Heute loben wir das freie Wort. In den Wort-Leitartikeln wird neuerdings viel über Gewalt philosophiert. Glaubt man den Schreckensrufen dieser besorgten Schreiber, macht sich hierzulande eine radikale Minderheit breit, die mit Rufmord, Hass, Zerstörungswut und brutaler Intoleranz über die friedlichen Bürger herzieht. Es sind also Indivi-duen am Werk, die dringend in die Schranken verwiesen werden müssen. Wer ist hier visiert? Geht die Rede vom unsäglichen Geheimdienst? Wird über eine Art brandgefährliche Mafia referiert, die zynisch an den Grundfesten des Staates rüttelt?
Falsch geraten. Die Gewalttäter sind ganz andere. Und zwar die Bürger, die sich herausnehmen, nicht länger mit den Privilegien der katholischen Kirche einverstanden zu sein. Zwei Leitartikler, Herr Marcel Kieffer und Herr Georges Hellinghausen, geben sich praktisch die Klinke in die Hand, um äußerst blumig über die drohende Gefahr des zersetzenden Laizismus zu munkeln. Beim diplomierten Kirchenmann Hellinghausen liest sich die Entsetzensprosa zum Beispiel so: „Es gibt nicht nur physische Gewalt – die gibt es auch, viel zu viel! –, sondern ebenso Gewaltanwendung durch das unangebrachte, verletzende Wort. Oft unter die Gürtellinie. Schrille Töne und Anrempelungen gehören zur Tagesordnung. Wo aber bleibt die gesellschaftliche Debatte? Wo eine echte Streitkultur?“ (Luxemburger Wort, 24.12.2012).
Ja, wir müssen dem Mahner förmlich dankbar sein, dass er so gnädig ist, die „physische Gewalt“ sehr diskret in einen eingeschobenen Nebensatz zu verpacken, ohne nähere Angaben. Damit wäre die Rolle der katholischen Kirche flugs abgehakt. Von den Hexenverbrennungen bis zu den aktuellen Kindervergewaltigungen ist und bleibt die katholische Kirche eine Brutstätte der physischen Gewalt. Von ihrer moralischen Gewaltbereitschaft und ihren psychischen Foltermethoden nicht einmal zu reden.
Nun, Sie haben soeben ein Musterbeispiel dessen gelesen, was Herr Hellinghausen unter dem „unangebrachten, verletzenden Wort“ versteht. Zu den versteckten Privilegien der katholischen Kirche gehört, dass Kirchengegner nicht sagen dürfen, was Sache ist. Sie dürfen sich nicht artikulieren, schon gar nicht emotional. Die blutige Geschichte der katholischen Kirche darf nicht von außen – also von Unbefugten – kommentiert werden. Das ist Gewalt. Die Gewalttäter sind bekannt. Es sind die Menschen, die andere Ansichten als die katholische Kirche vertreten und sich auch klar zu ihrer Andersartigkeit bekennen.
„Das Verdrehen der Worte. Das Konstruieren eines Feindbildes, das dann abgeschossen wird. Unterstellungen und Miesmacherei. Anstelle des Dialogs das Fertigmachen. So kommt eine Gesellschaft nicht weiter!“, empört sich Herr Hellinghausen. Was die Kirche darf und sich ohnehin herausnimmt, dürfen die Gewalttäter noch lange nicht. Die Kirche darf die Demokratie ausschließen, den Dialog verweigern, ihren Kritikern die schlimmsten Absichten unterstellen. Das gehört zum institutionellen Fundament dieses Vereins. Aber die Kritiker sollen sich bitte an die Regeln des freiheitlichen Anstands halten. Oder besser ganz schweigen.
Wie man die Worte verdreht, ein Feindbild kon-struiert und das Fertigmachen praktiziert, führt unfreiwillig Herr Kieffer vor. Luxemburg ist für ihn das Land, „wo ohnehin Kirchenhasser und Laizismusextremisten die unerhörtesten Provokationen und Beleidigungen unwidersprochen vom Stapel lassen können“ (Luxemburger Wort, 27.12.2012). Wir lesen richtig: Wer die katholische Kirche kritisiert, ist ein Hasser, ein Extremist, ein Provokateur und ein Beleidiger. Besonders wirksam und suggestiv ist der Begriff „Extremist“. Wir sind ja mittlerweile umzingelt von mörderisch aufgelegten Extremisten. Fehlt nur noch die logische Steigerung, nämlich die Bezeichnung „Terrorist“. Das hat Herr Kieffer auch schon dem „Dialog“ beigemischt, den Herr Hellinghausen so dringend fordert? Tatsächlich: „Die hasserfüllten Kulturkämpfer, die einen Staat ohne Kirche wollen, die der Religion ihren Platz in dieser Gesellschaft nehmen, einen gottlosen, werteneutralen Laizismus in unseren Gesetzen verankern wollen, üben heute mit nicht nur verbaler Gewalt rücksichtslosen Gesinnungsterror aus“ (Luxemburger Wort, 01.12.2012). Da sind sie ja, die Terroristen! Und wie verfährt man mit Terroristen? Richtig. Man muss sie ausrotten, bevor sie den Staat kaputtmachen.
Folkloristische Vereine wie die katholische Kirche und andere Sekten sollten nicht vom Staat, sondern von ihren eigenen Anhängern finanziert werden. Das ist jetzt eine extremistische und terroristische Idee, natürlich. Aber sie hätte den Vorteil, dass Terroristenjäger wie die Herren Hellinghausen und Kieffer nicht mehr so verbissen um die Wahrung ihrer Privilegien kämpfen müssten. Sie könnten dann ganz gelassen und entspannt in ihrer sehr kleinen Firma mit ihrer sehr auflagenschwachen Hauszeitung jene fröhliche „echte Streitkultur“ pflegen, die ihnen so sehr am Herzen liegt. Wir Gewalttäter werden ihnen diesen Spaß jedenfalls nicht vermiesen.