Jedes Auto hat seinen eigenen Geruch. Nicht nur nach seinem Besitzer, wozu das Auto benutzt wird oder wie darin gelebt wird. Nicht nach der Fabrik oder nach Plastik, sondern nach etwas, das tiefer reicht. Unter all dem liegt der Geruch der Gefühle, die darin ausgestanden wurden. Beim Einsteigen, als er dich abgeholt hat, hattest du es noch nicht bemerkt. Du warst zu aufgeregt. Oder vielmehr vorfreudig, voller Fantasien. Dafür hatten sich andere Dinge eingebrannt. Seine Augen, sein schiefes Lächeln. Die Hand der Fatima am Rückspiegel mit ihrem milden Blick, die Reisekarten unter der Sicherheitsweste in der Beifahrertür. Vielleicht hast du nur seinen Geruch bemerkt, als ihr euch zur Begrüßung umarmt hattet, fest in die Arme geschlossen habt, sein kratziges Kinn an deiner Wange. Das Gefühl seines Haars unter deinen Fingern. Das Auto schnurrt über die Fahrbahn, leise spielt die Musik. Ihr schweigt und schaut geradeaus, auf die langen Schneisen der Scheinwerfer auf der Straße, die verheißen: weiter, weiter. Das erleuchtete Innere des Autos ist euer Kokon in einer Welt, die so spät am Abend nurmehr aus vorbeifließenden Lichtschimmern und schwarzen Umrissen besteht. Du denkst an das Kino. Nicht an den Film, sondern an das Gefühl, als sich eure Unterarme auf der Lehne berührt haben. Tastend, aber mit Absicht. Wie sich eure Hände ineinander verhakt haben, sein Daumen auf deiner Handfläche. Du drehst dich zu ihm, ohne ihn direkt anzusehen. Du widerstehst dem Drang, ihn anzufassen. Du lehnst dich zurück und lächelst. In Gedanken versunken. Morning found us calmly unaware. Dann bemerkst du es. Wie fremd die Lichter auf der Straße plötzlich geworden sind, wie sich die Schatten am Rand deines Blickfelds verziehen wie Gesichter, die sich abwenden, sobald man sie ansieht. Das Flackern, das hinter euch auftaucht. Als das Blaulicht mit einem Mal vom Aufheulen einer Sirene begleitet wird, wird dir bewusst, dass das Polizeiauto euch nicht überholen wird. Es gilt euch. Er war bereits langsamer geworden, um dem Polizeifahrzeug Vorfahrt zu gewähren, und fährt jetzt rechts ran. „Huch“, sagst du, und schaust wie zur Kontrolle noch einmal zu ihm rüber, „wir waren doch gar nicht zu schnell“. Er sagt nichts, stellt nur das Radio leiser, aber nicht ganz aus.
Du warst noch nie in einer Polizeikontrolle, außer an Grenzübergängen. Du kennst die Situation allenfalls aus Filmen. Doch es gibt keinen Grund, nervös zu werden. Du fragst gar nicht erst, ob er die Fahrzeugpapiere dabeihat und seinen Führerschein. Ihr habt nicht viel getrunken. Natürlich seid ihr beide angeschnallt. Über diese Straße bist du schon Hunderte, Tausende Male gefahren. Ihr wart nicht zu schnell. „Das dauert sicher nicht lange.“ Sein Gesicht ist regungslos, dann neigt er seinen Kopf zu dir, zum Beifahrersitz, und lächelt dich schief an. Seine Wimpern werfen leichte Schatten unter seine Augen, die du gerne streicheln würdest. „Das war ein schöner Abend“, sagst du, während ihr wartet, unfreiwillig noch einmal innehaltet zu zweit, als plötzlich jemand gegen die Scheibe an der Fahrerseite klopft. Mit einem Surren lässt er das Fenster herunterfahren. Ein Luftzug weht in eure behagliche, enge Insel. „Führerschein und Fahrzeugpapiere, bitte.“ Noon burned gold into our hair. Draußen steht ein Unterkörper im Scheinwerferlicht des Polizeiautos hinter euch, in straff sitzenden, dunklen Hosen, um die Taille einen behangenen Gürtel. Dein Blick gleitet weiter über seinen Arm, der aus dem offenen Fenster hängt, über seine Unterarme und seine Schultern bis hoch zu seinem rasierten, warmen Nacken. Schweigend reicht er der Stimme die Unterlagen durch das Fenster. Seine andere Hand hält das Steuer noch immer umklammert. Er fragt nicht nach, wieso ihr angehalten wurdet. Ihr seid die einzigen auf der Landstraße. Er dreht sich auch nicht wieder zu dir um, sondern blickt weiter aus dem Fenster in die Nacht. Draußen Schritte in der Dunkelheit. Die Stimme geht zurück zum Polizeifahrzeug und lässt euch zu zweit zurück. Du fragst nicht, was das Protokoll ist, ob er jetzt aussteigen und Fragen beantworten muss. Du willst das Schweigen nicht zerreißen, das sich so wohlig auf euch gelegt hat. Deine Augenlider flattern, schläfrig, eingehüllt in eurer beide Gerüche. Und während du von dem Gefühl seiner Haut unter deinen Lippen träumst, dem Kratzen seiner Bartstoppeln an deiner Nase, klopft es mit einem Mal auch auf deiner Seite. Erschrocken fährst du herum. „Aussteigen, bitte“, hörst du dumpf durch die Scheibe.
