Théodore-Henri Tit Schroeder wird am 12. Januar 1911 in New York geboren. Sein Vater, Henri Schroeder, hatte 1900 de Sprong iwwer de Pull gewagt und war von Useldingen nach Amerika ausgewandert, wo er in New York als Butler und Rezeptionist arbeitete. Die Mutter von Tit Schroeder, Gabrielle Dagorette, wurde in Frankreich geboren und war ebenfalls nach Amerika ausgewandert. Beide Elternteile heirateten 1909. Als die Mutter 1918 an der Spanischer Grippe verstarb, kehrt der Vater 1920 mit seinem Sohn nach Luxemburg zurück und lässt sich in Useldingen nieder. Tit Schroeder ist damals neun Jahre alt, spricht Französisch und Englisch „aus der Schoul an aus der Gaass“, aber kein Wort Luxemburgisch – wie der folgende Ausschnitt aus seiner Erzählung Doheem humorvoll illustriert:
„Monni, dat ass jo dat selwecht Wuert wéi eist Wuert money.“ – „A jo“, sot de Papp, „du wäerts gesinn, et ass nëmmen hallef esou schwéier wéis de mengs.“ [...] An aus dem klengen New Yorker gouf a kuerzer Zäit en Useldenger, aus dem Amerikaner, deen se heiansdo Mexikaner vernaunt hunn, gouf e Lëtzebuerger.
Schnell lernt er die Sprache im Préizerdauler Dialekt, die ihm zum Ausdruck der neugewonnen Heimat wird. In Useldingen findet er Geborgenheit, fühlt sich aufgenommen und willkommen, obwohl er seine Schulkameraden „alt laache [deet], wann en d’Wierder heiansdo hannevier gekéiert huet“. Hier findet er auch Ruhe – „Jiddereen hat seng Aarbecht, ma jiddereen hat och Zäit“ – und eine Menschlichkeit, wie es sie in der damaligen Dreimillionenstadt New York nicht gab, „wou een deen aneren nit nëmmen als Friemen, mä och nach als Stoussnéckel betruecht huet“ (Doheem). Er besucht das Kolléisch in Diekirch, studiert in Paris, London und München und wird 1934 zum Doktor der Philosophie und Philologie. Ab 1934 unterrichtet er in Luxemburg, wird 1941 nach Benrath, Düsseldorf zwangsversetzt. Ab 1942 arbeitet er wieder als Englisch- und Lateinlehrer in Esch und schließlich am Lycée de Garçons auf dem Limpertsberg. Über die Beweggründe seiner Rückkehr existieren keine Unterlagen. Tit Schroeder starb am 27. Januar 1986 im Alter von 75 Jahren in Luxemburg.
Die literarische Tätigkeit des „Mundartdichters“ (d‘Land 31.01.1986) begann mit dem Lustspiel Besuch um Wudderhaff. 1961 im Kapuzinertheater, dem damaligen Stater Theater, uraufgeführt (Reg.: Eugène Heinen), war das Stück ein glänzender Erfolg: „De Wudderhaff vum Tit Schroeder gehe’ert zu dem Beschten wat je iwer d’letzeburger Theaterbühn gaangen ass.“ (Radio Lëtzebuerg 1962) Nach dem Umzug ins Grand Théâtre 1964 gehörte sein Stück D’Pöltches Famill oder De Pöltches Bärend a seng Leit, eine herzliche Komödie aus dem Alltag einer Familie mit Happy End, zu den ersten Aufführungen im neuen Haus. Seine fünf Stücke liegen seit Ende 2019 im Sammelband Ënnerwee uechter d’Land. Theaterstécker vum Tit Schroeder vor, in dem auch erstmals Den Här Breedewee geet freien (1960) veröffentlicht wird, das der Autor noch vor Wudderhaff geschrieben hat; flankiert von literaturwissenschaftlichen Beiträgen, die sich detailliert mit dem Leben des Autors auseinandersetzen.
