In Deutschland kommt der neue Ethanol-Kraftstoff E10 auf den Markt

Die Bio-Schnapsidee

d'Lëtzebuerger Land vom 27.01.2011

Eigentlich hätten die Autofahrer bereits am 1. Januar mit der neuen Benzin-Sorte beglückt werden sollen. Jetzt wird es wahrscheinlich Ende Februar, vielleicht auch März, bis in Deutschland an allen rund 14 000 Tankstellen die Zapfsäulen, Preisschilder und Kassen bereit sind. Etwas kleinlaut verweist Klaus Picard, Geschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbands, auf den „hohen Aufwand“ für die Umstellung. Durch die kalte Witterung der letzten Wochen seien die Schwierigkeiten noch vergrößert worden.

Seit im Jahr 2007 das Wort Biokraftstoffquotengesetz die deutsche Sprache bereicherte, müssen in Deutschland konventionelle fossile Treibstoffe mit so genanntem Biosprit gemischt werden. Diesel wurden zunächst 4,4 Prozent „Biodiesel“ zugefügt. Dabei handelt es sich um Fettsäuremethylester, vor allem aus Raps-, Sonnenblumen-, Soja- und Palmöl. Im Gegensatz zu purem Pflanzenöl, mit dem man im Prinzip auch fahren kann, müssen dafür Dieselmotoren nicht eigens angepasst werden. Für Benzin wurde vorerst eine Zumischung von fünf Prozent Ethanol vorgeschrieben, was ebenfalls keine Änderungen der Motoren erforderte. Ethanol ist Ethylalkohol, wissenschaftlich C2H5OH, vulgo Schnaps. Gewonnen wird Ethanol durch die Fermentierung von Pflanzen mit hohem Zucker- oder Stärkegehalt – in Europa meist aus Weizen oder Zuckerrüben, in den USA aus Mais, in Brasilien aus dem ergiebigeren Zuckerrohr.

2008 erhöhte die Bundesregierung den Biodiesel-Anteil auf sieben Prozent, was weiter keinen Anstoß erregte. Den Ethanol-Gehalt des Benzins wollte sie auf zehn Prozent erhöhen. Damit sollte nicht nur den Bauern eine Freude gemacht, sondern auch eine EU-Richtlinie zur Förderung erneuerbarer Energien umgesetzt werden. Dann fand aber der Autofahrer-Club ADAC, dass Millionen von Fahrzeugen nicht mit so viel Alkohol im Tank zurecht kommen und folglich die Fahrer gezwungen wären, zu dem teureren Super-Plus-Benzin mit unverändert fünf Prozent Ethanol zu greifen. Den Zorn der Automobilisten wollte der damalige Umweltminister, Sigmar Gabriel (SPD), lieber nicht riskieren – und gab E10 wieder auf.

Die neue Bundesregierung will es nun besser machen. Sie verspricht den Besitzern älterer Wagen, dass in Deutschland neben dem neuen Treibstoff weiter gewöhnliches Super-Benzin mit unproblematischen fünf Prozent Ethanol „unbefristet“ erhältlich sein soll. Damit geht sie über Vorgaben der EU hinaus, die einen E5-Verkauf lediglich bis zum Jahr 2013 vorsehen.

Nach Schätzungen des Bundesumweltministeriums gibt es in Deutschland etwa drei Millionen Autos und eine Million Motorräder, die E10 nicht vertragen: Der aggressive Kraftstoff mit erhöhtem Ethanol-Gehalt sollte nur in verchromten Leitungen transportiert werden und darf nicht mit empfindlichen Teilen aus Kunststoff, Aluminium oder Magnesium in Berührung kommen. Schon eine einzige Fehlbetankung kann zu Rost an Motorteilen und zerfressenen Dichtungen führen. Bei durchlöcherten Schläuchen kann das Ethanol durchaus auch in Brand geraten.

Gefährdet sind zum Beispiel ältere Modelle von Citroën, Nissan und Fiat, aber auch Mercedes-Direkteinspritzer der Baujahre 2002 bis 2005, Opel mit 2.2-Directmotor und neuere Audi A4 mit Standheizung. Für die deutschen Konzerne ist das peinlich. Immerhin gehörten sie zu den Ersten, die mit Einspritzsystemen von Bosch Flexible-Fuel-Fahrzeuge fertigten. Die Motoren, die beliebige Ethanol-Anteile verkraften und sich automatisch darauf einstellen, wurden bislang aber nur in Brasilien, den USA und Schweden verkauft.

Von E10-Experimenten mit dem eigenen Auto wird abgeraten. Eine verbindliche Auskunft zur Eignung für das jeweilige Vehikel kann in jedem Fall nur der Hersteller geben. Der ADAC weist darauf hin, dass Modellfreigaben für E10-Tankstopps in Deutschland nicht unbedingt auch anderswo gelten – so hat etwa der in Frankreich schon länger erhältliche Treibstoff Sp95-E10 eine andere Zusammensetzung. Wer bei Ausflügen nach Skandinavien leicht säuerlich riechendes E85-Benzin mit 85 Prozent Ethanol tanken will, wird sich wohl ein schwedisches Auto zulegen müssen.