At night, we swim the laughin' sea. Du drehst dich irritiert zu ihm um. Er wirkt ratlos, aber mit einem Mal ist da auch eine Härte in seinem Gesicht, die dich überrascht. Neben ihm zeichnet sich, im Lichtkegel einer Taschenlampe, ein zweiter Polizist ab. „Ich hab nichts gemacht“, sagst du unverblümt. Und dann lachst du über dich selbst. Doch sein Gesicht ist jetzt ganz still. Keine Regung. Nur sein Blick, der dich trifft. Du hörst auf zu lächeln. Erneutes Klopfen, wieder: „Aussteigen, bitte.“ Das ist keine Bitte. Während du die Tür aufmachst, hörst du, wie der zweite Polizist mit ihm redet, irgendetwas über das Rücklicht sagt, und dann steigt auch er aus. Wohin ihr fahrt, fragt der Beamte hinter dir, und du hörst, wie er scharf antwortet. Die Kälte hüllt dich ein, saugt dich mit einem Mal aus der wohligen Ruhe des Autos in eine andere Realität. Jetzt hörst du das Rauschen der Baumwipfel, den leisen Wind, spürst die Kälte der Nacht und die Weite der Dunkelheit. „Folgen Sie mir“, sagt der Polizist, aber dann geht er nicht vor, sondern bleibt an deiner Seite, als ihr euch einige Meter vom Auto entfernt. Ihr lauft zum Polizeiauto, bleibt daneben am Straßenrand stehen. Du gehst davon aus, dass das zwar etwas ungemütlich, doch gewiss schnell wieder vorüber ist. Der Polizist dreht sich zu dir um und schaut dir direkt ins Gesicht. Er hat eine tiefe Falte quer über der Stirn und eine kleinere über der Nasenwurzel. Er ist höchstens ein, zwei Zentimeter größer als du. Ernst sieht er aus, aber freundlich. „Alles okay bei Ihnen?“ Es ist der mit der tiefen Stimme, der vorhin an der Fahrerseite stand. Du brauchst einen Moment, um zu verstehen, dass die Frage dir gilt. „Ja … also … ja, klar. Ich denke schon?“ „Kennen Sie diesen Mann?“, fragt der Beamte, und deutet auf das Auto. „Wir sind unterwegs nach Hause“, sagst du, und fragst dich, ob du erzählen musst, was ihr getan habt, woher ihr euch kennt, was ihr noch vorhabt, doch dann entscheidest du dich anders. Ich muss gar nichts erzählen, denkst du, trotzig, und verschränkst die Arme vor deinem Bauch. Das geht ihn doch überhaupt nichts an, warum du hart bist. „Ja, klar kennen wir uns.“ Dir ist kalt. Der Beamte schließt kurz seine Augen, dann lehnt er sich leicht nach vorne, auf die Zehenspitzen. „Seien Sie vorsichtig.“
Ihr werdet von den Scheinwerfern eines Autos erfasst, das mit einem Rauschen vorbeizieht, kurz verlangsamt, ohne anzuhalten, bevor ihr wieder in die Dunkelheit getaucht werdet. Irgendwo zirpt eine Grille. „Vorsichtig?“, fragst du verwirrt. „Wie meinen Sie das? Warum musste ich aussteigen? Ich bin doch nur der Beifahrer. Ist etwas passiert?“ When summer's gone. „Nicht heute“, sagt der Beamte ruhig. Leise, aber bestimmt. Vielleicht etwas mitleidig. „Ich muss Sie warnen. Es gab Anzeigen gegen ihn.“ Du runzelst die Stirn. „Anzeigen?“ „Wir wollen ja nichts unterstellen. Aber ich würde Sie gern ermahnen, auf sich aufzupassen. In dieser Konstellation, nachts, zu zweit unterwegs zu sein, das …“ Und dann bricht er ab. Er sieht dich lange an, fast väterlich. Du spürst, wie sich dein Magen zusammenzieht. „Wovon reden Sie?