Alle fünf Jahre verspricht die LSAP, im Fall einer Wiederwahl die gesetzliche Arbeitszeit zu senken. Das sorgt jedes Mal für die beabsichtigte Aufregung bei rechten Politikern und Lobbyisten. Ihre Aufregung lässt die LSAP als Vertreterin der klein gehaltenen Leute erscheinen.
Die Aufregung ist verständlich: Die Arbeitsstunden sind die Einheit, in der die Arbeitskraft gemessen und bezahlt wird. Beim Kampf um die Arbeitszeit geht es um den Kernpunkt des Lohnverhältnisses, der herrschenden Produktionsweise.
Deshalb können die Unternehmer und sympathisierenden Politiker, Leitartikler und Experten nur warnen: vor einem Arbeitskräftemangel, dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, dem Ruin der Volkswirtschaft. Sie ziehen eine Flexibilisierung der Arbeitszeit vor. Dann entfallen die Überstundenaufschläge. Ihre Warnungen wiederholen sie seit anderthalb Jahrhunderten. Seit der Einführung 1876 des gesetzlichen Achtstundentags für zwölfjährige Kinder.
Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn geht auf Kosten des Mehrwerts. Deshalb wird sie nur durch Arbeitskämpfe erreicht. Das geschieht zyklisch: Zuerst setzen die Beschäftigten Arbeitszeitsenkungen in jenen Betrieben durch, wo der gewerkschaftliche Organisationsgrad am höchsten ist. Meist war es im Bergbau und in der Stahlindustrie. Ist die Arbeitszeit in den wichtigen Branchen verringert, senkt das Parlament die gesetzliche Arbeitszeit. Um einen „unlauteren Wettbewerb“ zwischen den Wirtschaftszweigen zu verhindern. Und den Unmut der Beschäftigten mittelständischer Betriebe ohne Kollektivvertrag zu besänftigen.
Oft sind diese Bewegungen Teile von internationalen Zyklen. Am Anfang der Zyklen stehen Produktivitätsgewinne durch Dampfkraft, Elektrizität, Erdöl, Fließbänder, Roboter, Computer, Internet... Dank der technischen Neuerungen produzieren weniger Beschäftigte mehr Waren und Dienstleistungen. Beim Kampf um Arbeitszeitverkürzungen geht es folglich um die Frage: Wer kassiert die Produktivitätsgewinne? Mit Bedauern behalten die Unternehmer die Produktivitätsgewinne lieber ein. Wegen der Wettbewerbsfähigkeit.
Luxemburg spielt nie eine Vorreiterrolle im Arbeitsrecht. Vor einem halben Jahrhundert wurden die 45- und 40-Stundenwoche eingeführt. Das Luxemburger Wort prophezeite, „dass der Übergang zur 40- oder 35-Stundenwoche sich im wirtschaftlichen Leben viel schneller vollziehen wird, als es die Gesetzestexte vorsehen werden“ (14.11.1970). Doch es war die letzte Senkung der gesetzlichen Arbeitszeit.
Der letzte Zyklus der Arbeitszeitverkürzung fiel in die Achtzigerjahre. Die Arbeiterbewegung war in der Defensive. Heimische Gewerkschafter verteilten noch einige IG-Metall-Aufkleber „35 Stunden sind genug“. Später versprach die LSAP mit Pan und Pot eine Arbeitszeitrevolution durch Tarifverhandlungen. Sie blieb ein Rohrkrepierer: 20 Jahre später verspricht die LSAP noch immer Arbeitszeitverkürzung.
2021 betrug die Wochenarbeitszeit von Vollbeschäftigten 41,1 Stunden. Das war laut Eurostat mehr als der EU-Durchschnitt, mehr als in den Nachbarländern. Dort sank die Wochenarbeitszeit während der letzten zehn Jahre. In Luxemburg nahm sie zu: von 40,4 auf 41,1 Stunden.
Die Rolle der Sozialdemokratie ist es, Sozialkonflikte von der Straße ins Parlament zu verlagern. Arbeitsminister Georges Engel verhindert die Mobilisierung von Arbeiterinnen, Angestellten und Beamten. Deshalb mobilisiert er Experten. Ihre Studie soll bis März „les avantages et les désavantages d’une réduction du temps de travail“ abwägen. Die Antwort war bisher für die Sozialdemokratie eindeutig. Arbeitskämpfe der Beschäftigten für die Senkung ihrer Arbeitszeit würden die LSAP überflüssig machen. Die Studie hat einen einzigen Zweck: Die Vermittlung der LSAP unverzichtbar erscheinen zu lassen. Notfalls auf Kosten einer Arbeitszeitverkürzung.