„Anhörung der Öffentlichkeit“, so hieß die Veranstaltung, zu der Umweltministerin Carole Diesch-bourg (Déi Gréng) und das staatliche Wasserwirtschaftsamt am Montagabend ins Roeser Rathaus und am Dienstag ins Marnacher Kulturzentrum eingeladen hatten, aber gekommen waren beide Male höchstwahrscheinlich nur Leute vom Fach und Gemeindepolitiker.
Denn „Entwurf des Bewirtschaftungsplans für die luxemburgischen Anteile an den internationalen Flussgebietseinheiten Rhein und Maas“ klingt kaum so, als müsse ein Normalsterblicher sich dafür interessieren. Dahinter steckt jedoch vieles, was mit Wasserschutz zusammenhängt, und auch mit dem „kostendeckenden Wasserpreis“, der in den letzten zwei Legislaturperioden immer wieder ein politisches Thema war.
Was das mit Rhein und Maas zu tun hat? – Im Jahr 2000 verabschiedete die EU eine „Wasserrahmenrichtlinie“. Darin steht, dass alle großen Flüsse von der Quelle bis zur Mündung ins Meer in einen „guten Zustand“ gebracht werden sollen – und zwar bis Ende 2015. Weil Zuflüsse dabei mitbetrachtet werden, und nicht etwa nur die Mosel, die in Koblenz in den Rhein mündet, sondern sogar Bäche, sobald ihr Einzugsgebiet größer ist als zehn Quadratkilometer, wirken die Anforderungen der EU-Richtlinie bis weit ins Hinterland der großen Flüsse. In Luxemburg fallen hundert Flüsse und Bäche mit einer Gesamtlänge von 1 200 Kilometern unter das Rhein-Flussgebiet, zwei mit 21 Kilometern Gesamtlänge unter das Flussgebiet der Maas. Und weil Oberflächen- und Grundwasser nicht voneinander zu trennen sind, gilt die Wasserrahmenrichtlinie auch für Letzteres und für alle sechs „Grundwasserkörper“ im Lande, die zusammengenommen ein Einzugsgebiet von 2 875 Quadratkilometern ausmachen. Den Weg zum „guten Zustand“ legt alle sechs Jahre ein Bewirtschaftungsplan fest. Die Umweltministerin lässt jetzt den zweiten ausarbeiten. Der erste entstand 2009 unter CSV-Minister Jean-Marie Halsdorf, als für Wasserfragen noch das Innenministerium zuständig war.
Das Problem dabei: Bis Ende dieses Jahres ist der „gute Zustand“ (siehe: „Was heißt gut?“) nie und nimmer zu schaffen; jedenfalls nicht in jedem Bach und jeder Grundwasserader. Das ist nicht nur in Luxemburg so, sondern auch in den drei Nachbarländern. Doch als Halsdorf seinen Wasserplan erstellen ließ, hieß es noch, sieben Prozent der Flüsse und Bäche seien gut, und bis Ende 2015 komme man auf wenigstens 28 Prozent. Anschließend nutze man Ausnahmeklauseln der EU-Richtlinie, nach denen man spätestens Ende 2027 wirklich gut sein muss. Und 2021 werde man schon 85 Prozent erreichen.
Heute aber sieht es so aus, als wurde vor sechs Jahren zu optimistisch geschätzt. Die Lage sei „ernüchternd“, erklärt das Wasserwirtschaftsamt. Statt 28 Prozent „guter“ Flüsse und Bäche entgegenzustreben, die man Ende dieses Jahres zu bilanzieren hoffte, wurden im vergangenen Jahr gerade mal zwei Prozent als „gut“ eingestuft. Zwei der 102 „Oberflächenwasserkörper“ waren das: zwei Bäche im Ösling, und damit so wenig wie noch nie. Was man sich vornehmen kann bis 2021 und bis 2027, ist derzeit noch ungewiss, muss aber bis Mitte Dezember geklärt werden, um das Update des Bewirtschaftungsplans nach Brüssel schicken zu können.
Die Gründe der Ernüchterung sind vielfältig. Zum einen sei 2009 noch nicht richtig gemessen worden. „Da arbeiteten wir zum Teil wie mit einer Glaskugel“, bekennt das Wasserwirtschaftsamt. Heute klappe das umfassende „Monitoring“ der Gewässer. Doch daraus ergab sich zuletzt, und das ist ein anderer Grund für die Ernüchterung: Die heimischen Flüsse und Bäche weisen entweder eine zu geringe Artenvielfalt an Pflanzen, Fischen und Kleinlebewesen auf oder leiden unter zu hohen Ableitungen aus veralteten Kläranlagen oder der Landwirtschaft. Oft sind die Flüsse auch nicht „durchgängig“ genug, soll heißen: für Fische zu wenig passierbar. Zu allem Überfluss sind sämtliche Gewässer chemisch „nicht gut“, weil durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe belastet – das sei „ein landesweites Problem“. Beim Grundwasser ist die Menge ausreichend, aber drei der sechs „Grundwasserkörper“ sind chemisch schlecht, weil in ihnen zu viel von den Pestiziden Metazachlor und Metolachlor steckt, in einem der sechs obendrein zu viel Nitrat aus Stickstoffdüngern.
