Gute Stimmung im Fußballstadion ist Gold wert. Wie viel, weiß niemand so genau. Das stört aber kaum jemanden

Olé, Olé!

d'Lëtzebuerger Land vom 21.02.2014

„Das hätte der neuen Koalition gut zu Gesicht gestanden“, meint Jean Regenwetter, Präsident des Radsportverbandes FCSL. Er spricht als Bürger und Steuerzahler, wenn er sagt, die Regierung hätte die kostengünstigste Option für den Bau der versprochenen Sportanlagen, also dem Fußballstadion, dem Velodrom und einer Leichtathletikanlage, prüfen sollen. „Drei Infrastrukturen an drei verschiedenen Orten werden sicher teurer als eine Infrastruktur an einem Standort.“ Vergangenen Freitag hatte Hauptstadtbürgermeisterin Lydie Polfer (DP) zusammen mit Sportminister Romain Schneider (LSAP), Infrastrukturminister François Bausch (déi Gréng) und dem Präsidenten des Fußballverbandes FLF Paul Philipp einen neuen Standort für das nationale Fußballstadion vorgestellt: gegenüber dem Post-Gebäude auf der Cloche d’Or, jenseits der Autobahn auf Kockelscheuer Seite. Nach dem Projekt von Geschäftsmann Falvio Becca, das eine Kombination aus Fußballstadion und Einkaufszentrum in Liwingen vorsah, der zeitweiligen Diskussion über einen Ausbau des Differdinger Stadions zum nationalen Fußballstadion, der Ankündigung von Sportministerium und der Gemeinde Luxemburg, das Stade Josy Barthel werde renoviert, ist dies nun der vierte Stadion-Standort, der vorgeschlagen wird. Umso vorsichtiger war FLF-Präsident Paul Philipp in seiner Begeisterung für das neue Vorhaben.

Er hat dem Europäischen Fußballverband UEFA schon so manches Projekt vorgestellt, um dessen Funktionäre zu vertrösten. Die beanstanden, das Stade Josy Barthel erfülle die erforderlichen Normen nicht, um internationale Spiele dort auszutragen. UEFA-Vorsitzender Michel Platini war selbst vergangenen September nach Luxemburg gekommen, um der Öffentlichkeit mitzuteilen, das Josy-Barthel-Stadion sei eines der marodesten, das er je gesehen habe. Dabei geht es bei den Beanstandungen der UEFA nicht wirklich um die Bausubstanz. Was dem Stadion an der Route d’Arlon an Sicherheitsvorkehrungen fehle, sei die Abtrennung der verschiedenen Fanblöcke durch eine fixe Absperrung, erklärt Paul Philipp. Ein Problem, das die FLF derzeit mit einer Kette aus Sicherheitspersonal löst, die sie für die Spieltermine engagiert. Philipp spricht außerdem von einem spezifisch eingerichteten Raum für die medizinische Behandlungen „mit Pritsche und Defillibrator, nicht nur ein Raum, den ein Arzt benutzen kann“.

Davon abgesehen, zeichnet sich laut UEFA-Regeln ein Stadion der Kategorie 4, wie es die FLF braucht, vor allem durch die Anzahl der Ess- und Getränkestände für die Zuschauer aus, braucht Arbeitsräume, Interviewzonen und Übertragungsstudios für die Medien, muss eine vorgeschriebene Anzahl von VIP-Park- und Sitzplätzen haben. Dass die UEFA, die Fernseh-Übertragungsrechte kassiert und umverteilt, Medien und Sponsoren-Vertretern entgegenkommen will, verwundert nicht. Dass die FLF bestrebt ist, die Normen zu erfüllen, hat – von der Drohung der UEFA, keine internationalen Spiele in Luxemburg zuzulassen – auch finanzielle Ursachen. In der Saison 2012-2013 nahm die FLF insgesamt 4,9 Millionen Euro ein. Der mit Abstand größte Geldgeber der FLF war mit rund zwei Millionen Euro die UEFA.

