Heute loben wir die korrekte Denkweise. Der deutsche Thienemann-Verlag will Otfried Preußlers Kinderbuch-Klassiker Die kleine Hexe einer Sprachsäuberung unterziehen. Das Wort „Neger“ soll getilgt werden, die von Preußler beschriebenen Kinder sollen sich nicht länger als „Türken und Chinesenmädchen verkleiden“, und der Begriff „wichsen“ wird wegen Missverständlichkeit durch einen unverfänglicheren Ausdruck ersetzt. Im Text leistet sich die kleine Hexe nämlich folgende Obszönität: „Ich wichse euch mit dem Besen durch, wenn ihr nicht aufhört!“ Ohlala! Das klingt ja furchtbar nach Sado-Maso-Übermut! Ein Glück, dass die lieben Kinder nur Bücher lesen und keinen Zugang zur Terminologie des Internet haben, wo nicht nur mit dem Besen maßlos gewichst wird.
Wer kommt denn überhaupt auf den schändlichen Gedanken, unschuldige Kinder durchzuwichsen? So brutal können sich wohl nur Hexen benehmen. Oder Pfaffen. Aber die entgleisen wenigstens nicht rhetorisch. Sie sagen: „Pass mal auf, Kleines, jetzt kommt die Hand Gottes über dich. Spürst du schon seinen göttlichen Finger?“ Das wäre gewiss, im Sinne des Thienemann-Verlags, eine geglückte sprachliche Aktualisierung. Also eine pädagogisch wertvolle Rückkehr zur verbalen Korrektheit.
Natürlich begrüßen wir den Verbesserungsfuror des Verlegers und gehen sogar noch einen Schritt weiter. Wer A sagt, muss nämlich auch B sagen, und bald darauf auch C, D, E, F, in anderen Worten: Wie steht es mit der Konsequenz? Schon der Titel des inkriminierten Buches ist eine Kalamität. Darf man das Wort „Hexe“ überhaupt verwenden? Muss man nicht präziser und wahrheitsgetreuer sagen: „Opfer klerikaler Gewalt“? Otfried Preußler hätte bestimmt nichts dagegen, wenn sein Werk demnächst menschenrechtsadäquat „Das kleine Opfer klerikaler Gewalt“ hieße.
Komplizierter wird es allerdings, wenn die Hexe ganz zufällig afrikanischer Herkunft wäre. Dann wird der Buchtitel leider etwas länger. Zum Beispiel: „Das kleine unfreiwillig aus einem katastrophal benachteiligten Landstrich vertriebene Opfer klerikaler Gewalt“. An sich ist gegen lange Buchtitel nichts einzuwenden. Man sollte den Kindern nicht immer nur minimale Brocken hinwerfen. Der Sprachverfall feiert ohnehin Triumphe. Wir sollten etwas unternehmen gegen die grassierende SMS-Sprachverkümmerung. Also her mit den XXL-Buchtiteln!
„Neger“ sollte man ohne Umstände durch „Schwarzer“ ersetzen, meint der Thienemann-Verlag. Das ist ein problematischer Vorschlag. In Luxemburg zum Beispiel ist ein „Schwarzer“ ein politisch eindeutig vorbelasteter Zeitgenosse. Der „Schwarze“ steht für das Rückständige, Ewiggestrige, Okkulte; er symbolisiert den Stillstand der Gesellschaftspolitik. Insofern ist ein „Schwarzer“ eine implizite Beleidigung für alle Neger. Wir kennen ja alle den Krippenneger, den die Schwarzen zur Weihnachtszeit gern in ihren Kirchen aufstellen. Soll der jetzt plötzlich „Krippenschwarzer“ heißen? Diese Funktion ist schon besetzt, der Krippenschwarze ist der Pfarrer, der den Krippenneger nach Gutdünken manipuliert. Unser Vorschlag zur sprachlichen Erneuerung wäre sicher treffender: „Neben der Krippe hockt ein von Schwarzen ausgebeuteter Mensch aus Afrika als diskriminierte kopfnickende Gipsfigur“. Hallo, Thienemann-Verlag? Hören Sie noch zu?
Ja, wir kennen auch die Gefahr, die von einem sprachlichen Rundumschlag ausgehen könnte. Entscheidend ist ja immer die Absicht, mit der ein Wort gezielt eingesetzt wird. Ein gutes Beispiel ist das Wort „Opfer“. Im Prinzip löst dieses Wort Mitleidsregungen aus. Aber es wird neuerdings auch als Schimpfwort gebraucht. „Du Opfer!“ ist auf vielen Schulhöfen die oberste Stufe der persönlichen Diffamierung. Was tun? Wir plädieren hier für gnadenlose Kurzsichtigkeit. Das Wort „Opfer“ sollte radikal aus allen Kinderbüchern herausgestrichen werden, und zwar ersatzlos. Und nicht nur dieses. Alle Wörter sind unter dem Strich anrüchig, wenn man nur ein bisschen tiefer gräbt. Ideal wären also Kinderbücher mit radikal weißen Seiten. Nur unschuldiges Weiß, bitte, extrem kinderfreundlich.
„Du Luxemburger!“ sollten wir übrigens nicht un-bedingt übersetzen mit „Du lieber Mensch aus einem vorbildlichen Kleinstaat“. Das starke Schimpfwortpotenzial dürfen wir auch hier nicht überhören. „Du Luxemburger!“ kann auch bedeuten: „Du verwöhntes EU-Schwein, du parasitärer Wohlstandsbolzen, du Steuerparadiesheuchler, du hirnamputierter Gotteszwerg, du aufgeblasener Geldscheißer!“ Es tut weh, nicht wahr? Begeben wir uns also flugs auf die Piste des Thienemann-Verlags und beschließen wir: In Kinderbüchern hat der „Luxemburger“ nichts verloren. Zumal es für ihn absolut keine Ersatzbezeichnung gibt. Lieber gar keine Erwähnung als eine zweideutige.
Ein zweites, sehr berühmtes Buch von Otfried Preußler heißt Der Räuber Hotzenplotz. Geht denn das? Ist die Bezeichnung „Räuber“ nicht hoffnungslos antiquiert? Müsste es, unter den verschärften Bedingungen des modernen Räuberwesens, nicht viel eher heißen: Der Hedgefonds-Manager Hatzkomplitz?