Dass Frauen keinen Zugang zu Technik und Naturwissenschaften haben, dieser Gedanke überdauerte hartnäckig das 21. Jahrhundert. Dabei zeigen zahlreiche Studien, dass es etwa für Mathematik oder Kodieren nur eines frühen Zugangs bedarf, damit die Barrieren in allen Köpfen fallen können ...und bei mancher gar nicht vorhanden waren.
Mit der Ausstellung Radical Software, die das Mudam und die Kunsthalle Wien gemeinsam organisiert haben und die von Michelle Cotton kuratiert wird, setzt das Mudam dezidiert auf Künstlerinnen, die in Musik, Dichtung, Literatur und Film schon in den 1960er und 70er Jahren mit Computertechnologie experimentierten.
Radical Software: Women, Art & Computing 1960-1991 zeigt über 100 Werke von 50 Künstlerinnen aus vierzehn Ländern, die unter den ersten waren, die Computer – Großrechner wie Minicomputer – als Werkzeug(e) für ihre Kunst verwendeten oder aber zum Thema machten. Die flimmernde Schau im Erdgeschoß des Mudam umfasst ein breites Genre, darunter Malerei, Skulpturen, Installationen, Filme, Performances und zahlreiche computergenerierte Zeichnungen und Texte.
Software als Instrument für sozialen Wandel
Das Leitmotiv für die Ausstellung Radical Software geht auf den Titel einer Zeitschrift zurück, die Beryl Korot 1970 zusammen mit ihren Künstlerkolleginnen Phyllis Gershuny und Ira Schneider gründete. Sie wählten den Begriff Software – im Gegensatz zu Hardware – als Metapher und mächtiges Instrument für sozialen Wandel.
Die Ausstellung spannt einen Bogen von den ersten Werken, die in akademischen oder industriellen Computerlabors entstanden, bis hin zu Arbeiten auf den ersten Heimcomputern und dem Aufkommen des World Wide Web. Sie thematisiert eine Zeit, die auch von der zweiten feministischen Welle geprägt war, und dokumentiert die weniger bekannte Geschichte der Anfänge der digitalen Kunst.
Das Anliegen, das die Zeitungsmacher/innen damit verfolgten, klingt in heutigen Zeiten, in denen Künstliche Intelligenzen wie ChatGPT auf dem Vormarsch sind und menschliches Denken vermeintlich ersetzen, wie ein hehrer Anspruch und doch visionär: „Macht wird nicht mehr zum Landbesitz, Arbeit oder Kapital gemessen, sondern am Zugang zu Informationen und den Mitteln, sie zu verbreiten ... Unsere Spezies wird weder durch eine totale Ablehnung noch durch eine bedingungslose Befürwortung der Technologie überleben, sondern durch ihre Vermenschlichung, wenn Menschen die Informationsinstrumente zur Verfügung stehen, die sie benötigen, um ihr Leben zu gestalten und wieder in die Hand zu nehmen.“ (Beryl Korot, Phyllis Gershuny und Ira Schneider im Radical Software Magazin, 1970)
Die Schau setzt einerseits auf Eyecatcher (eine Schuh-Installation, in der Künstlerinnen in Kurz-Interviews erläutern, wieso sie welche Schuhe tragen; dadaistisch anmutende Drei-D-Bilder von Valie Export), andererseits geht sie chronologisch vor.
So kann man an ausgewählten Werken nachvollziehen, wie Elena Asins, Colette Stuebe Bangert und Charles Jeffrey Bangert, Lily Greenham, Grace C. Hertlein, Ruth Leavitt, Vera Molnar, Monique Nahas und Hervé Huitric, Katherine Nash, Sylvia Roubaud und Joan Truckenbrod zu den ersten Künstler/innen gehörten, die Computer zur Erstellung von Zeichnungen und Drucken verwendeten.
Pionierinnen der Computerkunst
Die Pionierinnen der Computerkunst erlernten Programmiersprachen und entwickelten zum Teil selbst Programme. Die Arbeiten entstanden oft ohne Bildschirm oder grafische Benutzeroberfläche. So konnten die Künstlerinnen die Ergebnisse erst sehen, wenn sie ausgedruckt waren. Künstlerinnen wie Asins und Molnar nutzten den Computer, um generative oder algorithmische Kunst zu mechanisieren, die sie zuvor von Hand produziert hatten. Andere Künstlerinnen wie Hanne Darboven, Bia Davou oder Channa Horwitz erschufen ihre Werke dagegen ohne Maschinen.
