So habe sie sich das nicht vorgestellt, gibt Taina Bofferding unumwunden zu. „Ich dachte, wir würden mehr Zeit haben, um zu diskutieren.“ Die LSAP-Abgeordnete spricht von der geplanten Umsetzung einer Brüsseler Direktive in Sachen Antidiskriminierung. Der Gesetzentwurf mit dem sperrigen Titel geht alle Bürger an – und zeigt einmal mehr, wie die blau-rot-grüne Regierung, angetreten als gesellschaftliche Modernisiererin, es versäumt, wichtige Grundrechte wirksam zu verbessern.
Konkret geht es bei der Umsetzung der EU-Direktive aus dem Jahr 2014 darum, die Nationalität als rechtlich einklagbaren Diskriminierungsgrund aufzunehmen. Dass Menschen ohne Luxemburger Pass, die sich hierzulande um eine Wohnung oder einen Job bewerben, Steine in den Weg gelegt bekommen, weil sie nicht die „richtige“ Nationalität haben, hatte das Centre pour l’égalité de traitement (CET) in seinen Berichten wiederholt angeprangert. Immer wieder werden nicht-luxemburgische Bürger im Zentrum vorstellig, weil sie sich diskriminiert fühlen.
Die Forderung lautete daher, Nationalität als Diskriminierungsgrund neben Geschlecht, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung und Religion ins Antidiskriminierungsgesetz von 2006 aufzunehmen und so die Umsetzung der Freizügigkeit von EU-Arbeitnehmern zu verbessern. Im selben Arbeitsgang soll die dem Familienministerium zugeordnete Gleichstellungsstelle dem Parlament unterstellt und so ihre Unabhängigkeit gestärkt werden. Doch Luxemburg, das sich gern als EU-Musterschüler sieht, hinkt hinterher, die Frist für die Umsetzung lief am 21. Mai ab, dem Land droht bei Nichtumsetzung ein Vertragsverletzungsverfahren.
Das CET ist Anlaufstelle für jene, die sich Opfer einer Diskriminierung wähnen. Sie soll sie über ihre Rechte aufklären und sie beraten. Viel mehr als Berichte zu schreiben und Empfehlungen auszusprechen, kann sie aber nicht: Anders als andere EU-Gleichstellungsstellen hat der Luxemburger Gesetzgeber das CET nicht nur mit einem dürftigen Budget (rund 90 000 Euro jährlich; für die neue Mission sind zusätzlich 67 000 Euro veranschlagt) und kaum Personal (1,5 Stellen, künftig zwei) ausgestattet, vor allem aber hat es kaum nennenswerte Befugnisse oder Weisungskompetenzen. So kann das CET nicht, wie die Ombudsfrau, Auskünfte von Verwaltungen, Firmen oder Vermietern verbindlich einfordern, denen Diskriminierung vorgeworfen wird. Auch rügen oder Geldstrafen androhen im Falle einer nachgewiesenen Benachteiligung kann die Gleichstellungsstelle nicht. „Statt nun die Gelegenheit zu nutzen und die Schwächen des Gesetzes von 2006 nachzubessern, wird nur das absolute Minimum getan“, ärgert sich Taina Bofferding. Die Sozialisten hatten vorgeschlagen, ein soziales Kriterium im Katalog aufzunehmen, um so eine Handhabe gegen Diskriminierungspraktiken beispielsweise von Vermietern zu haben, die nicht an ärmere Bewerber (Großfamilien, Alleinerziehern, Flüchtlinge) vermieten wollen. „Das ist ein echtes Problem“, pflichtet ihr Parteikollege Fränz Fayot bei.
Doch in der Sitzung des parlamentarischen Fami-
lienausschusses vom 22. Mai wurde ihr Anliegen abgebügelt. Man wolle die Direktive rasch umsetzen, hieß es vom zuständigen DP-geführten Familienministerium und so steht es auch im Motivenbericht. Dabei scheint den Autoren und Berichterstatter Gilles Baum (DP) die Meinung der Instanz, die die Reform betrifft, egal zu sein. Weil seine Meinung vom Gesetzgeber nicht gefragt wurde, hat sich das Zentrum für Gleichbehandlung selbst mit einer Stellungnahme beauftragt. Sein klares Bekenntnis, das CET sei grundsätzlich bereit, Diskriminierungsopfer vor Gericht zu vertreten, taucht im Entwurf überhaupt nicht auf.
