Kaufe Gold, Silber, Uhren – die Angebote, alten Schmuck und Münzen aufzukaufen, häufen sich

Goldrausch

d'Lëtzebuerger Land vom 23.12.2010

Schon in der Eingangshalle des Hotels im Stadtzentrum begrüßen einen die Hochglanz-Werbeposter einer britischen Firma. „Treppe hoch, dann links“, sagt der Portier. Oben im Flur sind wie in einem Wartesaal Stühle aufgestellt. Doch um diese Zeit, kurz nach der Mittagspause, wartet hier niemand. Drinnen im Konferenzraum sind zur Konsultation Tische im Halbkreis arrangiert, jeweils ein Stuhl dahinter, zwei davor. Eine Wahrsagerin könnte hier, vom schwindelerregenden Teppichbodenmuster inspiriert, Kunden die Karten legen. Auf den Tischen stapeln sich mit Samt ausgelegte Kästen, allerlei Werkzeug, Lappen und Fläschchen mit bunten Chemikalien. Drei Männer in Anzügen diskutieren. Einer von ihnen tütet eine massive Goldkette ein, packt sie mit anderen Tüten in einen Karton. Dazu sind sie schließlich nach Luxemburg gekommen: um Gold, alten Schmuck und wertvolle Uhren zu kaufen. Und sie werden wieder kommen. Jeweils zur Monatsmitte haben sie die Konferenzräume gebucht, sagt der Portier, werden sie ihr Alchemisten-Werkzeug in Luxemburg auspacken. Das Geschäft scheint, trotz der leeren Stühle auf dem Flur, gut zu laufen. Als alle Tüten verstaut sind, ruft einer der Männer auf Englisch: „Kommen Sie rein. Wollen Sie uns etwas zeigen?“ In der Tat. Vier Goldmünzen unbestimmter Herkunftsländer. Die sind, wie das Portemonnaie, das sie enthält, von der Oma geerbt, die hier in diesem Raum vor Jahren mal Geburtstag gefeiert hat. Laut Briefwaage wiegen sie zusammen fast 27 Gramm. Nicht ganz eine Unze, wie sie derzeit zu fast 1 388 Dollar gehandelt wird, das sind 31,11 Gramm. Entsprechend groß sind die Erwartungen in den, wenn auch bescheidenen, Goldschatz. Der Goldpreis steigt seit Jahren fast ununterbrochen. Wer 2001 Gold gekauft hat, konnte beobachten, wie sich der Wert der Investition vervier- bis verfünffacht hat. Und während manche Finanzexperten anfangen, vor einer neue Blase zu warnen, die bald platzen werde, meinen andere, im kommenden Jahr könnte der Preis für eine Feinunze gar bis auf 1 900 Dollar steigen. Schon allein deshalb, weil die Minengesellschaften das Edelmetall nicht schnell genug abbauen können, um die derzeitige Nachfrage zu stillen. Die steigt nicht nur, weil sich die Anleger in den Industrieländern mit geringen Wachstumsraten in sichere Investitionen flüchten. Gold ist auch in den Schwellenländern mit hohen Wachstumsraten und der damit verbundenen Geldentwertung gefragt. Auch als Zeichen des zunehmenden Wohlstands der dortigen Bevölkerung. Im Hotel bereitet der Uhren- und Goldhändler aus der Zeitungsanzeige die Münzen auf dem Tisch aus, wirft durch seine neon-farbene Brille einen Blick darauf. „Ich würde unseren Münzspezialisten bitten, sie sich anzuschauen“, sagt er laut, als ob ihn frankophone Luxemburger dann besser verstehen könnten. Mit seinem starkem Cockney-Akzent klingt er wie die Gangster in Guy Ritchies Filmen. Der Münz-experte rückt seinerseits die Brille zurecht, fasst sich mit großer Geste an die Stirn und sagt dann die Preise auf. 170 Euro für den Sovereign, 140 fürden Gulden, und jeweils 120 für die zwei Belgier. Macht zusammen 570 Euro. Das ist ein Schock. „Wieso nur so wenig, was machen Sie denn damit? Werden die eingeschmolzen?