Leitartikel

Im Supermarkt der Ideologien

d'Lëtzebuerger Land vom 10.04.2015

Als Anhang zu den Konventionen, die die Regierung mit den Vertretern einiger Religionen über Sparmaßnahmen bei der Bezuschussung des Erzbistums unterzeichnete, stellte Erziehungsminister Claude Meisch (DP) Ende vergangenen Monats das Rahmenprogramm für die Zusammenlegung von Religionsunterricht und Laienmoral zu einem einzigen Schulfach vor. Zur politischen Legitimation des heiklen Unterfangens konnte der Minister der Versuchung nicht widerstehen, auf einen ausländischen Experten zurückzugreifen, einen emeritierten Professor der Universität Zürich.

Hieß das geplante Fach noch vor drei Monaten in den Konventionen „Werteunterricht“, so nennt das Rahmenprogramm es nun „Leben und Gesellschaft“. Denn seine erste von vier Zielsetzungen soll es sein, „das Zusammenleben und den Zusammenhalt in einer multikulturellen Gesellschaft [zu] stärken“. Die Luxemburger Schule hält laut verschiedenen Pisa-Studien den OECD-Rekord bei der Reproduktion und Vertiefung gesellschaftlicher Unterschiede, und man darf nicht von einem liberalen Minister erwarten, dass er daran etwas ändern wird. Deshalb soll die Schule nun ein Pflichtfach einführen, wo die Schüler lernen, friedlich damit zu leben, dass man ihnen schon im Précoce mit großer Treffsicherheit voraussagen kann, ob sie im Complémentaire oder im Kolléisch landen werden. Im Annuaire de la compétitivité des Unternehmerverbands UEL wird die Erduldung dieses Umstands Jahr für Jahr als „cohésion sociale“ gemessen. Sie ersetzte in den Achtzigerjahren den Glauben der Gewerkschaften und der LSAP an den sozialen Fortschritt.

Die zweite Zielsetzung des neuen Unterrichtsfachs ist es, den „religiöse[n] Analphabetismus“ zu bekämpfen, damit die Schüler den Unterschied verinnerlichen zwischen „christlich-jüdischen und aufklärerisch-humanistischen Traditionen“, also dem Erzbistum und dem Liberalismus einerseits und andererseits „intoleranten und radikalen Positionen“, also dem Islamismus, den Kirchengegnern und allen links von Herrn Kersch und rechts von Herrn Gibéryen. Diese Unterrichtseinheiten im Interesse der öffentlichen Sicherheit und des Kriegs gegen den Terrorismus dürften selbstverständlich an das bereits zum Theme „cohésion sociale“ Gelernte anknüpfen.

Als Dank an das Erzbistum für die Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sieht der Unterrichtsminister nicht nur die Weiterbeschäftigung aller Religionslehrer, sondern auch die dritte Zielsetzung vor, den Kindern „einen Zugang zur Pluralität an Werten, Kulturen, Weltanschauungen und Religionen zu ermöglichen“. „Leben und Gesellschaft“ ist demnach der Firmenname eines liberalen Supermarkts, der den Schülern eine bunte Auswahl an Ideologien und Ideologemen anbietet, aus dem sie sich frei bedienen können. So lange sie selbstverständlich die Finger von „Radikalem“ (dreimal im Text) lassen, wer immer – Herr Heck? – auch entscheidet, was dazu gehört. Das Geschenk an das Erzbistum ist die dabei vom Staat versprochene „Äquidistanz gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen“. Denn dadurch steigen alle Religionen zu Philosophien auf und werden alle Philosophien als Religionen verflacht. Im Reich der durch großherzoglichen Erlass verfügten Subjektivität ist es dann nur noch Geschmackssache, ob man die Erde für eine Kugel oder eine Scheibe hält, et de gustibus...

So bleibt als Synthese von Religionsunterricht und Morale am Ende und als vierte Zielsetzung ein Rinnsaal von „ideologiefreien und universellen Werten“ übrig, das heißt die kalorienfreie Ideologie von Marktwirtschaft, Menschenrechten und Mülltrennung. Denn das Ganze ist das Unwahre, wie der nach der Ermordung von sechs Millionen Juden etwas radikal gewordene Herr A. seinen Hegel verbesserte.

Romain Hilgert
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