Debatten um Communautés urbaines

Jede Menge Politik

d'Lëtzebuerger Land vom 17.12.2009

Werden in Luxemburg städtische Gemeinschaften entstehen? – Vermutlich nicht so viele, wie Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) sich vorstellt. Dabei hat der Minister seine Vorstellungen von Communautés urbaines immer weiter entschärft. Zwar wird erst jetzt über einen Gesetzentwurf diskutiert und der Gemeindeverband Syvicol verabschiedete Ende Oktober ein kritisches Gutachten dazu. Im Gespräch sind die Communautés urbaines aber, seit Halsdorf 2006 sein Territorialreformkonzept vorlegte. Damals sollte in Ballungsgebieten mit mehr als 20 000 Einwohnern eine Commu-nauté urbaine noch Pflicht sein. Das Prinzip zu kippen, gelang später der DP im parlamentarischen Sonderausschuss „Territorialreform“.

Das avant-projet zum Gesetzentwurf, das Halsdorf 2008 zur Diskussion stellte, ging ebenfalls weiter als die heutige Endfassung: Communautés urbaines sollen öffentlich-rechtliche Einrichtun-gen sein, die die Gemeinden einer Agglomeration gründen und an die sie Schlüsselkompetenzen abtreten. Dass darunter auch der Bebauungsplan fallen sollte, rührte für die meisten für eine Communauté urbaine in Frage kommenden Gemeinden derart an der kommunalen Autonomie, dass 2008 sogar während der Sommerfe-rien Gemeinderäte Resolutionen gegen den Vorentwurf verabschiedeten (d’Land, 29.08.2008).

Heute ist die Lage nicht wirklich anders: Im fertigen Gesetzentwurf ist keine Rede mehr vom „Bebauungsplan der Gemeinschaft“, sondern von einem „integrativen Entwicklungskonzept“, dem sich die kommunalen Bebauungspläne anschließend anzupassen hätten. Nicht alle Syvicol-Mitglieder finden das gut. Und darüberhinaus finden manche, jegliche Kompetenzübertragung an die Communauté gesetzlich vorzuschreiben, gehe zu weit. So dass der Gemeindeverband ein Gutachten herausgab, das Dissens enthielt.

Da das Instrument ohnehin freiwillig ist, geht es um eine Menge Politik: Der Einwohnerzahlvorgabe wegen, kämen für Communautés urbaines nur die Hauptstadt, Esch/Alzette, Differdingen und Düdelingen mit ihrem Umland in Frage. Nicht zu vergessen das Nordstad-Projekt der sechs Gemeinden um Diekirch und Ettelbrück. Doch nur dort wird eine solche Communauté regelrecht gewünscht, weil man sich nach dreijähriger Diskussion auf einen Masterplan für alle sechs Kommunen geeinigt hat. „Um ihn zu exekutieren, brauchen wir eine Communauté urbaine“, sagt der Ettelbrücker Bürgermeister Jean-Paul Schaaf (CSV).

Dagegen wäre heute wie 2008 den Gemeinden im Speckgürtel der Hauptstadt eine möglichst schwache Communauté urbaine am liebsten: „Wir arbeiten gern in Gemeindesysndikaten“, sagt der Bartringer Bürgermeister Frank Colabianchi (DP). Mit dieser Ansicht, die nur ein anderer Ausdruck für die Befürchtung ist, von der Gemeinschaft sei es nur noch ein kleiner Schritt zur Eingemeindung in Luxemburg-Stadt, steht er nicht allein.

Im Süden könnte vielleicht am ehesten im Korntal eine Communauté urbaine entstehen. Zumindest erklärt Claude Meisch (DP), der Bürgermeister der in der Agglomeration größten Gemeinde Differdingen, es werde „immer intensiver“ zusammengearbeitet, „und dass wir eine Communauté urbaine gründen könnten, will ich nicht ausschließen“. Dagegen treibt die Escher Bürgermeisterin Lydia Mutsch (LSAP) ein grenzüberschreitendes Bündnis mit den sieben Gemeinden im französischen Pays Haut Val d’Alzette sowie mit Schifflingen, Sassenheim und Monnerich voran. Und in Düdelingen hat Alex Bodry (LSAP) bereits 2006 ein lockeres Bündnis mit Bettemburg, Kayl, Rümelingen und Roeser geschmiedet und fragt sich, „ob wir wirklich neue Strukturen schaffen müssen“. Andere Süd-Bürgermeister finden, man sei längst so weit, wie der Gesetzentwurf will: „Mehr Kooperation im Transport? Wir haben doch den Tice!“

Für die LSAP müssen Communautés urbaines eine besondere politische Herausforderung sein. Lockere Bündnisse wie das um Düdelingen und Bettemburg sind leicht zu bilden, wenn man in der sozialistischen Familie bleibt. Dem gegenüber enthält eine Commu-nauté urbaine einen Vorzug – Verbindlichkeit, die eine Menge wert ist im neoliberalen Standortwettbewerb. In so einer Gemeinschaft aber könnten sich die Kräfteverhältnisse mit jeder Gemeindewahl ändern. Und ein Austritt wäre noch schwieriger als aus einem Gemeindesyndikat und nur möglich über eine großherzogliche Verordnung, Gutachten des Staatsrats inklusive. Das muss nirgendwo so große Bedenken auslösen wie bei der LSAP im von ihr noch dominierten Südbezirk, der dicht besiedelt ist und den sie als Gegengewicht zur nationalen Stärke der CSV versteht.

Vielleicht hoffen deshalb in der LSAP nicht wenige, der Staatsrat könnte den Gesetzentwurf mit Verfassungsbedenken stoppen. Solche Bedenken sind nicht unwahrscheinlich, denn der Präsident und die Mitglieder der Versammlung einer Communauté urbaine würden von den Gemeinden lediglich entsandt. In Frankreich, wo es Communautés urbaines seit 1966 gibt, wurde vor zwei Jahren beschlossen, Präsident und Ratsmitglieder der Gemeinschaften ab 2014 direkt zu wählen.

Ein wenig ging auf diesen Aspekt der Communautés urbaines auch der Syvicol ein, der in seinem Gutachten anfragt, ob der Beitritt zu einer Communauté urbaine nicht über ein Referendum führen sollte. Am Ende müsste die neue Körperschaft doch als neue Verwaltungsstruktur diskutiert werden, wie sie bisher keiner zu wollen erklärt.

Peter Feist
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