Vor 20 Jahren kam es noch vor, dass die OECD Luxemburgs Rentensystem zu großzügig nannte. Mittlerweile lässt sie die von ihr publizierten Berichte für sich sprechen. Diese Woche kam Pensions at a Glance 2023 heraus. Auf S. 196 steht: Während im Jahr 2020 über 65-Jährige im OECD-Schnitt über Einkommen in Höhe von 88 Prozent des Durchschnitts der Gesamtbevölkerung verfügten, seien es in Costa Rica, Frankreich, Israel, Italien, Luxemburg und Mexiko hundert Prozent oder mehr gewesen. Hierzulande 112,4 Prozent für die 65- bis 75-Jährigen und 106,4 Prozent für über 75-Jährige. Das war unübertroffen viel.
Die Anteile können so hoch sein, weil zu den Einkommensquellen, die die OECD betrachtet, neben öffentlichen Transfers (vor allem Renten) auch Einkünfte aus Kapital und Arbeit zählen; alles netto nach Steuern und Sozialabgaben. Die OECD fährt fort: „The countries where over-65s are most reliant on public transfers are Austria, Belgium, Finland and Luxembourg: more than 80% of their incomes come from that source.“ Bei näherem Hinschauen zeigt sich, dass belgische Rentner/innen mehr aus öffentlichen Renten schöpfen als Luxemburger. Letztere haben anderthalb Mal mehr Einkünfte aus Kapital als Erstere.
Das ist ein Beispiel dafür, wie komplex die Fragen um Altersvorsorge sind. Für die große Rentendebatte, die die Regierung anstoßen will, dürfte auf den OECD-Bericht zurückgegriffen werden. Folgern könnte man aus ihm zum Beispiel, dass die Mindestrente und die kleinen Renten erhöht werden müssen: Die Altersarmutsrate hierzulande zählt mit 5,2 Prozent zu den im OECD-Vergleich niedrigsten (Stand 2020). Die Schwelle dafür ist ein Einkommen, das 50 Prozent unter dem nationalen Medianeinkommen liegt. Nur in Dänemark, Frankreich, Island, Norwegen und Tschechien ist die Altersarmutsrate kleiner als in Luxemburg. Ziemlich groß, weil nah am OECD-Schnitt, ist die „Armutstiefe“: der Einkommensunterschied Armer über 65 gegenüber der Gesamtbevölkerung hierzulande. 2020 hatten Arme über 65 ein Durchschnittseinkommen, das 24 Prozent unter der Schwelle „50 Prozent vom nationalen Median“ lag. Ihr Durschnittseinkommen betrug damit 38 Prozent vom Medianeinkommen. Dass das Durchschnittseinkommen aller Armen an der Luxemburger Bevölkerung (diese Rate gibt die OECD mit 9,8 Prozent an) noch leicht niedriger war, macht alles nicht besser.
Der Bericht hebt ebenfalls hervor, dass „nur“ in Kolumbien, Slowenien und Luxemburg ein 22-Jähriger bei unveränderter Politik mit 62 (nach 40 Beitragsjahren oder anrechenbaren Ersatzzeiten) in Rente werde gehen können. Dagegen in Dänemark, Schweden oder den Niederlanden erst mit 70 „oder noch später“. Dass nicht mal die Hälfte der 55- bis 64-Jährigen hierzulande einer beitragspflichtigen Tätigkeit nachgeht, sei mit der Türkei vergleichbar, nicht aber mit den drei Vierteln Älterer in Beschäftigung in Island oder Schweden. Abgesehen von Luxemburg würden bestehende Renten an die Preisentwicklung und obendrein an die der Reallöhne nur in Israel und Großbritannien angepasst, doch dort sind die öffentlichen Renten kleiner, in Großbritannien viel kleiner. In keinem anderen OECD-Land sei das tatsächliche Renteneintrittsalter 2022 so niedrig gewesen wie in Luxemburg: 60,5 Jahre bei den Männern, 58,4 bei den Frauen. Dabei blieben Frauen anschließend, statistisch gesehen, 27,8 Lebensjahre (was OECD-Rekord sei), Männern 22,7 Jahre. Und nur hierzulande hätten sogar über 75-Jährige ein höheres Durschnittseinkommen als die Gesamtbevölkerung. Wenn auch dieses sich zu einem nennenswerten Teil aus Kapitaleinkünften speist, könnte daraus für die Debatte ein politisches Argument bezogen werden, für Besserverdienende Zusatzversicherungen attraktiver zu machen.