Gefragt nach den Gründen für diese Lücke, sagt Gilles Baum, Präsident der Familienkommission, das CET habe die Forderung nicht gestellt. Es stimmt, dass das CET aus organisatorischen Gründen in seinen Jahresberichten kein volles Klagerecht gefordert hat; es verlangte aber stets eine „Erweiterung der Interventionsbefugnisse“. Im Gutachten zum Entwurf steht unmissverständlich, dass das CET durchaus bereit ist, stellvertretend vor Gericht zu ziehen – sofern es die notwendigen Mittel dazu erhält. Unterstützt wird das Zentrum darin von der Menschenrechtskommission. Um das zu wissen, muss man diese Stellungnahmen aber lesen. Die Ausländerorganisation Asti, die über ein solches Klagerecht verfügt, hat sich ebenfalls mit dem CET solidarisiert und ein eigenes Gutachten zum Entwurf verfasst, das sie den Abgeordneten zugeschickt hat; auf der Parlamentsseite ist es gleichwohl nicht zu finden. Darin begrüßt die Asti, dass künftig die Nationalität als Diskriminierungsgrund aufgenommen wird, bemängelt aber zugleich, dass ausgerechnet jener Instanz, die sich um Diskriminierungsopfer kümmert, ein Klagerecht weiterhin verwehrt bleibt. Vom Land darauf hingewiesen, sagt Baum lapidar, er habe dazu vom Familienministerium nichts gehört.
Dafür dass mit dem Antidiskriminierungsgesetz etwas nicht klappt, dass eklatante Lücken in der Um- und Durchsetzung klaffen, gibt es seit Jahren zahlreiche Hinweise: Nicht nur in den Jahresberichten des CET, auch in Berichten, die Luxemburg zur Kommission nach Brüssel schickt, muss das Land regelmäßig passen, wenn es darum geht, konkrete Erfolge im Kampf gegen diverse Benachteiligungsformen nachzuweisen: Die meisten Antidiskriminierungsbestimmungen wurden bisher nie vor Gericht getestet und ergo auch nicht durchgesetzt.
„Selbstverständlich gibt es hierzulande Diskriminierung. Die Fälle landen nur nicht vor Gericht“, ist sich Taina Bofferding sicher. Der Länder-Bericht Non discrimination Luxembourg von 2016 nennt zwei mögliche Gründe: Den Opfern fehlten „die finanziellen Mittel und viele Menschen kennen die Diskriminierungsgesetze kaum“. Joël Delvaux von der Gewerkschaft OGBL nennt einen weiteren Grund: „Will ein Arbeitgeber vor Gericht klagen, muss er in einem so kleinen Land damit rechnen, dass sich das schnell herumspricht und er als Troublemaker gilt. Danach findet er vielleicht keine Anstellung mehr. Deswegen schrecken viele vor einer Klage zurück.“ Prozesse kosten Geld und einem Arbeitgeber bewusste Benachteiligung nachzuweisen, ist gar nicht so einfach.
Eben deshalb sei es wichtig, schreibt die Menschenrechtskommission in ihrem Gutachten, dem CET mehr Gewicht zu geben – mit einem Klagerecht, wie das im benachbarten Belgien der Fall ist. Die dortige Gleichstellungsstelle unterstützt Opfer vor Gericht und kann stellvertretend klagen. Doch als die CET-Forderung von der LSAP im Ausschuss aufgegriffen wird, wird das Anliegen prompt zerfleddert: Weil die Gleichstellungsstelle künftig dem Parlament zugeordnet werde, sei sie keine juristische Person und könne daher nicht klagen, so der Einwand. Die Grünen, die sich als Bürgerrechtspartei geben, äußern sich laut Sitzungsbericht dazu gar nicht erst. Die Forderung wird abgeblockt. Die Opposition ist auch keine Hilfe: Es sind die Juristen der CSV, die rechtliche Bedenken vortragen. Das ist insofern kohärent, als es Justizminister François Biltgen (CSV) war, der dem CET vor Jahren kein Klagerecht einräumen wollte mit der Begründung, zunächst lieber Erfahrungen anderer Organisationen und Verbände abwarten zu wollen, die ein solches Klagerecht haben. Das sind beispielsweise Info Handicap, die Asti oder der OGBL. Der christlich-soziale Minister fürchtete eine Antidiskriminierungs-Klagewelle.
Sie ist bis heute ausgeblieben. Lediglich die Asti hat, so teilte Laura Zuccoli dem Land vor Monaten mit, von ihrem Recht Gebrauch gemacht und als Nebenklägerin eine Rassismus-Klage unterstützt. Damals ging es um Hasskommentare gegen Ausländer auf Facebook.