Bei den Dramen handelt es sich vor allem um Adaptionen von Stücken englischsprachiger Autoren aus dem 18. Jahrhundert, die in einen luxemburgischen Kontext übertragen wurden – vor allem als Farcen und Kaméidisstécker – und zwei Originaldichtungen (Pöltches Famill, De Schäffe vum ale Maart). Den Här Bredewee, Besuch um Wudderhaff und De Stëmmche vun Arel (1962) sind klassische Verwechslungskomödien, und zeigen unterhaltsame Intrigen zwischen den Figuren oder um sich anbahnende Ehen. In ihnen spielt vor allem die Sprache eine Rolle, die Ausdruck von Macht und Möglichkeiten ist. Sie wird verdreht, mit ihr wird gespielt; es werden freche Antworten gegeben. Zwischen Dialekt und Standardluxemburgisch legt diese mit Bedacht gewählte Sprache den Figuren einen Charakter in den Mund – mit dem Witz eines Autors, der anderen gut zuhörte und die Doppelbödigkeit des Gesagten humorvoll ausfeilt.
„E Kuuschtert ass e Kuuschtert, eng luusseg Fra - eng luusseg Fra; zu London oder Wien, zu Yonkers oder Béiden, a jong Leit gläiche sech, wéi eng Drëpps Waasser der aner, wou si och sin.“ (Breedewee)
Dieses Zuhören, diese Genauigkeit in der eigenwilligen Sprache zeichnet auch die Gedichte von Tit Schroeder aus, die laut Fernand Hoffmann „beweisen, datt mat eisem sprocken an dach esou schéine Lëtzebuergesch ganz vill unzefänken ass, wann een eppes ze soen huet an sech unzeleeë wees.“ (Vorwort, Um haalwe Wee) Was an sich doch bereits der Beweis dafür sein mag, dass die Sprache gar nicht so „sprock“ ist, wie schnell behauptet wird. Für seine Gedichtsammlung, mit der er „dat schéint, dat ech als jonge Borscht, als erwuessene Maun um Laund, am Duerf erlieft hat, festhalen“ wollte, erhält Tit Schroeder 1961 den Lëtzebuerger Literaturpräis. 1966 erstveröffentlicht, wurde sie 1991 neu herausgegeben, 2011 folgte die texthermeneutische Ausgabe De gaunze Wee. In gemessenem Tempo und Reimschema fokussieren sich Tit Schroeders Gedichte auf Natur- und Jahreszeitenbetrachtungen, Erinnerungen an die Jugend und Kindheit, das Erleben der Schönheit der Umwelt und des Alltags im Dorf; und erinnern in diesen schlichten Beobachtungen an japanische Haikus. Seine Poesie strahlt die tiefe Grundruhe eines stillen Beobachters aus, sie lässt sich Zeit.
