und auf Kirchberg ausrücken. Dann hilft jenen maßlosen Klaubrüdern aus den Geldvernichtungsinstituten, die uns um Milliarden erleichtert haben, auch kein Jogginganzug mehr. Selbst dann nicht, wenn sie nachweisen, dass sie ihn völlig legal in einem Ingeldorfer Sporthandel gekauft haben.

Guy Rewenig
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