À l’amitié In der idyllischen Schlussszene sitzen die drei Polizistinnen Luc Capitani, Elsa Ley und Joe Mores an einem Weiher in Manscheid. Das Licht ist weich, die Musik seicht. Ausgelassen und glücklich prosten sie sich mit Diekircher Dosenbier zu und freuen sich, ein weiteres Abenteuer überstanden zu haben. Am Anfang der zweiten Staffel der Erfolgsserie hatte es zunächst nicht nach einem Happy End ausgesehen. Luc Capitani von der Police judiciaire hatte wegen des Mordes an dem Portugiesen Vincent Da Costa im Gefängnis gesessen. Wieder auf freiem Fuß, hält der Ex-Polizist sich mit Gelegenheitsjobs im Rotlichtviertel des Garer Quartier über Wasser. Als er von der Prostituierten Bianca Petrova gebeten wird, nach ihrer verschwundenen Arbeitskollegin Andreea Popescu zu suchen, nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Capitani findet Popescu tot beim Freierbësch. Weil er den Polizeifunk abgehört hatte, war er schon vor der Polizei am Tatort. In der Hand der Leiche entdeckt er eine Kette mit einem Amulett des Heiligen Nikolaus, Hähnchenknochen und Federn. Diese Gegenstände nimmt Capitani einfach mit und verlässt den Tatort, noch bevor die Polizei dort ankommt. Am nächsten Morgen steht er auf, kocht sich eine Tasse Kaffee und gibt die Begriffe „schwarze magie ritual“ in die Suchmaschine an seinem Computer ein. Regungslos sieht er sich die Bilder an. Dann tippt er „schwarze magie mord“ ein und atmet tief durch.
Fast zeitgleich kommt Lucky Onu mit dem CFL-Bus am Luxemburger Bahnhof an. Der Anhänger des Fußballvereins Manchester City geht ins Café Joker in der rue du Fort Neipperg, wo ihn der Barkeeper ins Hotel Grand Huit nach Esch/Alzette schickt. Onu, der von den Polizistinnen nur mitleidsvoll „de Lucky“ genannt wird, ist auf der Suche nach seiner Schwester Grace Onu, die in Luxemburg als Prostituierte tätig ist. Er will sie zurück in ihr Heimatdorf in Nigeria bringen, weil sie offenbar eine Art „Priesterin“ – The Chosen One – ist. Sie kennt sich in traditioneller westafrikanischer Medizin aus. Im Grand Huit wird Lucky von der griesgrämigen Queen empfangen. Sie leitet das Hotel, es ist das Hauptquartier der „Nigerianer“, die die Drogengeschäfte am Bahnhof fest in der Hand haben. Queen erzählt Lucky, dass er morgen den „Brasilianer“ kennen lernen wird, und verschwindet.
Währenddessen sucht Capitani noch immer an seinem Computer nach schwarzer Magie. Er wird jäh unterbrochen, als Bianca Petrova an seiner Tür klingelt. Capitani zeigt ihr das Foto der Toten, Petrova ist schockiert. Capitani erzählt, dass ihre Kollegin erstochen wurde. „Qu’est-ce qu’elle a fait pour mériter ça?“, fragt Capitani. „Mériter ça? C’est de sa faute peut-être? Personne ne mérite ça“, entgegnet ihm Petrova. Nun sieht auch Capitani es ein: „Pardon, et war net sou gemengt“, entschuldigt sich der Ex-Polizist. Wer hatte der Prostituierten das angetan? Hatte sie sich mit den „Nigerianern“ angelegt? Die Knochen und die Federn deuten jedenfalls daraufhin.
E richtege Problem Diese Szenen veranschaulichen den Gegenstand der Kritik, die das Künstlerkollektiv Richtung22 vor zwei Wochen geäußert hat, als es den Machern von Capitani2 in einer Analyse Rassismus und Sexismus vorwarf. „Capitani ass als staatlech finanzéiert kulturell Kontributioun mat wäiter Distributioun en richtege Problem mat deem sech auserneegesat gi muss. Och dréit d’Serie en Deel zur rietsextremer Eskalatioun vun der Debatt ronderëm d’Politik am Garer Quartier bäi“, schreibt das Kollektiv auf seiner Homepage. Obwohl die Serie im Kern platter Schablonen bezichtigt wird, haben die Macher der Serie auf die Kritik von Richtung22 nicht öffentlich reagiert, auf ein „Pardon, et war net sou gemengt“ haben sie verzichtet. Auch ein Aufschrei wie nach dem stereotypisierenden Castingaufruf vor einem Jahr blieb aus. Lediglich das Tageblatt hat sich am Montag in einem Leitartikel mit der Kritik beschäftigt, Kulturredakteur Jeff Schinker wusste aber nicht genau, ob er sie „akkurat“ oder „polemisch“ finden sollte und bemängelte, dass „im letzten Monat unter linksintellektuellen Denkern anscheinend niemand selbst auf die Idee kam, die zweite ‚Capitani‘-Staffel nach der letztjährigen Polemik auf Rassismus zu prüfen“. Der Hauptgrund mag darin liegen, dass viele Menschen die Serie bis zur Veröffentlichung der Analyse von Richtung22 gar nicht verfolgt haben. Die, die es versucht haben, waren häufig mit überlasteten Servern konfrontiert. Wer trotzdem schaute, fand das Storytelling nach zwei, drei Episoden vielleicht nicht überzeugend genug, um weiter dran zu bleiben.
