Die Liebe zu den Büchern

Es modert, Frau Modert!

d'Lëtzebuerger Land vom 04.02.2010

Heute loben wir die Liebe zu den Büchern. In der Nationalbibliothek lässt unser Staat, der mit Büchern wahrhaftig nichts am Hut hat, ganze Bestände verwesen. Eigentlich wäre es billiger, den gesamten Fundus dieser Bibliothek gleich auf die Weinkellereien der Mosel zu verteilen und die Bücher tonnenweise in feuchten Erdlöchern zu lagern. Dort könnten sie still vor sich hin modern, genau wie die Etiketten auf den Weinflaschen, deren regelmäßige Lektüre unsere sogenannte Kulturministerin ja als Literaturkennerin ersten Ranges ausweist. In den Räumlichkeiten der aktuellen Nationalbi-bliothek könnte dann irgendein elektronischer Zirkus seine Zelte aufschlagen. Die Digitalisierung der Bibliotheksbestände ist ein erster Schritt in die gute Richtung. Wir brauchen eigentlich nur Computer und keine real existierenden Bücher. Wenn wir die Bücher virtuell betrachten können, wozu sollten wir uns dann noch in modernde Papierberge hineinwühlen? Jedes Kind weiß ja, dass Bücher im Internet weder Feuchtigkeitsprobleme, noch Lagerschwierigkeiten haben.

Und wir wollen mal nicht übertreiben. Was ist der Pilzbefall an 30 000 Büchern gegen den Pilzbefall an der Demokratie? Im süffisanten CSV-Staat modert es noch viel gewaltiger als in der nationalen Bücherenkla-ve. Da treten neuerdings wieder die schwangeren Männer auf, jene biologischen Wunder von Gottes Gnaden, die offenbar besser als alle Frauen über die weibliche Befindlichkeit Bescheid wissen. Diese Männer verbieten den Frauen einfach den Mund und lassen jetzt wieder ihre bewährte Tötungsmaschine auffahren, die ihnen schon bei der Euthanasiedebatte treffliche Dienste geleistet hat. Frauen, die abtreiben, sind Mörderinnen, Punkt, Schluss. Genau wie Menschen, die ein würdevolles Sterben ermöglichen wollen, nichts als finstere Komplizen einer weltweiten Tötungsmafia sind. So vermodert fährt der christliche Staat freiheitsliebenden Bürgern in die Parade. Gegen diesen ideologischen Pilzbefall gibt es nur eine radikale medizinische Indikation: die CSV müsste mal dringend für 50 Jahre in die Quarantäne.

Aber wir wollten ja von Büchern reden. Dass die Nationalbibliothek buch­stäblich verkommt und Luxemburg mehr und mehr zum Staat ohne kulturelles Rückgrat avanciert, zum armseligsten Kulturkaff in Europa, darüber verliert unser Premier kein Wort. Bücher sind nicht so sein Ding, wohl aber Militärflugzeuge. Er dekretiert einfach in aller Öffentlichkeit, dass die Regierung daran festhält, das Kriegsspielzeug A400M selbst dann zu kaufen, wenn der Preis obszön in die Höhe schnellt. Wir Luxemburger sollen uns also mit Kriegen beschäftigen, statt mit Büchern. Mit dem Geld, das diese war lords-Waffe verschlingen wird, könnte der Staat eine neue Nationalbibliothek mit allen Schikanen bauen. Doch wie wollen wir uns dann verteidigen, wenn das moderbefallene Festungsmuseum namens Luxemburg wieder einmal von den Barbaren überfallen wird? Sollen wir uns in den Bibliotheksnischen verschanzen und mit Büchern nach den anrückenden Chinesen werfen?

Wir könnten ja innovativ denken und der gefährdeten Nationalbibliothek völlig überraschend auf die Sprünge helfen. Der auf Zwecklügen spezialisierte Premier behauptet ja beharrlich, das verheerend kostspielige Kriegsflugzeug diene eigentlich Friedenszwecken. Nehmen wir ihn doch einfach beim Wort. Was ist denn friedlicher und friedensfördernder als eine Nationalbibliothek? Sie muss ja nicht unbedingt in einem repräsentiven Bau verankert werden. Sie kann sich genauso gut in die Lüfte erheben. Kombinieren wir doch einfach das Schöne mit dem Hässlichen: stecken wir unsere Nationalbibliothek in das Kriegsflugzeug, und schon sind wir das erste Land der Welt mit einer flying national library! Überall auf dem Planeten wird man uns Luxemburger bewundern: kriegsunfähige Utopisten, die auf den globalen Schlachtfeldern überhaupt nichts zu suchen haben, aber ihre Zukunft auf einen Bücherschatz bauen.

Das Modell könnte schnell Schule machen. Je öfter das Bücherflugzeug zum Einsatz kommt, umso schärfer tritt der Wahnsinn aller Kriege ans Licht. Sollen die anderen NATO-Verbündeten doch mit ihrer militärischen Potenz auftrumpfen! Wir Luxemburger kommen nicht mit Panzern und Maschinengewehren, sondern mit Büchern! Stellen wir uns kurz vor, alle NATO-Partner schwenken auf unsere Linie ein. Dann wäre „Konfliktbereinigung“ nur mehr ein Fachwort für die Frage, wie all diese imposanten, fliegenden Bibliotheken ihre Einsatzgebiete untereinander aufteilen. Übrigens könnten in diesem Fall alle mitfliegenden Soldaten ihre Stahlhelme getrost zu Hause lassen. Wer mit Büchern umgeht, braucht einen freien Kopf.

Während wir hier so maßlos romantisch schwärmen, vermodert unsere Nationalbibliothek. Unser Staat ist offenbar eine kulturfreie Zone. Das muss er nicht auch noch mit einem Kriegsflugzeug beweisen.

Guy Rewenig
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