„Das ist alles keine Katastrophe, denn wir werden Maßnahmen ergreifen“, macht die Umweltministerin sich selber und den anderen Mut. Denn sie weiß: Bereits 2009 war ein Maßnahmenkatalog beschlossen worden und blieb nicht nur auf dem Papier stehen. Zwar gingen der damals zuständige Minister Halsdorf und das Wasserwirtschaftsamt schon davon aus, dass nicht jede Maßnahme bis zum Planende 2015 umsetzbar wäre: Innerhalb von sechs Jahren 58 neue Kläranlagen zu bauen, war ebenso eine Herkulesaufgabe wie der Bau von 398 Regenüberlauf- und Rückhaltebecken, damit bei Regen möglichst kein Schmutzwasser in die Kanalisation geschwemmt wird. Bisher gibt es sieben neue Kläranlagen und 50 Regenüberlaufbecken; bis Ende dieses Jahres könnten von Ersteren acht und von Letzteren 80 hinzukommen. „Ernüchtert“ aber sind Politiker, Beamte und Techniker auch wegen der Schwerfälligkeit von Prozeduren und wegen technischer Probleme, mit denen man 2009 so nicht unbedingt gerechnet hatte. Und es sei wohl auch so, ist zu hören, dass „die Biologie“ träger reagiert, als Planern lieb ist, und ergriffene Maßnahmen später ihre Früchte tragen als gedacht.
145 neue Maßnahmen stehen im zweiten Bewirtschaftungsplanentwurf; was von 2009 noch offen steht, wurde überarbeitet. Daneben hofft Dieschbourg, die kürzlich erlassenen Verbote und Einschränkungen der im Herbst so häufig vorgefundenen Pestizide Metazachlor und Metolachlor werden das Grundwasser entlasten. Das nun präzisere Monitoring hat aber auch dies ergeben: Das Nitrataufkommen aus Düngern wächst – und das Wasserwirtschaftsamt hat in seiner Bilanz des seit 2009 Erreichten festgestellt, die Agrar-Umweltprogramme zur Extensivierung der Landwirtschaft hätten noch nicht den erhoften positiven Einfluss auf die Gewässer, denn die Teilnahme daran ist freiwillig und die „Hemmschwelle“ bei den Bauern, das auch zu tun, ist „anscheinend relativ hoch“.
Und noch etwas wird festgestellt: Mögen im Wasser auch noch immer chemische Altlasten aus der Industrie nachgewiesen werden, sind sie zum Teil hundert Jahre alt und nehmen ab. Dagegen nehmen Rückstände aus so genannten personal care products zu, aus Kosmetika und Medikamenten etwa. „Das ist nicht nur bei uns ein Problem“, sagt Jean-Paul Lickes, Chef des Wasserwirtschaftsamts, „und es ist nicht leicht zu lösen. Man kann den Leuten ja nicht sagen, ihr dürft die Haare nicht mehr waschen oder kein Rheumamittel einnehmen.“ Befreien von solchen Rückständen lasse das Wasser sich, „das macht die Kläranlage, technisch geht das, technisch ist alles möglich – aber es ist aufwändig und teuer“.
Die Kosten sind ein Punkt des Wasserbewirtschaftungsplans, an dem derzeit noch getüftelt wird. Da der Stand der Dinge nun genauer gemessen werden kann und heute schlechter ist als vor sechs Jahren, hatte Pricewaterhousecoopers 2009 ja vielleicht zu niedrig gegriffen, als seine Berater für die damalige Regierung schätzten, alles in allem müssten bis 2027 rund 1,2 Milliarden Euro investiert werden: neun Zehntel im Abwasserbereich, der Rest in die Verbesserung von Fluss- und Bachbetten. Daneben müsse man Jahr für Jahr drei Millionen Euro an Prämien für die Landwirte bereitstellen, um sie für Agrar-Umweltmaßnahmen zu interessieren, und die viele neue Abwasserinfrastruktur ziehe Betriebskosten nach sich, die Schritt für Schritt bis auf 26 Millionen Euro jährlich steigen dürften.
Wer das bezahlen soll, ist nicht unbedingt eine Frage, die dringend politisch geklärt werden muss. Tatsache ist, dass der größte Teil davon – die jährlichen Betriebskosten, aber auch die Abwasserinvestitionen – den Wasserverbrauchern in Rechnung gestellt werden könnte. Denn es ist die EU-Wasserrahmenrichtlinie mit ihrem Ziel „guter Zustand in allen Flüssen“, die das Kostendeckungsprinzip für die Trink- und Abwasserpreise vorschreibt und einem ökologischen Ziel durch „Kostenwahrheit“ gegenüber Verschmutzern und Verbrauchern nahekommen will.
In Wirklichkeit trägt vieles die Allgemeinheit über den staatlichen Wasserfonds. Legt man 1,2 Milliar-den Euro auf 18 Jahre um, ergeben sich 67 Millio-nen jährlich, und auf diesem Pfad befindet der Fonds sich auch, der zwischen 2010 und 2014 über 400 Millionen Euro ausgab. Etwa dieselbe Ausgabe ist zwischen 2015 und 2018 geplant. Zwar wird der Fonds auch durch eine kleine Abgabe pro Kubikmeter Wasser gespeist, größtenteils aber aus Steuermitteln. Denn so schwer herauszufinden ist, woher genau Pestizid- und Nitratrückstände im Wasser kommen, um jemanden dafür zur Kasse zu bitten, so schwierig durchsetzbar wären noch höhere Wasserpreise – auch in Gemeinden, die jahrzehntelang nichts in Kläranlagen und Kanäle investiert haben. Wasser ist in Luxemburg eine kommunale Angelegenheit, und die Rückstände im Wasserschutz sind enorm. Doch für eine Säumigkeit seiner Gemeinde kann der Endverbraucher nichts. Um politische Konflikte darüber möglichst nicht aufkommen zu lassen, lässt die Regierung wie ihre Vorgängerin über den Wasserfonds subventionieren, was die EU-Kommission erlaubt. Daran dürfte sich auch nicht viel ändern, wenn der zweite Wasserbewirtschaftungsplan kostspieliger ausfällt als der erste.