Davon, dass ein solches Stadion keine Leichtathletikanlage haben darf, keine Laufbahnen zwischen Fußballfeld und Zuschauertribüne, steht in den UEFA-Regeln nichts. Das ist ein nicht ganz unwichtiger Punkt – schließlich sahen sowohl das Projekt Liwingen, als auch das Renovierungsprojekt für das Josy-Barthel-Stadion keine Leichtathletikanlage mehr vor. Auf die Frage warum, antworten Sportminister Romain Schneider und Paul Philipp deckungsgleich: „Die neue Generation von Fußballstadien hat keine Laufbahnen zwischen Feld und Tribüne, das ist besser für die Atmosphäre.“ Ob die gute Stimmung sich auch positiv auf die Staatskasse auswirkt, ist augenblicklich noch nicht klar, aber eher unwahrscheinlich. Sein „reines“ Fußballstad­ion wird der Fußballverband für ungefähr 25 Spiele jährlich benutzen. Auch der Rugby-Verband soll das neue Stadion für internationale Spiele nutzen können, das schätzt der Sportminister, wären „zwei bis drei“ im Jahr. Die Kosten für den Bau werden sich die Stadt Luxemburg und der Staat im Verhältnis 30 zu 70 teilen. Am Freitag war die Rede von rund 30 Millionen Euro, allein die Ankündigung dieser Summe war gewagt, denn sie entbehrt jeder konkreten Grundlage. Es gibt keinen Kostenvoranschlag, keine Pläne, lediglich ein Grundstück, dass die Gemeinde gegen Bauland in Cessingen getauscht hat. Ein solcher Neubau werde sicherlich billiger als die Renovierung des Josy-Barthel-Stadions, so Lydie Polfer am Freitag. Koalitionskollegin Cécile Hemmen (LSAP) hatte als Berichterstatterin bei der Parlamentsabstimmung über den 10. Fünfjahresplan für Sportinfrastrukturen, der diese Renovierung explizit vorsieht, erst vor vier Wochen gesagt, sie stelle im Vergleich zu einem Stadion-Neubau eine angemessene Investition dar.

Doch werden die Leichtathleten aus dem Stadion verbannt, brauchen sie eine neue Anlage. Schließlich sind der Leichtathletikverband und der hauptstädtische CSL, der im Josy Barthel trainiert, die Hauptnutzer an der Route d’Arlon. Die Leichtathleten sollen deswegen ins Institut national des Sport (INS) umziehen. Dafür müsste auch dort renoviert werden. Dass der Vorsitzende des Leichtathletikverbandes FLA nichts gegen die Verbannung aus dem großen Stadion einzuwenden hat – „warum?“ – liegt wahrscheinlich auch daran, dass sein Verband beim Umzug ins INS auf Zugewinne in punkto Infrastruktur erhofft. Im Josy-Barthel-Stadion gibt es sechs Laufbahnen, am INS ebenso. Doch die FLA möchte ebenfalls in der Lage sein, internationale Wettbewerbe auszutragen. Dafür braucht sie acht Laufbahnen. Ein solcher Ausbau ist aber auch am INS nicht ohne größere Umbauarbeiten möglich, die über eine reine Instandsetzung hinausgehen. Wie viel das kosten soll, davon ist im 10. Fünfjahresplan keine Rede; weil das INS dem Staat gehört, werden Arbeiten dort aus dem Budget für öffentliche Bauten gezahlt.

So könnte es auch mit dem Velodrom passieren, das bereits im 8. Sportinfrastrukturen-Fünfjahresplan vorgesehen war und, nachdem es aus Kostengründen aus dem Projekt der Coque auf Kirchberg gestrichen wurde, dann auf der ehemaligen Müllhalde in Cessingen geplant wurde. Nachdem das „Velodrom Cessingen“ aus bautechnischen Ursachen – der Untergrund ist instabil – dreimal nachgebessert wurde, belief sich der Kostenpunkt auf 15 Millionen Euro und fiel 2010 dem Sparprogramm der Juncker-Asselborn-II-Regierung zum Opfer. Die suchte daraufhin nach einem neuen Standort; einzig und allein die Gemeinde Mondorf, Heimat der Schleck-Brüder, war bereit, ein Grundstück und Geld für ein Velodrom zu stellen. Die Radpiste soll als Zusatz um das Spielfeld der Sporthalle des dort geplanten Lyzeums entstehen, dessen Bau nach einigem Hin und Her sowohl von der alten wie von der neuen Regierung bestätigt wurde. Der neue Mondorfer Député-Maire Lex Delles (DP), sagte dem L’essentiel erst vergangene Woche nach einer Unterredung mit Bildungsminister Claude Meisch (DP), das sei auch wegen der Synergien in Sachen Sportinfrastruktur eine gute Nachricht.