Bei der ersten Staffel war das noch anders. Sie war sehr erfolgreich; nachdem der Streamingdienst Netflix sie in sein Programm aufgenommen hat, sollen weltweit 20 Millionen Menschen sie gesehen haben, beim Lëtzebuerger Filmpräis gehörte sie neben dem ebenfalls wegen Chauvinismus stark kritisierten Superjhemp retörns zu den Gewinnerinnen. Umso höher waren die Ansprüche an die Fortsetzung, die ursprünglich nicht geplant war – wegen des internationalen Erfolges der Serie jedoch schnell nachgereicht wurde.
Rassismus hätte man den Machern auch schon bei der ersten Staffel vorwerfen können. Das Dorf Manscheid wurde als Bastion weißer Luxemburger dargestellt, in der „Ausländer“ und People of Colour keinen Platz haben. Die beiden einzigen portugiesischstämmigen Figuren waren beide kriminell. Doch Capitani1 wurde als Parabel oder Persiflage auf die Provinz gedeutet: Bei Manscheid handelte es sich um ein fiktives Dorf und die Geschichte war frei erfunden. Capitani2 spielt hingegen an realen Schauplätzen, dem hauptstädtischen Bahnhofsviertel und dem Viertel Clair-Chêne in Esch/Alzette. Die eigentliche Geschichte ist auch diesmal fiktional, doch sie nimmt Bezug auf reale Orte und Personen. Sie beschreibt gesellschaftliche Phänomene, die sich tatsächlich an diesen Orten ereignen: Drogenhandel, Prostitution und ihre Bekämpfung durch Politik, Staatsanwaltschaft und Polizei. Damit kommentiert die Serie unterschwellig soziopolitische Entwicklungen und erhebt einen Realitätsanpruch, den es in Manscheid nicht gab: Capitani2 versteht sich als Milieustudie. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Recherchen, die Drehbuchautor Thierry Faber um Terrain durchgeführt hat. Informationen über den Drogenhandel hat er sich bei Polizei und Justiz besorgt, über Prostitution hat er sich mit Sozialarbeiterinnen in Luxemburg und Arlon unterhalten. Mit den Betroffenen selbst hat er sich nicht auseinandergesetzt, weil er keinen Zugang zu Prostituierten und Drogenverkäufern fand.
Nigerianer Letztendlich hat das dazu geführt, dass den Justizbehörden viel Raum bei der Interpretation des Geschehens zugebilligt wird. Wenn Faber die Polizistinnen und andere Beteiligte pauschal von „Nigerianern“ reden lässt, beschönigt er damit wohl die Sprache, die viele Polizistinnen „unter sich“ gebrauchen. Trotzdem übernimmt er unter dem Vorwand der realistischen Abbildung den alltagsrassistischen Diskurs rechter Politikerinnen, demzufolge illegale Einwanderer die Schuld an der Drogenkriminalität im Bahnhofsviertel tragen, und blendet andere Aspekte wie eine verfehlte Drogenpolitik, die es versäumt, einen angemessenen Umgang mit der hohen Nachfrage in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden, und die durch Stigmatisierung das Gewaltpotential eher ver- als entschärft, völlig aus. Bezeichnenderweise kommen die Politikerinnen selbst – genau wie Junkies und Obdachlose – in der Serie überhaupt nicht vor. Nur einmal ist in einer Radioansage zu hören, die Gemeindeverantwortlichen der Stadt Luxemburg seien optimistisch, dass das Bahnhofsviertel dank einer repressiven Politik wieder sicherer werde.
