So gut aufgelegt wie bei der Pressekonferenz am Dienstagnachmittag hatte man Jean-Marie Halsdorf lange nicht mehr erlebt. Der Innen- und Landesplanungsminister von der CSV, der sich bei anderen Gelegenheiten so unter Spannung zu stehen scheint, war gelassen und witzig. „Pilot“ nannte ihn LSAP-Kabinettskollege Lucien Lux, als beide gemeinsam mit Bautenminister Claude Wiseler (CSV) die Vorentwürfe der beiden sektoriellen Plänen für Transportinfrastrukturen und für besonders schützenswerte Landschaften vorstellten. Halsdorf freute sich.
Wieso auch nicht: Dass Landschaftsschutz-Prämissen mit Verkehrsplanungen zusammengedacht und rechtsverbindlich festgeschrieben werden – so weit war man in der Landesplanung hierzulande noch nie. Ein Wohnungsbau- und ein Gewerbezonenplan sollen nächstes Jahr folgen und auf den ersten beiden Plänen aufbauen. Die vier Pläne werden allen kommunalen Bauplanungen übergeordnet.
Aber noch sind längst nicht alle Messen gelesen auf dem Weg in eine qualitativ neue Ära der Landesplanung; noch ist man in der Vorentwurfs-Phase. Dass sie schon publik gemacht wird, obwohl laut Landesplanungsgesetz erst die fertigen Entwürfe an die Gemeinden zur Stellungnahme geschickt werden müssen, deutet an, wie sehr dem Landesplanungsminister daran gelegen sein muss, sich selbst etwas zu beweisen, aber auch seiner Partei, in der so manche ihn für überfordert und zu wenig durchsetzungsfähig halten. Dass es nicht schon am 14. Juli zur Vorstellung der Vorentwürfe kam, weil Fernand Boden kurzfristig im Landschaftenplan weitere Zugeständnisse für Handel und Landwirtschaft verlangte und Jean-Claude Juncker sich im Transportplan mehr Straßen wünschte (d‘Land, 18. Juli 2008), dürfte den Druck auf Jean-Marie Halsdorf noch verstärkt haben. Am Dienstag konnte er zeigen, wie es eigentlich laufen sollte: Die Fachminister steuern ihren Beitrag bei, der Landesplanungsminister koordiniert. An Lucien Lux gab er ein „Kopilot“ zurück.
Bis zu welchem Punkt Halsdorf die Pilotage in Richtung der definitiven Entwürfe führen wird, hängt auch davon ab, ob er der nächsten Regierung angehören und dort für das gleiche Ressort zuständig sein wird. Denn die eigentliche Prozedur zur Bestätigung der Pläne, die am Ende durch eine großherzogliche Verordnung für allgemein verbindlich erklärt werden, wird nicht mehr vor Herbst 2009 eingeleitet. Bis zum Sommer kommenden Jahres, und damit schon bis nach den Wahlen, soll eine so genannte Strategische Umweltprüfung aller vier Vorentwürfe dauern, zu der neue EU-Vorschriften zwingen. In ihr werden alle Vorentwürfe miteinander abgeglichen – und einige nur aufgeschobene Konflikte ausgetragen, die die am Dienstag vorgestellten Papiere andeuten, die jedoch schon für Debatten im Kabinett gesorgt haben.
So etwa sind im Transportplan-Vorentwurf acht der 27 Straßenbauvorhaben mit einem kleinen Stern versehen und stehen damit unter Vorbehalt. Die Frage hatte schon im Juli den Regierungsrat beschäftigt. Die CSV trat dafür ein, lieber auf der Stelle definitiv über die Projekte zu entscheiden. Darunter sind Umgehungsstraßen für Niederkerschen oder Remich, eine Abfahrt vom Brideler Biirgerkräiz in Richtung Steinsel und Nationalstraße 7, die Bereldingen vom Durchgangsverkehr entlasten soll, oder südlich von Alzingen eine Querverbindung zwischen der Düdelinger Autobahn und der N3 nach Frisingen.