Abgesehen davon, dass der Tanktourismus in die Nachbarländer weiter zunehmen könnte, dürfte E10 für den deutschen Finanzminister ein gutes Geschäft werden: Da der Energiegehalt von Ethanol geringer ist, steigt der Treibstoffverbrauch im Schnitt um drei Prozent – entsprechend muss öfter getankt werden. Ethanol kostet derzeit rund 50 Prozent mehr als Super-Benzin ohne Zusätze, das 2010 in Deutschland mit durchschnittlich 1,405 Euro je Liter so teuer war wie noch nie. Es wird erwartet, dass nun die Preise auch für herkömmlichen Sprit erhöht werden, um E10 zu subventionieren. „Auswirkungen auf das Preisniveau sind in geringem Umfang nicht auszuschließen“, deutete die Bundesregierung in der Gesetzesvorlage für den Bundesrat an. „Für den Autofahrer wird es auf jeden Fall teurer“, übersetzt das Detlef Brandenburg, Sprecher von BP/Aral: „Bio ist nicht umsonst zu haben.“

Dass der „Biosprit“ der Umwelt etwas bringt, ist höchst fraglich. „Ethanol und Biodiesel sind zu wenig effizient und verursachen erhebliche Klimagas-Emissionen“, bemängelt der Naturschutzbund NABU: Die Monokulturen von Raps und Mais brauchen enorme Mengen Pflanzenschutzmittel; der Dünger setzt Lachgas (Di-stickstoffoxid) frei, das 300 Mal schädlicher als CO2 sei. Die Organisation Foodwatch sieht im Zusammengehen von Agrar- und Autoindustrie einen „Lobbygau“: „Verbraucher und Steuerzahler werden gleich mehrfach über den Tisch gezogen, und positive Auswirkungen auf den Klimaschutz sind minimal.“ Außerdem würden höhere Lebensmittelpreise in vielen Ländern zu Hungerkrawallen führen.

Im November hatten verschiedene Umweltorganisationen eine Studie des Londoner Instituts für europäi-sche Umweltpolitik IEEP präsentiert. Am Montag vergangener Woche wurde sie auch in Luxemburg vorgestellt. Wenn die EU-Staaten tatsächlich wie geplant bis zum Jahr 2020 den Energieverbrauch des Verkehrs zu rund zehn Prozent mit „Biosprit“ bestreiten wollen, würde die Nahrungsproduktion an andere Standorte verdrängt und es müssten bis zu 69 000 km² Wald, Wiesen und Feuchtgebiete in Äcker umgewandelt werden. Dadurch würden so viele CO2-Emissio-nen verursacht wie durch zusätzliche 26 Millionen Autos.

Zum Schutz von Regenwäldern und Torfmooren schreibt eine am 1. Januar in Kraft getretene EU-Verordnung vor, dass nur „nachhaltig“ produzierte Biokraftstoffe verkauft werden dürfen; das heißt, nur von Flächen, die nicht vor dem 31.1.2008 gerodet wurden und nicht „biologisch wertvoll“ sind. Kritiker argwöhnen, dass die Praxis wohl ungefähr so aussehen wird: Auf einem Urwaldstück werden die wertvollen Bäume umgehauen, das restliche Grünzeug wird abgefackelt. Dann wird das „wertlose Brachland“ mit Ölpalmen aufgeforstet – dafür gibt es Kyoto-Fördergelder. Und das Palmöl ist „zertifizierter Biotreibstoff“ ...

Derzeit wird rund ein Drittel des deutschen Ethanol-Verbrauchs importiert. Dass der heimische Energiepflanzen-Anbau umweltfreundlicher wäre als zum Beispiel Plantagen in Brasilien, kann man nicht behaupten. Da gleichzeitig die EU-Prämie für Flächenstilllegungen abgeschafft wurde, verändert der Boom von Mais und Raps die Landschaft radikal. Nur wenige Tierarten profitieren davon, dass Grünland in Äcker umgewandelt wird: Kraniche und Wildschweine vermehren sich explosionsartig – Feldvögel und Schmetterlinge verabschieden sich dagegen auf Nimmerwiedersehen.

Umweltfreundlicher könnten vielleicht so genannte Biotreibstoffe der zweiten Generation sein, die Abfälle oder Algen nutzen. Der finnische Konzern Neste Oil zum Beispiel erprobt gerade ein Hydrierverfahren, das beliebige Fette zu Sprit verarbeiten kann. Die Test-Stadtbusse in Stuttgart wurden allerdings unlängst von Orang-Utans gestürmt: Verkleidete Greenpeace-Aktivisten erklärten den verdutzten Fahrgästen, dass die Busse zwar mit altem Frittenfett fahren könnten, tatsächlich aber mit Palmöl aus Indonesien betankt würden. „Biosprit“ ist zwar teuer, aber noch lange nicht „bio“.

Das Institut für Europäische Umweltpolitik hat eine Studie zum Indirect Land Use Change Impact of Biofuels verfasst: www.ieep.eu
Martin Ebner
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