20 Jahre Déi Gréng

Radikalliberal mit Pfefferminzgeschmack

d'Lëtzebuerger Land vom 28.05.2003
Am Nationalfeiertag 1983 trafen sich ein halbes Hundert aktive bis enttäuschte Naturschützer, Sozialisten, Atomkraftgegner, Maoisten und Animisten im Pfaffenthaler Vereinslokal der Musikgesellschaft Sang a Klang. Sie waren zwei Aufrufen in der linkssozialistischen Monatszeitschrift Perspektiv gefolgt, einem aus der Feder von Muck Huss, der eine „Auffangstruktur“ links von der während der Mittelinkskoalition ziemlich rechts gewordenen LSAP schaffen wollte, und einem aus der Feder von Robert Garcia, der schon vor einer „links-grünen Gremling-Partei“ warnte. Nach mehrstündiger Debatte über eine vorbereitete Prinzipienerklärung beschlossen die Versammelten, eine neue Partei zu gründen, welche die einen mehr grün und die anderen mehr alternativ wollten, so dass sie am Ende Grünalternative Partei hieß, kurz GAP. Anschließend pflanzten sie mit einem früh entwickelten Sinn für Medienwirksamkeit und zum Leidwesen des völlig humorlosen damaligen Kammerpräsidenten eine junge Linde vor dem Parlamentsgebäude.

Einige der Gründerväter und -mütter wollten mit Hilfe ihrer in anderen Parteien und Sekten gewonnenen Erfahrung den „Weg durch die Institutionen“ bis an die Spitze des Staats zurücklegen. Die politisch weniger Erfahrenen wollten die Welt vor der drohenden ökologischen Katastrophe retten. Jean Gremling war ein LSAP-Abgeordneter und Zwangsrekrutiertenanwalt, der sich mit Klientelismus und linken Sprüchen verselbständigt hatte.

Die folgende Zeit verbrachten die Grünen damit, die Reformismusdebatte, für die die Arbeiterbewegung fast ein Jahrhundert brauchte, in zehn Jahren nachzuholen. Das produzierte besonders vor Wahlen allerlei Abspaltungen, welche die Namen Glei, Tag, Gral und EFDN trugen, sowie einzelne Wiedervereinigungen. Die Abkürzungen stehen für Gréng Lëscht ekologesch Initiativ, Tendenz Antonio Gramsci, Gréng-alternativ Lëscht und Ekologiste fir den Norden, verkürzt ging es weniger um die Entscheidung zwischen Naturschutz oder Gesellschaftsveränderung, als um persönliche Rivalitäten und um Geld.

Unter dem Strich kam eine der beiden erfolgreichsten Parteigründungen der Nachkriegsgeschichte heraus. Die andere ist das Aktionskomitee 5/6-Pension für jeden, heute ADR. Beide sind der linke, beziehungsweise der rechte Flügel einer ideellen Gesamtpartei, die ökonomisch postfordistisch und kulturell postmodern sein musste.

Anfänglich wollte diese ideelle Gesamtpartei der Postmoderne als Antipartei eine Alternative zu den traditionellen Altparteien bieten, denn damals war es kurz in Mode, Parteien als politische Organisationsformen für tot zu erklären. Später tat sie das als Flegeljahre ab und wollte lieber in den Staatsrat. Hauptunterschied zwischen beiden Flügeln ist, dass die Wählerbasis des einen seine ökonomischen Probleme als gelöst empfindet und sich deshalb seiner Lebensqualität widmen kann, während die Wählerbasis des anderen befürchtet, dass ihre ökonomischen Probleme unlösbar werden. Folglich etablierte sich der eine Flügel auf Kosten der LSAP, die nicht genug Veränderung zuließ, und der andere auf Kosten der CSV, die zuviel Veränderung zuließ.
Deshalb lobt der CSV-Staatsminister regelmäßig die Grünen, während die LSAP sich nicht traut, im Gegenzug das ADR zu fördern.

Obwohl sie vor allem der LSAP Stimmen kostete und ihre wichtigsten Führungsleute LSAP-Mitglieder waren, ist die grüne Partei das, was die DP vielleicht nie war: eine linksliberale Partei. Damit sind die Grünen, ohne es zu wissen, auch ein wenig die Urenkel der Radikalen, Radikalliberalen beziehungsweise Radikalsozialistischen Partei der Dreißigerjahre – mit Pfefferminzgeschmack, versteht sich. Was ihnen zu Ehren gereicht, da die ansehnlichste  Seite des Liberalismus  die demokratische ist.