“, kannst du noch empört hervorstoßen. „Wir wollten Ihnen das sagen, damit Sie Bescheid wissen. Damit Sie es einmal gehört haben.“ „Was erlauben Sie sich! … Ich meine, dürfen Sie das überhaupt? Haben Sie ihn etwa verfolgt? Haben Sie uns verfolgt? Warum haben Sie uns überhaupt angehalten?“ Du schnappst nach Worten wie nach Luft. „Das sind doch Vorurteile.“ Sein Gesicht verschließt sich vor deiner heftigen Reaktion. Er nickt dir noch einmal zu. „Passen Sie auf sich auf“, sagt er nachdrücklich und schaut dich vielsagend an. Dann lässt er dich fallen, stößt dich hinein in die Realität, zurück in die Dunkelheit und in die Kälte. Als müsstest du jetzt wissen, was zu tun ist, dabei weißt du nicht einmal, ob du etwas tun sollst.
Dein Kopf fühlt sich schwer an, als wären deine Gedanken unter Wasser, langsamer geworden, du bist unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Du willst noch etwas erwidern, eine Frage stellen, eine Verteidigung vielleicht, doch etwas in dir zieht sich zusammen. Deine Stimme ist irgendwo tief in deiner Brust verschwunden. Du watest zurück zum Auto, wo er sitzt und auf dich wartet. Er hat sich nicht bewegt, das Radio wieder lauter gestellt, das mitten in dieser seltsamen Stille viel zu schrill klingt. Du steigst ein. Leise, wie jemand, der in einen Käfig kriecht. Erst jetzt zieht der Geruch des Autos in deine Nase, nach Plastik, blauem Reiniger und etwas, das du nicht benennen kannst. Kalt, distanziert, fremd. „Von wegen, das Rücklicht sei kaputt. Es funktioniert einwandfrei … Was wollten die denn von dir?“, fragt er. Seine Stimme ist ruhig, aber anders als vorher, denkst du. Wacher. Oder bildest du dir das nur ein? Seine Augen tasten über dein Gesicht. „Sie wollten … er hat gesagt …“ Du brichst ab. Er lacht leise. „Was für eine Frechheit.“ Du nickst nicht. Sagst nichts. Ob er weiß, was sie gesagt haben? Was sie ihn wohl gefragt haben? Was, wenn in ihm längst alles arbeitet, zischt, brodelt, kocht? Seine Augen sind dunkel, fordernd. Du wünschst dir, er würde dich nicht so mustern. Du würdest gern aussteigen, wenn es draußen nicht so kalt und so dunkel wäre. Und wenn das nicht so endgültig gewesen wäre. Du hättest gerne eine Pause, um nachzudenken. Draußen fährt das andere Auto los, zieht langsam an euch vorbei. Dann siehst du nur noch die roten Rücklichter, die immer kleiner werden.
Du versuchst, nicht zu blinzeln. Ihn wiederzuerkennen. Aber sein Gesicht ist anders. Du weißt nicht, ob es das Licht ist. Oder die Worte. Die Kälte, in der du so lange standest. Ob du dir das einbildest, weil du dich erst wieder in eure Wärme hineinfühlen musst, in euren gemeinsamen Geruch hineinlehnen wie er sich im Kino an deinen Nacken lehnte. Seine Knöchel zeichnen sich am Lenkrad ab. An seiner Schläfe pocht eine Ader. Seine Stimme wird lauter. Er spuckt seine Worte regelrecht aus. Die Muskeln in seinem Unterarm zucken. Das Auge am Rückspiegel schaut dich unerbittlich an. Vor euch tanzen Nachtfalter im Scheinwerferlicht auf der leeren Landstraße, die Bäume gespenstisch weiße Schemen. Dann drückt er das Gaspedal durch. Der Motor heult auf wie ein aufgeschrecktes Tier. Das Auto schießt nach vorn. Und du? Where will we be. Du hältst die Luft an, als wäre es dein letzter Atemzug.