Pestizide im Stausee

Ein Weckruf

d'Lëtzebuerger Land vom 03.10.2014

Bisher ist alles ruhig. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe hatte das Unkrautvertilgungsmittel Metazachlor, von dem 6 000 Liter aus einem lecken Tank im nahen Belgien ausgelaufen waren und das nach und nach über einen Bach in die Sauer und von dort in den Obersauer-Stausee gelangt, noch immer in dessen tieferen Wasserschichten gelegen, die nicht zur Trinkwassergewinnung dienen. Und es sah so aus, als werde die Substanz sich besser im Wasser auflösen als gedacht und nicht zum Problem für die Trinkwassergewinnung aus dem Stausee.

Wobei es womöglich nicht mal gefährlich wäre, wenn man mit dem Stoff belastetes Wasser tränke – sogar unaufbereitet. 8,38 Mikrogramm pro Liter, so viel betrug die bislang höchste, an der Barrage Misère gemessene Verunreinigung des „Rohwassers“ mit Metazachlor. Laut Pestizid-Datenbank der EU-Kommission wirkt Metazachlor akut giftig auf das menschliche Zentralnervensystem, wenn man innerhalb eines Tages pro Kilogramm Körpergewicht 500 Mikrogramm zu sich nähme. Wer siebzig Kilo wiegt, müsste also über 4 000 Liter Stauseewasser mit der bisher höchsten Belastung trinken, und selbst wenn die um den Faktor hundert stiege, wären die 40 Liter, ehe es gefährlich wird, nicht leicht zu schaffen. Und aufbereitet wird das Rohwasser ja noch. Ein Liter Trinkwasser darf höchstens 0,5 Mikrogramm an Pestiziden enthalten.

Warum dann all die Aufregung? Weil, wenn es um Trinkwasser geht und um die menschliche Gesundheit, das Vorsorgeprinzip gilt und ein Wasserversorger und die für Wasserversorgung und Wasserschutz zuständige Umweltministerin politisch schlecht beraten wären, nicht mit dem Schlimmsten zu rechnen und nicht zu kommunizieren. Die Entwicklung der Wasserbelastung konnte niemand im Voraus kennen. Klar ist aber, je stärker verschmutzt das Rohwasser ist, desto aufwändiger wird seine Aufbereitung zu Trinkwasser.

Der Pestizid-Unfall am Stausee hat aber noch etwas anderes gezeigt. Neben der Belastung mit Metazachlor an bestimmten Stellen des Sees maßen die Test-Trupps eine verdächtig hohe Grundbelastung des Wassers mit zwei besonders häufigen Abbauprodukten dieses Herbizids. Die Werte sind zwar rund zwanzigmal kleiner als die 8,38 Mikrogramm pro Liter Spitzenwert, ergaben sich aber überall im See. Metazachlor oder eine mit ihm chemisch verwandte Substanz, aus der dieselben Abbauprodukte entstehen, müssen demnach früher in den Stausee gelangt sein.

Was heißt das? Darüber ging es, dem Vernehmen nach, in den letzten Tagen zwischen dem Nachhaltigkeitsministerium und dem Wasserwirtschaftsamt auf der einen Seite und der für Pflanzenschutz zuständigen Abteilung (Asta) im Landwirtschaftsministerium hoch her. Kann sein, die Überreste stammen ebenfalls aus Belgien, kann aber auch sein, sie rühren von heimischen Bauernbetrieben her. Metazachlor ist eines der meistgenutzten Herbizide im Rapsanbau; die Landwirtschaftskammer hielt seinen Einsatz vor anderthalb Jahren noch für unverzichtbar (d’Land, 11.01.2013). Fest steht aber, dass die Stausee-Umgebung das bisher einzige ordentlich ausgewiesene Trinkwasserschutzgebiet Luxemburgs ist und der Einsatz jeglicher Pestizide im Umkreis von hundert Metern um den Stausee verboten. Wurde das Verbot missachtet, geschieht das womöglich öfter, vielleicht gar systematisch, und reicht das Hundert-Meter-Limit aus?

Im Moment kann das niemand sagen und Kontrollen sind schwierig. Nicht nur die des Pestizid-Einsatzes, auch die des Wassers. Das Wasserwirtschaftsamt lässt durch sein Labor eine Liste von 52 besonders gut wasserlöslichen Pestiziden und ihren Abbauprodukten in Grund- und Oberflächenwässern landesweit testen. Die Sebes macht das im Rahmen einer jährlichen „Komplett-Kontrolle“ am Roh- und Trinkwasser aus dem Stausee, das Wasserwirtschaftsamt seinerseits testet Sebes-Roh- und Trinkwasser jeden Monat auf Pestizidrückstände. Doch die Liste der hierzulande zugelassenen Pestizide ist über 400 Substanzen lang. Genaue Angaben über den tatsächlichen Pestizideinsatz aber ist das Landwirtschaftsministerium erst dabei zu erstellen. Dass das nicht früher habe geschehen können, liege auch am Datenschutz, heißt es.

Landwirtschaftsminister Fernand Etgen (DP) will nun eine Pestizid-Taskforce einrichten. Dass das nötig wäre angesichts der herrschenden Intransparenz zum Thema, fanden am Mittwoch alle Mitglieder des parlamentarischen Umweltausschusses. Es würde auch helfen, die Bestimmungen über die Stausee-Wasserschutzzone zu überarbeiten, womit schon im vergangenen Jahr begonnen wurde. Mag sein, dass das zu Konfrontationen mit den Bauern führt und diese ihre Erträge gefährdet sehen, aber klarere und vielleicht auch strengere Regeln wären auch in ihrem Interesse. Die geringe akute Giftigkeit von Pestiziden, die Schädlinge töten, aber für den Menschen möglichst ungefährlich sein sollen, ist nur ein Aspekt des Problems. Der andere besteht darin, dass man erst allmählich zu verstehen beginnt, wie Pestizide auf Zellebene wirken. Wer sich in EU-Datenbanken umschaut, findet oft den Vermerk, die Wissenschaft sei sich noch nicht sicher, ob das eine oder andere Pestizid vielleicht krebserregend, erbgutschädigend oder „reproduktionstoxisch“ ist, also Föten schädigt.

Und vor fünf Jahren nahm das Centre de recherche public de la Santé an 18 Luxemburger Acker- und Weinbauern eine Haaranalyse auf Langzeitbelastungen mit Pestiziden vor. Alle getesteten Personen trugen noch immer Pestizide in ihrem Körper, die schon seit Jahren verboten sind. Moderne Substanzen fanden sich vor allem in denen vor, die besonders viel mit Pestiziden umgehen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Toxicology Letters (Ausgabe 210/2012) publiziert, in Luxemburg aber nie breit bekanntgemacht. Was auch ein Zeichen dafür ist, wie wenig erwünscht Transparenz um die Spritzmittel bisher war. So gesehen, ist der Zwischenfall im Stausee auch ein Weckruf.

Peter Feist
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