Im über 270 Seiten langen Textteil zum sektoriellen Transportplan geht es mitunter recht kritisch zur Sache. Dass jedem dieser acht Projekte „incidences négatives en termes de protection de la nature et de fragmentation du paysage“ zugeschrieben werden, ist eine diplomatische Formulierung. Sie bedeutet immerhin, dass der Trassenverlauf mit den Vorgaben aus dem Landschaftsschutz-Sektorplan kollidiert. Die „Descente Walferdange“ wird besonders „diskutabel“ genannt, weil sie Wasserschutzgebiete und EU-Naturschutzzonen bedrohe; zu einer Umgehungsstraße für Feulen heißt es, dass sie die Attraktivität der Nordstad schwäche. Selbst zu Umgehungstraßen im Ballungsraum um die Hauptstadt, die mit keinem Vorbehalt versehen sind und die ein Band bilden würden von Strassen via Arloner Straße über Merl, Cessingen und Gasperich bis zur A3 in Richtung Frakreich, wird kritisch angemerkt, sie seien „double emploi“, wenn gleichzeitig die Autobahnen A6 und A3 zwischen Capellen und Bettemburger Kreuz dreispurig ausgebaut werden sollen.
Aber auch zu Schienenprojekten finden sich bemerkenswerte Aussagen im Sektorplan-Vorentwurf. Generell setzt er drei Zeithorizonte für die Umsetzung der Planungen an: bis 2015, bis 2020 und bis 2025. Aber während beispielsweise bis 2015 die Anbindung von Kirchberg und Flughafen an das klassische Schienennetz realisiert sein soll, wird für 2020 überraschend vorgeschlagen, die Trambahn vom Kirchberg nach Findel zu verlängern, was Lucien Lux bislang für keine gute Idee hielt.
Ebenfalls angedacht wird der Ausbau der Hauptstadt-Tram zu einem regelrechten Netz, das über Cessingen weiter nach Bartringen, von der Place de l‘Étoile entlang der Arloner Straße und via Strassen bis zur neuen Europaschule nach Mamer, sowie über den Ban de Gasperich bis nach Leudelingen reichen würde. Gegen Ende des Vorentwurfs, wenn Überlegungen zur „strategischen Priorisierung“ angestellt werden, heißt es, „groupes de travail État-communes“, die mit einer „démarche de planification intégrative adaptée“ ausgestattet würden, sollten „les priorités de transports“ ermitteln. Was auch eine Frage planerischer Flexibilität ist. Aber abgeschätzt werden soll zum Beispiel „l’impact du tram léger sur le partage modal, dans l’intention de prévoir de possibles extensions de ce dernier autour de la capitale, voire de l’exporter dans d’autres parties du pays, telles la Nordstad et la région Sud“. In diese Betrachtungen einfließen könnten auch „des alternatives transitoires aux projets train-tram initialement prévus dans l’IVL“. So ganz sicher, ob die Hauptstadt-Tram dem ganzen Land zu einem höheren Anteil an öffentlichem Transport verhelfen wird, oder man nicht mit allem politischen Nachdruck auf eine überregionale Lösung à la BTB hätte hinarbeiten sollen, scheint man sich demnach noch nicht zu sein.
Aber solche Fragen werden erst in der nächsten Legislaturperiode entschieden, und bis zu den Wahlen wird das Infrastrukturprogramm mobil2020 von Lucien Lux nicht mehr in Frage gestellt werden. Allein schon der Finanzen wegen: Wenn zwischen 2009 und 2012 insgesamt über zwei Milliarden Euro aus dem Schienenbaufonds für Schienenprojekte ausgegeben werden sollen, aber dennoch die Finanzierung der so wichtigen Peripheriebahnhöfe in der Hauptstadt nicht ganz abgesichert ist (d'Land, 24. Oktober 2008), dann wird der Raum für neue verkehrspolitische Würfe generell eng.
