Heute loben wir die wohltätigen Damen. Nein, wir reden nicht von der „grosse cloche“ namens Marie, die sich nun mit ihren dröhnenden Auftritten im Glockenturm der Pariser Notre-Dame eingenistet hat. Ohnehin geht uns das penetrante christliche Glockengeläut schwer auf den Wecker. Am ärgerlichsten sind die aristokratischen Schwengel. Alle königlichen Gießereien, die immer wieder solch lärmende Ungetüme reproduzieren, sollten kurzerhand geschlossen werden. Lieber wenden wir uns einer echten bitch zu, also einer Dame, die sich selber diesen Titel zugelegt hat. Als phonebitch tritt sie inkognito im Netz auf, ihr karitatives Handwerk ist der Telefonsex. Wie die Dame immer wieder betont, ist sie eine authentische Luxemburgerin, was uns zutiefst verwundert, denn in Luxemburg gibt es nachweislich weder Sex noch Telefone, weder Geheimdienstskandale noch korrupte Politiker, weder politische Entgleisungen noch moralische Sumpfgebiete.
Was wäre gegen eine Sextelefonistin einzuwenden? Gar nichts. Sie ist nichts anderes als eine Art Krankenpflegerin, vielleicht sogar eine Fachkraft der Palliativmedizin. Sie schenkt den Betrübten dieser Nation ein bisschen Trost, den Verklemmten und Gehemmten, deren sexuelle Energie schon früh von klerikalen Zuchtmeistern ruiniert wurde. Insofern arbeitet die Sextelefonistin für die Volksgesundheit. Man sollte ihr überall den roten Teppich ausrollen, oder sie jedenfalls mit Respekt behandeln. Leider ist das Gegenteil der Fall. Die phonebitch wird hierzulande totgeschwiegen. Warum?
In Zeitungsinterviews beschwert sich die phonebitch seit Monaten bitterlich, der luxemburgische Buchhandel würde ihr Buch boykottieren. Die im Piper Verlag erschienene Anekdotensammlung schmutzige nummern – kuriose erlebnisse vom anderen ende der sexhotline soll offenbar nicht auf der Bestsellerliste erscheinen, mutmaßt die aufgebrachte Autorin. Das ist nun ganz und gar unverständlich. Denn genau auf dieser Bestsellerliste steht seit Monaten ein durch und durch anzüglicher Dauerbrenner. Ketty Thull ist ein Hauptwerk der Gastro-Pornografie, eine fetttriefende invitation à la débauche, verfasst von der gleichnamigen drag queen aller Fressbesessenen. Das Buch könnte ohne weiteres den Untertitel tragen: „Schmutzige Rezepte – Kuriose Erlebnisse vom anderen Ende des Cholesterinspiegels“. Neben dieser Fibel für Völlerei-Freaks und kulinarische Triebtäter nimmt sich das klinisch korrekte phonebitch-Büchlein fast aus wie ein pikanter Pflegedienstbericht. Übrigens beabsichtigen beide Bücher nur eines: die Steigerung des Blutdrucks.
Ach ja, die luxemburgischen Buchhändler haben sich selber eine Charta verpasst, in der es wörtlich heißt: „Nous considérons le livre comme un bien culturel se situant bien au-delà d’un simple objet de consommation et nous accordons une importance particulière à la déontologie de la profession de libraire.“ Wie schön. Dann wollen wir mal an ihren buchhändlerischen Taten messen, wie ernst sie diese Selbstverordnung nehmen. Die Nummer eins auf der Februar-Bestsellerliste ist das Buch RTL Déckkäpp, ein zutiefst peinliches, jenseits aller Urheberrechte zusammengeklautes Sammelsurium von Zoten und rassistischen wie sexistischen Pöbeleien auf allerunterstem Stammtischniveau. Das nennen die Buchhändler also ein „bien culturel“? Würden sie ihre eigene Charta wirklich anwenden, wäre dieses triste Machwerk in keinem Sortiment zu finden.
Es kann demnach nur einen Grund geben, das Buch RTL Déckkäpp trotzdem mit großem Trara an die Käufer zu bringen: das Versprechen der klingelnden Kassen. Wenn der Mammon ruft, ist die Deontologie erledigt. Und schon ist wieder die phonebitch im Spiel. Auch ihr Buch würde garantiert in Windeseile zum Bestseller Nummer eins aufsteigen, wenn die Buchhändler nur so geschäftstüchtig wären, es auszulegen. Warum die Déckkäpp im Regal stehen und die phonebitch nicht, ist ökonomisch nicht nachzuvollziehen. Immerhin sind die Texte der Sextelefonistin eine Art Psychogramm der einheimischen Männerzunft, unangenehm zwar für die Propagandisten der heilen Welt, aber aufschlussreich und informativ, wenn es um den Zusammenhang von repressiver Erziehung und beschädigtem Gefühlsleben geht. Das kann man vom Buch RTL Déckkäpp beim besten Willen nicht behaupten. Hier herrscht nur die tumbe Bierseligkeit, das pure Suffgelaber.
Leider hat der Erfinder der luxemburgischen Bestsellerliste, der Luxemburger Verlegerverband, von Anfang an „vergessen“, die Sparten Belletristik und Sachbuch klar voneinander zu trennen. Es ging also immer nur ums Geschäft, nie um die Qualität der Veröffentlichungen. Jetzt zeigt sich, auf welchem Niveau das Geschäft am heftigsten blüht: in der Dunkelkammer der haarsträubenden Herrenwitze. Dass Verleger bereit sind, ihr eigenes Literatursegment per Bestsellerliste ins Abseits zu verbannen, also ihrer eigenen Produktion bewusst Schaden zuzufügen, ist ein sonderbarer Nebeneffekt. Fragt sich nur, warum sie überhaupt noch literarische Titel herausgeben. Die Déckkäpp sind doch „systemrelevant“ genug.