An fehlenden Fällen kann es nicht liegen. Im vergangenen Jahr bearbeitete das CET 106 neue Beschwerden. Im Behindertenbereich steigt die Zahl der gemeldeten Benachteiligungen stetig. Laut Gesetz sind sowohl öffentliche als auch Privatbetriebe verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz von Menschen mit Behinderungen einzustellen. „Eine Diskriminierung bei der Jobsuche nachzuweisen, ist nicht einfach“, sagt Joël Delvaux, Behindertenbeauftragter beim OGBL. Oft sind die Bewerber nicht bekannt, da falle der Nachweis, dass ein anderer die Stelle trotz gleicher Qualifikation bekommen hat, schwer. Auch Benachteiligungen am Arbeitsplatz nachzuweisen, etwa beim behindertengerechten Umbau, ebenfalls gesetzlich vorgeschrieben, sei schwierig. „Es gibt zu wenige Kontrollen“, ärgert sich Delvaux. Der Gesetzgeber verlangt „aménagements raisonnables“ – und das sei „Interpretationssache“.
Genau das aber ist die Aufgabe von Musterprozessen: Einmal durch alle Instanzen zu klagen und so Klarheit und Rechtssicherheit für die Betroffenen zu schaffen. Doch bisher hat jedoch kaum eine der zuständigen Organisationen von ihrem Klagerecht Gebrauch gemacht. Manch einer munkelt böse, das habe damit zu tun, dass die meisten Organisationen staatlich finanziert werden: Die Hand zu beißen, die einen füttert, schickt sich nicht. Deshalb wäre die Reform jetzt ein guter Zeitpunkt, ein Klagerecht für Musterfälle für das CET einzuführen und dem Papiertiger so echte Krallen und Zähne zu geben: Durch die Anbindung des Zentrums ans Parlament wäre es finanziell losgelöst von der Exekutive. Und könnte so unabhängiger agieren, wenn es darum geht, etwa Diskriminierungen beim Staat nachzugehen.
Eben das ist politisch augenscheinlich nicht gewollt. Statt die historische Chance zu ergreifen und ein schlagkräftiges Antidiskriminierungsinstrumentarium zu erstellen, begnügt sich die Regierung mit Dienst nach Vorschrift. So schreibt sich unter Blau-Rot-Grün das Stiefkind-Dasein des CET fort: Schon seine Entstehungsgeschichte war von politischem Desinteresse und Nachlässigkeit geprägt, die entsprechende EU-Richtlinie wurde mit Jahren Verspätung umgesetzt und ohne großen Ehrgeiz. Nicht einmal eine Evaluation, um zu prüfen, ob die Instrumente wirksam Diskriminierungen bekämpfen, sah der Gesetzgeber vor. In Belgien legte Unia (vormals Centre interfédéral pour l‘égalité des chances) im Februar 2017 eine 120-seitige Analyse des Rassismusverbots und des Antidiskriminierungsgesetzes vor; in einem zweiten Schritt sollen insbesondere Verbesserungen beim Zugang zur Justiz (Prozesskosten) und bei der schwierigen Beweisführung erfolgen. In Luxemburg schreibt sich die Gleichstellungsstelle seit Jahren die Finger wund. Alle Jahre wieder wird auf eklatante Schutzlücken der Antidiskriminierungsgesetzgebung hingewiesen und trotzdem geschieht … nichts. Ein Schicksal, das das Zentrum mit anderen Organisationen, wie die beratene Menschenrechtskommission oder dem Comité du travail féminin, teilt. So bleibt etwa der umstrittene Begriff der „Rasse“ im abgeänderten Text, eine vom CET angeregte ausdrückliche Erwähnung der Diskriminierung von Trans- und Intersexuellen wird ebenfalls nicht aufgenommen.
Zu verbessern gebe es neben einem Ausbau der Kompetenzen des CET noch mehr: So können in Luxemburg statistische Daten nicht zur Beweisführung herangezogen werden. Bei Verdacht auf Lohndiskriminierung oder mangelnde Aufstiegschancen aufgrund des Geschlechts beispielsweise können dies wichtige Indizien sein. Zwar beschloss die zuständige Kommission noch Ergänzungen zum Text, so wird ausdrücklich festgehalten, dass Mitglieder des Parlaments und der Regierung, sowie Staats- und Gemeinderäte kein Mandat beim CET übernehmen dürfen; das war’s aber auch schon. Das Argument, das Gesetz zügig verabschieden zu wollen, überzeugt auch deshalb nicht, weil, wie Berichterstatter Gilles Baum selbst zugibt, die Änderungen aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr vor der Sommerpause zur Abstimmung kommen werden, weil insbesondere die Gesetzentwürfe, die die Schule betreffen, „absolute Priorität“ haben.