Unter Umständen könnte in der nächsten Legislaturperiode die landesplanerische Dynamik insgesamt in Gefahr geraten: Man brauche „ein System, um die Spekulation auf den Grundstücken zu verhindern“, erklärte Wirtschaftsminister Jeannot Krecké im Land-Interview vor einer Woche (d'Land, 24.10.2008). Erst dann könne er den Vorentwurf zum Sektorplan über die Gewerbezonen, der fertig vorliegt, veröffentlichen lassen.
Dahinter verbirgt sich die Befürchtung, dass für den Fall, man ginge mit Karten über die Zonierung von Flächen an die Öffentlichkeit, sofort die Spekulation anzöge. Dass dies geschieht, ist umso wahrscheinlicher, je größer die „Parzellenschärfe“ der Pläne ausfällt. Aber falls Krecké bei seiner Haltung zur Publikation des Gewerbezonenplans bliebe und sich kein Ausweg findet, droht Stillstand. Denn selbst wenn es zu keiner Veröffentlichung eines Vorentwurfs käme, würde im Laufe der offiziellen Prozedur der fertige Entwurf irgendwann publik. Mehrere Jahre dagegen dürften vergehen, ehe das „System“ in Kraft ist, das Krecké sich wünscht: Mittlerweile hat eine interministerielle Arbeitsgruppe damit begonnen, Überlegungen über Deckelungsmöglichkeiten von Grundstückspreisen anzustellen. Vor allem Premier Jean-Claude Juncker und Budgetminister Luc Frieden sind davon nicht begeistert; sie erkennen – sicher nicht zu Unrecht – ein strategisches Risiko für die CSV in einem solchen Vorhaben: Ein Gesetz, das in private Besitzstände eingriffe, ist nicht nur verfassungsrechtlich heikel, das hat die Debatte um den Wunnéngsbaupakt bewiesen. Nicht zuletzt die als Wählerreservoir für die CSV so wichtige Land besitzende Bauernschaft könnte es als Affront empfinden.
Nicht ausreichend geklärt ist eine andere wichtige Frage, und sie zu beantworten, wird ebenfalls Zeit kosten: Wie sollen die fertigen Sektorpläne umgesetzt werden? Damit die Gemeinden sie in ihren Bebauungsplänen berücksichtigen, schreibt das Landesplanungsgesetz parallel zur staatlichen Sektorplanung eine regionale Planung von unten her vor, in die die Gemeinden von Anfang an einbezogen sind und in der der Staat eher berät. Das soll einen ständigen Informationsfluss garantieren.
Unter Jean-Marie Halsdorf aber wurde die Regionalplanung kaum vorangetrieben. Mit ProSud existiert lediglich ein Planungssyndikat, wie das Landesplanungsgesetz sie vorschreibt. Am Dienstag erklärte der Minister zum wiederholten Mal, es gebe einen Informationsaustausch mit ProSud, und die wichtigsten Gemeinden seien Konventionen eingebunden: der zur Nordstad, dem Planungsverbund Dici im Südwesten der Hauptstadt, in der Alzettetal-Konvention, oder in der zuletzt unterzeichneten Konvention der Flughafen-Anrainergemeinden.
Allerdings war es Jean-Marie Halsdorf selber gewesen, der bei der feierlichen Unterzeichnung der Findel-Konvention darauf hinwies, dass jedes dieser Planungsbündnisse eine spezifische Agenda abarbeite: Dici ein Parkraum-Management, der Alzettetal-Verbund Wohnungsbaufragen, die Findel-Konvention werde sich Gewerbeansiedlungen zuwenden. Ob die Konventionen sich eignen werden für eine allgemeine Abstimmung ihrer Bebauungspläne, fragt sich. Und Lydia Mutsch, Präsidentin von ProSud, beantwortet die Frage, wie viele Informationen die derzeit einzige mit dem Landesplanungsgesetz konforme Körperschaft über die Sektorplan-Vorentwürfe bislang erhielt, mit „null“.
Die Vorstellung vom Dienstag war damit nur ein erster Etappensieg für die Landesplanung.