“ Wenn es nach dem Gewicht ginge, müssten sie bei den ak-tuellen Kursen doch weitaus mehr wert sein. So wie der Brite die Augen verdreht, scheint ihn dieses Argument nicht zu überzeugen. „Nein. Das ist doch der Preis, den sie zahlen müssen, wenn Sie Gold kaufen. Der zählt für Anleger an der Börse, nicht für Privatleute“, erklärt er, versucht, nicht allzu ungeduldig zu werden. Aha. Das hört er wohl nicht zum ersten Mal. „Alle meinen das“, sagt er halb mitleidig, halb belustigt. „Alle kommen her und meinen, sie würden für ihr Gold den Börsenpreis erhalten“, schüttelt er den Kopf. Seine Kollegen nicken zustimmend. „Wie bestimmen Sie denn ihren Preis?“ Für die Münzen gebe es fixe Raten, wirft der Experte ein, schaut dabei gelangweilt aus dem Fenster. Weil es davon Tausende und Abertausende gebe, die täglich gehandelt werden und Omas Exemplare keine Sammlerstücke sind, orientiere sich das Angebot daran. „Und außerdem ist das ja kein pures Gold“, setzt der andere nach. Der Goldschatz soll nicht aus Gold sein? Noch ein Schock. „Eher 90, 92 Prozent.“ „Überlegen Sie es sich. Wir würden gerne heute kaufen“, lächelt er professionell. „We pay cash“, weist er auf die Diskretion und Sicherheit einer eventuellen Transaktion hin. Cash fürs Altgold bieten auch andere in Luxemburg. Und es scheint, als würden es immer mehr. In der Tageszeitung werben die Briten für ihre regelmäßigen Gastauftritte im Hotel. Im Kleinanzeigenblatt bietet „Privat“ 17 Euro das Gramm. Im Briefkasten findet sich öfters mal ein Flyer. Und in den wenigen Hochglanzmagazinen schaltet Cash4Gold ganzseitige Anzeigen. Während Ersteren noch etwas Klandestines anhaftet, gehen Letztere ganz offiziell ander Dunkelholztheke ihrer Läden in Esch und Luxemburg zur Sache. Hinter Milchglasschaufenstern legen Gino Calvetti und seine Mitarbeiter Altgold und -Silber auf die Waage. In hellen Räumlichkeiten, mit Duftstäbchen und Ledersesseln ausgestattet, bieten auch sie für 18-karatigen Goldschmuck 17 Euro für ein Gramm. Omas Münzen werden auf die Waage gelegt, dann fängt Calvetti an, auf den Taschenrechner einzutippen. Bei 22 Euro das Gramm sind die Münzen hier insgesamt 607 Euro wert. Besser als das Angebot der Briten – doch im Internet gehen ähnliche Münzen für deutlich mehr. Calvetti und sein Partner waren bis vor der Krise am anderen Ende der Verteilungskette tätig. In einem Juwelierladen in der Oberstadt ver-kauften sie Schmuck. Dann verkauften sie den Laden. Denn bereits 2007 und 2008 sei das Geschäft nicht mehr ganz so gut gelaufen. Aus mehrerlei Gründen. „Es hat ein Mentalitätswechsel stattgefunden“, sagt Calvetti. „Früher haben die Leute Schmuck gekauft, weil er aus Edelmetall war. Das hatte einen sicheren Wert.“ „Heute“, fährt er fort, „sind auch in der Schmuckbranche Designerlabels wichtig.“ Den Kunden kommt es darauf an, wer die Kette entworfen hat, nicht woraus sie ist, und so wie es in der Bekleidung Moden gibt, gibt es sie mittlerweile auch beim Schmuck. Modeschmuck eben, der öfters gewechselt wird. „Die Wegwerfmentalität hat sich durchgesetzt“, so der Geschäftsmann. „Aber Goldschmuck öfter zu wechseln, das können sich die wenigsten Leute leisten.