Am 4. Februar 2012 fand die Journée de l’ingénieur im „Arbedsschlass“ am Rousegäertchen statt. Die Ingénieurs et scientifiques du Luxembourg a.s.b.l. empfingen Finanzminister Luc Frieden. Sein 56-minütiger Gastvortrag gipfelte in „une vision de 2024“.
Die besitzenden Klassen hatten sich rasch vom Schock des Bankenkrachs 2008 erholt. Sie gingen in die Offensive. Die Union des entreprises luxembourgeoises wollte die Volkswirtschaft „desindexieren“, die Reallöhne verringern. Sie wollte die Lohnstückkosten auf das Niveau Deutschlands senken. Dort hatten Sozialdemokraten und Grüne den Sozialstaat demontiert.
Hierzulande war das schwieriger. Unternehmer und Gewerkschaften waren ähnlich stark. Das verhinderte 2010 eine Einigung in der Tripartite. Es verhinderte eine Einigung zwischen CSV und LSAP in der Regierung. Man sprach von Blockade.
Der CSV-Minister wollte die Blockade überwinden. Im Sinn der Union des entreprises luxembourgeoises. Auf Kosten der Lohnabhängigen: Sie müssten wissen, „que nous devons travailler probablement un peu plus“. Und „que nos salaires sont beaucoup plus élevés que ceux dans les pays avoisinants“. Besonders der Mindestlohn: „Est-ce que ces salaires sont appropriés pour attirer vers le Luxembourg de nouvelles industries ?“
Er wollte vollendete Tatsachen schaffen. Zugunsten der Besitzenden, auf Kosten der Besitzlosen: „Il faut à court terme veiller à ce que les impôts ne doivent pas être considérablement augmentés. Il faut aussi à court terme modifier un certain nombre de domaines de la Sécurité sociale. En premier lieu desquelles, les retraites.“
Er beanstandete „des automatismes qui, aussi agréables soient-ils, ne peuvent pas être financés sur le long terme“. Eine Woche zuvor hatten CSV, LSAP, DP und Grüne ein Gesetz zur weiteren Indexmanipulation gestimmt.
Alle fordern Chancengleichheit in der Schule. „Mais il faut faire aussi quelque chose pour ceux qui auront demain la charge de diriger l’économie et la société luxembourgeoise.“
Die Tripartite von 2010 zeigte, dass die „vision de 2024“ sozialpartnerschaftlich nicht zu haben war: „Je dirais que, dans le domaine économique et social, la tripartite n’est pas le modèle sur lequel l’avenir peut être construit.“
Am 7. Dezember 2011 hatte Luc Frieden dem Parlament angekündigt: „Ech sichen duerfir 2012 informell Gespréicher mat alle Fraktiounen am Parlament, mat de Sozialpartner, mat aneren organiséierte Gruppen, virun allem och mat de Jugendmouvementer [...] Et geet ëm d’Gestaltung vun eisem Land iwwert déi nächst fënnef bis zéng Joer.“ Er wollte seine eigene Tripartite, um Premierminister zu spielen.
Luc Frieden legte eine CSV/DP-Koalition auf der Höhe der neoliberalen Zeit nahe. Vielleicht durch einen sanften Putsch gegen den heimlichen Sozialdemokraten Jean-Claude Juncker und die LSAP. Spätestens aber nach den Wahlen. Der Thronfolger wollte nicht ewig warten. Bis Jean-Claude Juncker doch noch einen Posten in Brüssel erhaschte.
Luc Frieden ist Geschäftsanwalt. Er stellt seine Rechtskenntnisse in den Dienst der Bereicherung wohlhabender Kunden. Mit seiner „vision de 2024“ bot er den Unternehmern seine Dienste an. Sie misstrauten seinen Fähigkeiten. Einen Monat später begann ihr Verein 5vir12, für einen Bruch mit dem CSV-Staat zu werben. Für einen politischen Neuanfang ohne einen CSV-Premier. Ganz gleich, wie er heißt. Danach wurde Jean-Claude Juncker gestürzt.
Zehn Jahre später suchte die CSV verzweifelt einen Spitzenkandidaten. In einer Anwaltskanzlei stieß sie auf ihren ehemaligen Minister. Dank alter Seilschaften saß er in einigen Verwaltungsräten. Er war Präsident der Handelskammer.
Die CSV bat ihn, im Wahlkampf Kreide zu fressen. Dafür überließ die Volkspartei ihm die Führung. Sie machte sich zur Klassenpartei. Sie gibt ihm eine zweite Chance, seine „vision de 2024“ durchzusetzen.