Synergien ist ein gutes Stichwort, auch für den Staatsrat. Der hatte dem Sportministerium in seinem Gutachten zum 10. Fünfjahresplan ein vernichtendes Urteil ausgestellt. Der Staatsrat bemängelte, es gebe keine Übersicht über die tatsächliche Ausführung der in den Vorgängerplänen angekündigten Investitionen. Beispiel Velodrom: Für die diversen Studien sei bereits eine Million Euro – ohne die Ausgaben der Stadt Luxemburg zu berücksichtigen – aufgebraucht worden, acht Millionen Euro bleiben dafür aus dem 8. Fünfjahresprogramm übrig. Fans eines reinen Fußballstadion sind die Mitglieder des Staatsrates nicht. Ob ein Fußballstadion, in dem die Nationalmannschaft ein halbes Dutzend Spiele jährlich absolviere, ein derartige Investition wert sei, fragten sie. Ob man eine solche nationale Sportinfrastruktur nicht so ausrichten solle, dass auch andere Sportarten sie nutzen könnten? „Vu la volonté affichée des auteurs du projets de réaliser un vélodrome, un stade national de football et un nouveau stade d’athlétisme, le Conseil d’État pose la question de savoir si la perspective de regrouper en un même lieu ces trois infrastructures nationales ne mériterait pas une étude plus approfondie tout en tenant compte des coûts de fonctionnement futurs, ceci dans le contexte des contraintes budgétaires qui s’annoncent pour les années à venir“, heißt es im Gutachten.

Mehr noch als die Ankündigung des neuen Standorts an sich überrascht deshalb, dass außer dem Staatsrat, Jean Regenwetter und dem Initiator der Kockelarena, René Kollwelter, kaum jemand in Frage stellt, ob die gute Atmosphäre im Stadium derartige Investitionen rechtfertigt, ohne zu analysieren, ob es eine kostengünstigere Alternative gibt, die den Anforderungen mehrere Sportverbände Rechnung trägt. Umso mehr, weil ausgerechnet die neue Dreierkoalition den Haushalt unbedingt sanieren und die öffentliche Verschuldung unter dem Limit von 30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes halten will, deshalb alle Ausgaben „screent“ und auch sonst erst einmal alles „analysiert“, beziehungsweise „auditieren“ lässt. Erst Anfang der Woche bedauerte die liberale Kulturministerin Maggy Nagel gegenüber dem Radio 100,7, das Projekt für die neue Nationalbibliothek, von ihrer Fraktion vergangenes Jahr mitgetragen, sei mit 120 Millionen Euro Budget zu teuer. Sie habe „Bauchschmerzen“ beim Gedanken daran, dass solche Gebäude in Zukunft mit derartigen Budgets veranschlagt würden, und bemängelte, dass das Nationalarchiv nicht in die Bibliothek integriert wurde. Ob sich aus einem Fußballstadion politisch mehr Kapital schlagen lässt als aus einer Bibliothek?

Für die Route d’Arlon sagt die Hauptstadtbürgermeisterin nach Verschwinden des Stadions eine wunderbare, wenn auch noch ferne Zukunft voraus. Wenn das Stadion abgerissen werde, so Polfer, das Recycling-Center, der Hygienedienst und die Berufsfeuerwehr umgezogen seien, könne das mehrere Hektar große Areal für den Bau neuer Wohnungen genutzt werden. Ein Projekt, das die Gemeinde ihrer Vorstellung nach selbst in der Hand halten sollte, statt die Grundstücke einfach zu verkaufen, um den höchsten Preis zu erzielen. Konkrete Pläne für den Umzug der Feuerwehr, sowie für Recycling- und Hygienedienst, für die ein Alternativstandort am Stadtrand gesucht wird, „hofft“ Polfer noch im Laufe dieses Jahres vorstellen zu können. Erschwinglichen Wohnraum in bester Stadtlage zu schaffen – angesichts der Miet- und Immobilienpreisentwicklung, die, so der allgemeine Konsens, die CSV durch ihre Untätigkeit zu verantworten hat, daraus lässt sich sicherlich politisches Kapital schlagen. Kurios nur, dass, als die Hauptstadt riskierte, das nationale Fußballstadion an die Landgemeinde Roeser zu verlieren, vom Abriss des Josy-Barthel-Stadions, um Platz für Wohnraum zu schaffen, nicht die Rede war.

Michèle Sinner
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