“ Dass durch den Anstieg des Goldkurses auch die aus Gold gefertigten Bijouteriewaren teuerer wurden, wirkte sich zusätzlich negativ aus. Deswegen ist Calvetti umgestiegen. Zu ihm kommen nicht nur Leute, die dringend Geld brauchen, sagt er. Viele wollten einfach nur die alten Wertsachen loswerden, die niemand mehr trage. „Auch wohlhabende Kundinnen kommen hierher. Die verkaufen beispielweise ihr gelbes Gold, weil sie nur noch weißes wollen“, erzählt Calvetti. Andere Juweliere schickten ihm Kunden, die ihr altes Gold loswerden, aber keinen neuen Schmuck kaufen wollten. „Die zahlen nicht gerne Bargeld aus, deswegen schicken sie die Leute zu uns.“ Angst davor, dass ihm gestohlene Ware angeboten wird, hat er nicht. „Wer uns etwas verkaufen will, muss als erstes einen gültigen Ausweis vorlegen und eine Erklärung unterschreiben, dass ihm die Sachen gehören. Außerdem haben Diebe andere Absatzkanäle als unsere Läden.“ Cash4Gold verkauft das Edelmetall weiter an Gießereien in Belgien oder Italien, alles außer Sammlermünzen wird eingeschmolzen. Dann werden daraus Barren oder Körner gegossen. Erstere kaufen institutionellen Anleger – manche Fonds zahlen mittlerweile die Rendite in Gold aus. Die Körner sind der Rohstoff, aus denen neuer Schmuck entsteht. Doch kommt der Goldschmuck etwas aus der Mode, fördern die hohen Goldkurse wiederum neue Trends. An Automaten können sich Kleinanleger Mini-Goldbarren kaufen. In Florida machte die Inbetriebnahme eines solchen Apparats vor kurzem Schlagzeilen. Am Frankfurter Flughafen kann man seit dem Sommer 2009 am Gold-to-go-Automaten Goldbarren von einem, fünf oder zehn Gramm ziehen. Mit Goldrecycling Geld verdienen ist beleibe kein Geschäft für Kleinkrämer. Auch die Superstars der Risikokapitalbranche Mangrove Capital Partners setzen ab und zu auf Gold, berichten amerikanische Medien. So soll die Investorengruppe um den Luxemburger Vorzeigeunternehmer Gerard Lopez in eine amerikanische Firma investiert haben, die – Überraschung – ebenfalls Cash4Gold heißt. Ihr schicken Kunden in den USA und Groß-britannien ihr Altgold mit der Post zu. Das Geschäft läuft anscheinend so gut, dass man eine eigene Gießerei eingerichtet hat. Doch bei Mangrove Capital Partners mag man nicht bestätigen, dass man Cash4Gold-Anteile hält. Vielleicht, weil die Firma den Ruf hat, schlecht zu bezahlen. Zwischen 20 und 80 Prozent des eigentlichen Wertes, je nach eingesandter Quantität, wie der Boston Globe berichtet. Gino Calvetti von Cash4Gold in Luxem­burg behauptet, die gegenteilige Praxis beschere ihm einen beständigen Kundenstrom. „Der hohe Goldkurs erlaubt es uns, den Leuten ein interessantes Angebot zu machen“, erklärt er. In vielen kleinen schwarzen Plastikbehältern lagert er hinter der Theke den Schmuck. Taufketten mit Sternzeichenanhängern sind darunter. Aber auch Goldketten, wie sie Mitte der Achtziger jedem Kommunionskind umgehängt wurden. An der Ladentür klingelt es. Er drückt auf den Schalter, die Tür surrt, springt auf. Herein kommen drei Teenager, ein Junge und zwei Mädchen. Der Junge flegelt sich faul in einen der Ledersessel, die Mädchen eilen mit hoffnungsvollen Schritten an den Tresen. „Ich weiß nicht, ob es Gold ist?“, fragt eines und zieht eine Kette aus ihrer Tasche.

Michèle Sinner
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