Sozial sind die Grünen eine stark verbeamtete Mittelschichtenpartei, die besonders attraktiv für Frauen, Angehörige der Erziehungs- und Sozialberufe sowie für Jugendliche ist. Als der größte Teil der qualmenden Schwerindustrie wegrationalisiert wurde und mit ihm deren Partei, die Kommunisten, nahmen die grünen Modernisierungsgewinner deren Sitze im Parlament ein als Vertreter einer sauberen Dienstleistungsgesellschaft. Die Verlierer oder sich dafür Haltenden liebäugelten mit dem ADR.

Arithmetisch sind die Grünen, was die Kommunisten ein halbes Jahrhundert lang waren: eine Fraktion von circa fünf Abgeordneten, die den anderen Parteien bei Koalitionsrechnungen fehlen. Zusammen mit dem ADR entstanden sie deshalb gerade rechtzeitig, um CSV, LSAP und DP in dem Maße zu schwächen, dass die Koalitionsgeometrie nachhaltige verändert wurde. Derzeit wäre beispielsweise eine Mittelinkskoalition gar nicht mehr möglich, wenn sie denn jemand wünschte. Bisher wurde die CSV dadurch empfindlicher geschwächt als der CSV-Staat, der zu profitieren schien.

Darauf gründet die Hoffnung der Grünen, die den vor 20 Jahren beschlossenen Marsch durch die Institutionen mit bewundernswerter Konsequenz gegangen sind, bis in Schöffenräte und Abgeordnetenkammer, Staatsrat und Europaparlament, und sich dabei oft als gewissenhafte Verwalter erwiesen haben, nicht selten technokratischer als politisch begabt. Zu diesem Zweck hatten sie nicht nur ihre Kleiderordnung geändert, sondern auch jene im Pfaffenthaler Sang a Klang beschworenen Prinzipien, die sie für ewig von den traditionellen Altparteien unterscheiden sollten. Als da wären die Selbstbeschränkung auf den parlamentarischen Arm der schlecht gealterten Neuen sozialen Bewegungen, die Rotation politischer Mandate, die Trennung von Amt und Mandat und desgleichen mehr.

Nach den Versuchen ihrer Schwesterparteien in den Nachbarländern setzen die Grünen mit der für Luxemburg gewohnten Verspätung darauf, dass allein aus arithmetischen Gründen ihre Stunde schlägt, sobald die Wähler einmal die gewohnten CSV-Koalitionen für abgewirtschaftet halten. Die Meinungen gehen lediglich auseinander, wann das der Fall sein wird.

Doch kam ein Faktor hinzu, den die Grünen in der ersten Euphorie nicht bedacht hatten. Statt eines von der sich rasch verallgemeinernden Einsicht der Massen in die Notwendigkeit des Umweltschutzes angefachten, von Wahlgang zu Wahlgang sich fortsetzenden Siegeszugs der Partei, stagniert ihr Einfluss seit zehn Jahren. Womit bewiesen sein dürfte, dass es in der wahlberechtigten Gesamtbevölkerung eine Basis von etwa zehn Prozent gibt, die ihre politischen Interessen am besten durch die Grünen vertreten fühlen. Andererseits aber auch, dass bei der grünen Wiedervereinigung 1994 unbesehen aus Deutschland übernommene Versprechen, als drittstärkste Partei demnächst die Liberalen zu überrunden,  nicht einzuhalten waren. Die Grünen trösten sich mit der zum Teil zutreffenden Behauptung, sie hätten die anderen Parteien durch Konkurrenzdruck dazu gezwungen, sich vermehrt für Umweltschutzfragen zu interessieren. Die erwähnten zehn Prozent widerlegen vorschnelle Einwände der anderen Parteien, die Grünen hätten sich damit erfolgreich überflüssig gemacht. 20 Jahre sind folglich nicht genug.

Die Geburtstagsfeiern in den nächsten Wochen rund um den Grünen, der es weltweit am weitesten gebracht hat, den deutschen Außenminister Joseph Fischer, dienen weniger dazu, aus der Geschichte zu lernen, als möglichst medienwirksam den Wahlkampf für 2004 einzuläuten. Das wird nötig sein, weil die Hauptkonkurrenz, die LSAP, erstmals von Regierungsverpflichtungen entbunden aus der Opposition heraus dieselben radikaleren Töne anschlagen kann wie die Grünen. Schon bei den letzten Wahlen zeigte sich, dass das Interesse der Wählerinnen und Wähler an Umweltschutzfragen abgenommen hat. In Zeiten des Konjunkturrückgangs nimmt diese Tendenz erfahrungsgemäß zu.
Romain Hilgert
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