Auch die Frauenrollen geben Anlass zur Beanstandung. Schon bei der ersten Staffel hätte man bemängeln können, weibliche Protagonistinnen würden vorwiegend passiv agieren und in Opferrollen gezwängt. Das ist auch in Capitani2 nicht anders. Capitanis Sidekick Elsa Ley hat zwar den Traum von der kleinbürgerlichen Familie und einem Einfamilienhaus aufgegeben, nachdem sie in der ersten Staffel ihr Kind verloren hatte und ihr Ex-Freund, der Soldat Steve Weis, wegen Drogenhandels im Gefängnis sitzt. Die extrem schmerzhafte Darstellung dieses Verlustes, die sich darin äußert, dass Ley sich vom Zollbeamten und Bösewicht Toni Scholtes emotional und sexuell ausbeuten lässt, verstärkt aber den Eindruck, sie habe sich keineswegs emanzipiert, sondern hänge ihren alten „Idealen“ weiter nach. Die einzige starke Frau in der Serie, die Rotlichtbaronin Valentina Draga, die fast das Imperium vom verstorbenen Roi de la nuit, Gibbes Koenig, übernommen hätte, wird am Ende von einem von Koenigs Handlangern erschossen.
Die Macher von Capitani2 begründen ihre stereotypisierte Darstellung mit einer realistischen Abbildung der Wirklichkeit. Bei dieser Begründung nicht in Betracht gezogen wird aber, dass Repräsentation und Repräsentativität eine psychologische Auswirkung auf das Publikum haben. Bereits vorhandene Vorurteile werden verstärkt, Klischees und Stereotypen verfestigt.
Bleibt die Frage, wieso die Dinge bei Capitani so sind, wie sie sind. Richtung22 kommt in seiner Analyse zu dem Schluss: „de Sexismus an de Rassismus a Capitani si kaum op bewosst Choixe vum Produktiounsteam zeréckzeféieren“. Die Reproduktion von sexistischen und rassistischen Reflexen geschehe unbewusst und sei ein Spiegelbild struktureller Probleme in unserer Gesellschaft. Obwohl diese Feststellung nicht falsch ist, greift sie aber möglicherweise zu kurz und ist zu allgemein formuliert. Auch wenn es sicherlich keine bewusste Entscheidung von Machern und Produzenten war, eine Serie zu produzieren, die sexistische und rassistische Grauzonen auslotet, so hätten sie spätestens nach der Debatte um den stereotypisierenden Castingaufruf darauf achten müssen, dass die Fehler sich nicht wiederholen.
Denn dass der Castingaufruf diffamierend war, sehen inzwischen alle Beteiligten ein. Kurz danach hatte die Produktionsfirma Samsa sich mit Vertreterinnen des Netzwerks afrikanischstämmiger Frauen, Finkapé, getroffen, um sich über Themen wie cultural und gender diversity auszutauschen. Das hat schließlich dazu geführt, dass die Soko „Schneewittchen“, die in Capitani2 im Bahnhofsviertel ermittelt, nicht mehr nur aus weißen Polizisten besteht. Doch der schwarze Beamte, der sich mit Elsa Ley und Toni Scholtes ein Büro teilen darf, ist lediglich ein Statist. Er redet nicht und hat über seine bloße physische Anwesenheit hinaus überhaupt kein Profil. Ob es das war, was Finkapé wollte? Wohl eher nicht.
Mängel Das Problem der kulturellen Vielfalt stellt sich aber nicht nur bei Capitani. Insgesamt kommt es im Luxemburger Kino und in Fernsehproduktionen nur selten vor, dass portugiesische und afrikanischstämmige Schauspielerinnen, Angehörige anderer Minderheiten wie homosexuelle oder transidente Personen, Menschen mit einer Behinderung, aber auch Frauen tragende Rollen bekommen. Filme wie die von Adolf El Assal, Laura Schroeder oder Jean-Claude Schlims House of Boys (um nur diese zu nennen) bleiben die Ausnahme. Als Grund dafür wird von Filmschaffenden und Produzenten oft angeführt, dass es an Schauspielerinnen fehle, mit denen man diese Rollen besetzen könne. Andere bemängeln hingegen, es fehle an schwarzen oder queeren Schauspielerinnen, gerade weil es keine anständigen Rollen für sie gebe. Und das liege vor allem daran, dass auch von den Autoren und Regisseuren die meisten männlich und weiß sind.
Tatsache ist, dass bestimmte Personengruppen in Luxemburg nicht in ausreichendem Maß gefördert werden. Bei Capitani2 haben drei weiße Männer im Alter von 40 bis 45 Jahren am Drehbuch mitgeschrieben. Wäre eine Frau oder eine Person mit Migrationshintergrund daran beteiligt gewesen, wäre das Resultat wohl ein anderes geworden. Weibliche Filmschaffende sprechen sich deshalb dafür aus, dass schon im BTS-Kurs Cinéma et audiovisuel, der junge Menschen auf Berufe im Filmsektor vorbereitet, mehr Wert auf kulturelle Vielfalt gelegt wird. Auch wird Kritik am Luxembourg Film Fund geäußert, der das meiste Geld einem „Bro-Club“ zuschustere, der aus den immer gleichen etablierten Leuten – vorwiegend weißen Männern – bestehe. Wegen des Machtmonopols, das der Fonds bei der Verteilung von öffentlichen Geldern hat, wagt es jedoch kaum jemand, seine Beanstandungen öffentlich zu äußern.