Isa Genzken benutzte Computer, um lineare Pläne im Maßstab 1:1 für eine Reihe von Skulpturen zu berechnen und zu zeichnen, die zwischen 1976 und 1983 entstanden. Barbara T. Smith erzeugte eine Serie von 3.000 einzigartigen „Schneeflocken“ für eine Performance in Las Vegas im Jahr 1975. Doris Chase und Lillian Schwartz gehörten zu den ersten Künstlerinnen, die am Computer abstrakte bewegte Bilder erzeugten, die derzeit im Mudam Auditorium im Untergeschoss zu sehen sind.
Die Arbeiten von Johannesson locken einen als Diashows auf großformatigen Leinwänden in die Westgalerie und den Jardin des Sculptures, wo vor einer gefühlten Ewigkeit der schwarze Tintenbrunnen von Su-Mei Tse plätscherte.
Charles Babbages Assistentin Ada Lovelace erkannte, dass die Maschinen nicht nur für numerische Berechnungen, sondern auch für die Verarbeitung von Wörtern, Bildern und Musik eingesetzt werden konnten. Heute gilt Lovelace als die erste Programmiererin. Das Video Ada en ADA (1989) von Dominique Gonzalez-Foerster nimmt darauf augenzwinkernd Bezug, indem es die Computerprogrammiersprache ADA verwendet, um die biografischen Daten von Ada Lovelace zu erzählen.
In den 1970er Jahren wurden Computer aufgrund der Massenproduktion von Mikroprozessoren erschwinglicher. Damit begann eine neue Ära, die der Heimcomputer. Ende der 1980er und 90er folgte eine rasante Entwicklung bei neuen Hardwaresystemen für Spiele und Virtual-Reality.
Erste Programmiererin: Ada Lovelace
Zahlreiche Werke spiegeln diese neue Ära wider. So sollte Dara Birnbaum für ihr Pop-Pop-Video: Kojak/Wang (1980) eine Fernsehwerbung verwenden. Die im Mudam gezeigten Arbeiten von Betty Danon, Samia Halaby, Barbara Hammer und Charlotte Johannesson entstanden auf frühen Apple- oder Amiga-PCs, meist in den eigenen vier Wänden der Künstlerinnen.
„Ich wäre lieber eine Cyborg als eine Göttin“ schrieb Donna Haraway am Ende ihres Essays A Cyborg Manifesto (1985). In Anlehnung an das Science-Fiction-Genre verwendete Haraway das Bild des Cyborgs (kurz für kybernetischer Organismus), um Geschöpfe in einer Post-Gender-Welt zu beschreiben. Die Metaphorik der Cyborgs eigne sich ihr zufolge, um einen Weg aus dem „Labyrinth der Dualismen“ zu finden.
Diese „Hybride aus Maschine und Organismus“ sollten seither unzählige Kunstwerke inspirieren, gespeist auch aus der Vorstellung, ein technologischer Weg führe vielleicht auch in die oder in ein Mehr an Freiheit. Self Portrait as Another Person (1965) und X-Ray Woman (1966) sind zwei dieser frühen Cyborg-Bilder von Lynn Hershman Leeson. Sie sind neben Irma Hühnerfauths Augen und Glocken (1970) zu sehen gleich neben Arbeiten, die Anne-Mie Van Kerckhoven in den späten 1980er Jahren im Labor für künstliche Intelligenz in Brüssel mit Computern produzierte.
Rebecca Allens Swimmer (1981), ebenfalls ein ästhetischer Eye-Catcher in der Schau, war die erste dreidimensionale Animation eines weiblichen Körpers. Dass es auch Pionierinnen bei der Erzeugung von künstlicher Intelligenz gab, davon zeugen schließlich die Entwürfe von Tamiko Thiel aus den 1980er Jahren für die Connection Machine, den ersten Computer, der Intelligenz und Leben simulieren sollte.
Radical Software ist eine faszinierende Schau, die das vielseitige Wirken und die Werke von Pionierinnen in der Computer-Kunst in den Vordergrund stellt. Wohltuend ist, dass die Ausstellung wenig textlastig ist, sodass sich Besucher/innen mit unvoreingenommener Neugierde die Werke selbst erschließen können. Man darf hoffen, dass es viele Schulklassen hier hineinzieht und nicht nur Kennerinnen die Schau anerkennend und staunend durchstreifen. Der begleitende Katalog war in der ersten Woche nach der Eröffnung leider noch nicht verfügbar.