Nicht alle wohlhabenden und einflussreichen Individuen vertragen es, wenn Journalisten ihre Arbeit verrichten. Vor allem nicht, wenn sie sich von ihnen auf den Schlips getreten fühlen. Bei den sich häufenden, sogenannten Strategic lawsuits against public participation (Slapps) ist stets ein ähnliches Muster zu beobachten: Disproportionaler Druck wird aufgrund einer vom Kläger als rufschädigend empfundenen Aussage auf Journalisten oder NGOs ausgeübt. Dies passiert etwa durch multiple Eilverfahren, die zu einer Verlängerung des juristischen Hin und Hers führen, obwohl keine Dringlichkeit besteht. Die Kläger fordern meist, dass der Paragraf oder Sätze zurückgezogen werden. Auch liegen die Summen, die gefordert werden, mindestens im fünf-, oft im sechsstelligen Bereich. Das Ziel liegt in der Einschüchterung des Angeklagten und seiner letztlichen Ruhigstellung. Im April wurde eine Anti-Slapp Direktive im EU-Parlament unterschrieben, um Journalisten besser gegen dieses Vorgehen zu schützen.
Seit Anfang des Sommers klagt der Betreiber der Kinderkrippen-Kette L’enfant roi, dem elf Crèches und eine Tagesstätte gehören, gegen Reporter. Grund sind vier Paragrafen eines Artikels, der die Qualitätsstandards von Kindergärten und die staatliche Kontrolle durch das Bildungsministerium thematisiert. Dabei kommt die Journalistin auch auf L’enfant roi und dessen Geschäftsführer Guillaume Godard zu sprechen. Im März letzten Jahres hatten Angestellte von L’enfant roi mittels einer Petition anonym von ihrem überfordernden Arbeitsalltag berichtet, kurz darauf auch auf RTL. Daraufhin verklagte Godard RTL vor dem Zivilgericht. Ein Jahr später störte er sich am Wortlaut des Artikels auf Reporter, nun klagt sein Betrieb auf insgesamt 250 000 Euro Schadensersatz, sowohl im Eilverfahren als auch in der Hauptsache. Im Dezember soll die erste Anhörung stattfinden. In einem Email-Austausch mit dem Land erklärt Godard, er ginge gegen „des informations fausses et préjudiciables“ vor.
Eine klassische Slapp-Klage. Um einen Rekordwert handelt es sich dabei nicht. Seit fünf Jahren sieht ein weiterer Journalist sich in Luxemburg mit einer Klage über 365 000 Euro konfrontiert. Weitere Angriffe auf die Pressefreiheit: Bernard Thomas, Land-Journalist, der sich noch in einem Verfahren gegen Simone Retter befindet. Die Klägerin fordert 25 000 Euro aufgrund einer „Rufschädigung“ ihres im Jahr 1980 verstorbenen Vaters Paul Retter; im März ist sie in Berufung gegangen. Der Geschäftsmann Gérard Lopez verklagte den damaligen Wort-Journalisten, Pierre Sorlut (heute Land) und verlangte 500 000 Euro im Zivilverfahren. Der Immobilieninvestor Flavio Becca klagte gegen die Reporter-Journalistin Véronique Poujol. Auch Aktivisten sind im Visier: Nachdem Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen gegen die Multinationale Socfin laut wurden, verklagten die milliardenschweren Hauptaktionäre Vincent Bolloré und Hubert Fabri unter anderem die NGO SOS Faim.
Einen Präzedenzfall, in dem ein luxemburgischer Journalist einen solchen Prozess verloren hat, gibt es Land-Informationen nach nicht. Das ist jedoch kein Grund zur Entwarnung. Eher wird es höchste Zeit, den gesetzlichen Rahmen zu setzen, um Journalisten besser zu schützen. Denn diese Verfahren kosten Zeit, Geld und mentale Energie. Ein gutes Beispiel, wie es sonst laufen kann, liefert Italien, das sich weltweit auf Platz 46 im Pressefreiheitsranking befindet, hinter Ländern wie Moldawien, Timor-Leste oder Mauritanien. Dort häufen sich Slapps seit Giorgia Melonis Amtsantritt. Insbesondere politische Akteure, zum Teil Regierungsmitglieder, wollen kritische Stimmen mit ihren Klagen zum Schweigen bringen.
Bis Mai 2026 hat CSV-Justizministerin Elisabeth Margue Zeit, die europäische Anti-Slapp Vorlage in nationales Recht umzusetzen. Bis Ende dieses Jahres will sie einen ersten Gesetzentwurf vorlegen. Was darinstehen wird, darüber schweigt das Justizministerium bisher noch. Der Teufel dürfte im Detail stecken: „Wird die Direktive so übernommen, wird sie den Journalisten nur marginal mehr Schutz bieten“, erklärt der Anwalt Pierre Hurt, der Reporter gegen L’enfant roi vertritt. Denn derzeit definiert der Text der EU, es müsse ein „transnationales“ Element vorhanden sein, damit der Schutz greift. Die Klägerfirma müsse also zum Beispiel im Ausland angesiedelt sein, damit der Journalist in Luxemburg geschützt ist. In Wirklichkeit laufen viele Slapps jedoch innerhalb eines einzigen Staates ab. Ein guter Zeitpunkt für die schwarz-blaue Regierung zu beweisen, wie wichtig ihnen eine freie und unabhängige Presse wirklich ist.