Auch wenn der Film Fund diese Einschätzung nur bedingt teilt, ist er sich der Problematik durchaus bewusst. „Der Luxemburger Filmsektor ist vorwiegend weiß, wir können vielleicht auf ein halbes Dutzend afrikanischstämmiger Menschen zurückgreifen“, sagt sein Managing Director Guy Daleiden im Gespräch mit dem Land. „Wir brauchen uns nichts vorzumachen, wir haben noch viel Arbeit vor uns, um eine realistische Repräsentation der gesellschaftlichen Vielfalt im Film zu erreichen.“
Um zu begreifen, wie patriarchalisch die Luxemburger Filmwelt tatsächlich aufgestellt ist, hat der Fonds vergangenes Jahr eine Studie bei Fraen am Bild - Women in Motion in Auftrag gegeben. Die Vereinigung von Marion Guth setzt sich für eine Verbesserung der Stellung von Frauen im luxemburgischen Filmsektor ein und hat anhand von 379 Filmen und Koproduktionen aus den vergangenen sieben Jahren untersucht, wieviele Produzentinnen und Regisseurinnen daran beteiligt waren. Erste Ergebnisse zeigen, dass lediglich 20 bis 30 Prozent der Regisseurinnen in Luxemburg weiblich sind, bei den Produzentinnen sind es sogar nur zehn bis 20 Prozent. Bei Produktionen mit kleineren Budgets steigt der Anteil der Regisseurinnen auf 40 Prozent, sobald das Budget aber über einer Million Euro liegt, sinkt er auf zehn Prozent. Bei Dokumentarfilmen ist ihr Anteil höher als bei Spielfilmen. Dass Frauen unterrepräsentiert sind, liegt auch an der Abwesenheit von Tarifverträgen, den unsicheren Bedingungen und den ungeregelten Arbeitszeiten, die mit einer Mutterrolle häufig nur schwer vereinbar sind. Die komplette Studie soll in den nächsten Monaten veröffentlicht werden. Zu ethnischer Repräsentativität gibt es bislang keine Untersuchungen.
Genau wie Samsa hat auch der Film Fund sich mit Finkapé getroffen. Nach einem ersten fruchtbaren Austausch hat Finkapé ein Weiterbildungsangebot für Filmschaffende im Bereich cultural diversity vorgelegt. Vom Fonds weiterverfolgt wurde es jedoch nicht.
Return on Investment Obwohl es beim Film Fund eine generelle Bereitschaft zu geben scheint, geschlechtliche und kulturelle Vielfalt künftig stärker zu fördern, dürfte die Umsetzung nicht so einfach werden. Für die Einstellung eines Sensitivity Readers oder eines Cultural Experts, wie es sie in anderen Ländern bereits gibt, fehlen ihm offenbar die Mittel. Daneben stellt sich die Frage, ob das überhaupt politisch gewollt ist. Der Film Fund ist gesetzlich dazu verpflichtet, darauf zu achten, dass die Projekte, die er fördert, auch ein Return on Investment bringen. Deshalb bevorzugt er häufig Projekte, hinter denen etablierte Namen und Produktionsfirmen stehen. Für Experimente bleibt kaum Spielraum. Das verhindert aber, dass junge Talente sich durchsetzen können. Häufig wird ihnen nicht genug Raum und Geld zur Entfaltung geboten. Auf gute Geschichten wird insgesamt weniger Wert gelegt als auf die technische Umsetzung. Für junge Autorinnen und Regisseurinnen kann das zum Teufelskreis werden. Um an Geld zu kommen, müssen sie sich beweisen; um sich beweisen zu können, fehlt ihnen aber das Geld.
Zusammen mit RTL hatte der Filmfonds im Oktober einen neuen Aufruf für eine Krimiserie gestartet (und zwei weitere für eine Kinder- und eine genreoffene Fiktionsserie). Laut Daleiden sind 31 Projekte eingegangen. „All d᾽Projete sollen d᾽Diversitéit vun der lëtzebuerger Gesellschaft integréieren“, hieß es in der Ausschreibung. Ob der Film Fund und RTL diese Vorgabe tatsächlich ernst nehmen, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.