„A wann et och nit ëmmer g’réit,
du häss e Steen, du méchs een Dill,
du dreems een Dram,
du setz ee Bam a wann och d’Wiedren dreeën,
a wann de Blëtz dra schléit.“
Nachgeborenen fällt an derart bodenständiger, regionaler und subtiler Naturlyrik sowie aus der Zeit gelösten Komödien die Abwesenheit einer politischen Dimension auf. 1961 schreibt Marcel Engel hierüber kritisch im Land, der adaptierte Wudderhaff verorte das „Bauernstück“ mit „konventionellen Figuren“ in einer „guten alten Zeit“: „Dieses Stück des neuen Autors ist nicht neu genug. Es mag als geglückter Versuch im alten Genre angesehen werden. Es verdient in diesem Sinne Anerkennung. [... Tit Schroeder] hat Talent. Er muß ein Stück von heute schreiben.“ Anklagend und politisiert sind die Werke nicht – dennoch betrachten sie im Kleinen die Welt, wenn auch ohne Bewertung; so z.B. in den folgenden Versen:
„Am Wanter, Fréijor an am Hierscht,
dräimol gett dat Waasser wéischt
an an der Atert rullen d’Sténg,
di eng si grouss, di aner kleng.“
Vor allem im Theaterstück De Schäffe vum ale Maart wird eine Positionierung zu Zeitumständen dargestellt – sie ist aber auch keineswegs eine scharfe Kritik, sondern vielmehr die Forderung nach einer kühlen Betrachtung. Dieses „patriotische Stück“ (Kulturspiegel), eine Chronik aus der aaler Zeit wurde 1989 im Rahmen der Feier der 150-jährigen Unabhängigkeit Luxemburgs im Grand Théâtre uraufgeführt (Reg. Philippe Noesen). Das Stück spielt 1443, als das Haus der Luxemburger ausgestorben ist. Das Herzogtum geht in die Hände der Pfandherren über und wird schließlich an das reiche Burgund verkauft. Der Titelheld, der Schöffe vom Fischmarkt Jang Chalopp, will sich nicht kaufen lassen und tritt an die Spitze der Aufständischen. In De Schäffe wird Widerstand und Aufbegehren dargestellt, dabei hat das Stück selbst fast keine Handlung; hauptsächlich wird über das Handeln geredet. Allerdings beschreibt der Autor die Rolle des auftretenden „mëttelalterleche Chronist(en)“ wie folgt: „Hie [...] räisst d’Leit, di nokucken, aus hirer Passivitéit eraus an zwéngt se, Stellong ze huelen. [...] Mat Zäiten kuckt en wéi vun enger héijer Kopp erof an den Dall vun der Zäit an der Welt a seet äis, wat dervun ze halen as.“
Das Stück greift zwar allegorisch die jüngere Vergangenheit Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg auf, scheut aber eine direkte Besprechung und verlegt die Frage des Widerstandes in die weite, theoretisch-historische Ferne. Apolitisch ist das nicht, eine Hommage an Jang Chalopp, einen Nationalhelden; aber kein Kommentar auf das selbst Erlebte oder die zeitgenössische Politik. So schmecken die Verwechslungskomödien stark nach vergangenen Jahrhunderten – aber der größte Reichtum der Stücke liegt eben in der gelungenen Transposition der Vorlagen in einen luxemburgischen Kontext: in der Herausarbeitung von Figuren und Dialogen in einer charakterstarken Sprache.
Tit Schroeder kehrte sich willentlich von den Sprachexperimenten der zeitgenössischen Avantgarde ab: Seit 1967 u.a. Mitglied der Section de linguistique, de folklore et de toponymie arbeitete er zwischen 1964 und 1978 mit am Luxemburger Wörterbuch. Auch in seinen Gedichten und Theaterstücken schreibt er in einer lokalen, zeitgenössischen Sprache, zu deren Verewigung er damit beiträgt: Er verficht die Bildlichkeit und Präzision einer eigentümlichen Sprache, die an einen Raum und eine Zeit gebunden ist, an eine Heimat. Die Repräsentation einer Zeit, in der „d’Leit um Duerf nach eng Hellewull vu Sproochformen [haten], wann et em d‘Felder an d’Liewen um Land gaangen ass“, ist ein wichtiges Zeitzeugnis, ein Textkorpus des heutigen Luxemburgisch, mit dem man noch „ganz vill ufänken“ könnte. Fernand Hoffmann schreibt lobend: „die Sprache, die er schreibt, [ist] nämlich ein lupenreines, weder rustikal-antiquiertes und nachpatiniertes Lëtzebuergesch, noch ein[] verluxemburgischter, noch immer nach hochdeutschem Firnis riechender Fachjargon, sondern präzises Gemeinlëtzebuergesch ohne Fehl und Tadel.“
Heute steht eine Büste von Tit Schroeder am Kulturwee in Useldingen, wo man sich bei einem Spaziergang um die Burg an einer Station seine Gedichte anhören kann, die diese Gegend so bildlich zu fassen suchten, und sich von ihnen leiten lassen: „Komm geess de mat, ech huelen dech mat.“