Reichensteuer

Taux d’affichage

d'Lëtzebuerger Land vom 13.03.2015

Am 1. Januar dieses Jahres erhöhte die moderne Sparkoalition von DP, LSAP und Grünen die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte, um unter anderem die Mehrwertsteuerausfälle aus dem elektronischen Handel auszugleichen. Das passte weder ins Konzept der Steuersenkungspartei DP, noch der von einer ökologischen Steuerreform träumenden Grünen oder der LSAP. Letztere hatte ihren Wählern jahrzehntelang erklärt, dass die Mehrwertsteuer von allen Steuern die ungerechteste sei, weil sie den Bankdirektor nicht stärker belaste als den Mindestlohnbezieher, ja, Letzteren sogar stärker, weil er sein ganzes verfügbares Einkommen TVA-pflichtig verkonsumieren müsse.

Um sich die Mehrwertsteuer bis zu den nächsten Kammerwahlen verzeihen zu lassen, hatte die LSAP schon im Wahlkampf 2013 versprochen, die soziale Gerechtigkeit durch die Einführung einer Reichensteuer wiederherzustellen. Das Wahlprogramm kündigte an, „dass ‚breite’ Schultern mehr zur Finanzierung eines solidarischen Gemeinwesens beitragen als ‚schmale’ Schultern: In diesem Sinne werden die Sozialisten eine Reichensteuer einführen“. Doch bei den Koalitionsverhandlungen war den Sozialisten die Einführung einer Reichensteuer nicht weiter wichtig, und ihr ziemlich liberaler Wirtschaftsminister Etienne Schneider kann sich abfällige Bemerkungen über die Reichensteuer seiner Partei kaum verkneifen. So fand sie auch keinen Eingang in das von Unternehmensberatern eingeflüsterte Steuerkapitel des Koalitionsabkommens, in dem es eher um ein steuerlich behagliches Umfeld für HNWI genannte Reiche geht.

Trotzdem fährt jedesmal, wenn die Regierung kurzfristig etwas zu liberale Politik macht, der Präsident oder Fraktionsvorsitzende der LSAP auf den Kirchberg zu RTL und kündigt mittelfristig die Einführung einer Reichensteuer an. Was Oppositionspolitiker wiederum dankbar mit parlamentarischen Anfragen an liberale Minister quittieren, die zuerst antworteten, Vorschläge zu der für 2017 geplanten Steuerreform rangierten unter freier Meinungsäußerung, und dann, dass eine Reichensteuer nicht in Frage komme.

Wie eine solche Reichensteuer aussehen soll, hatte die LSAP schon in ihr Wahlprogramm geschrieben: „Die LSAP hält die Einführung eines Steuersatzes von 45 % ab einem Steuereinkommen von 200 000 Euro in der Steuerklasse 1 bzw. 400 000 Euro in der Steuerklasse 2 für zumutbar, parallel dazu wird der sogenannte Mittelstandsbuckel im Sinne von mehr Steuergerechtigkeit abgeschwächt: Der Spitzensteuersatz wird somit erst bei einem wesentlich höheren Jahreseinkommen als bislang einsetzen.“

Die Reichensteuer soll also ein neuer Spitzensteuersatz sein, der auf die aktuelle Einkommensteuertabelle gesetzt werden soll:

über 200 000 Euro:45 Prozent100 000 Euro bis 200 000 Euro:40 Prozent41 793 Euro bis 100 000 Euro:39 Prozent39 885 Euro bis 41 793 Euro:38 Prozent37 977 Euro bis 39 885 Euro:36 Prozent36 069 Euro bis 37 977 Euro:34 Prozent34 161 Euro bis 36 069 Euro:32 Prozent32 253 Euro bis 34 161 Euro:30 Prozent30 345 Euro bis 32 253 Euro:28 Prozent28 437 Euro bis 30 345 Euro:26 Prozent26 529 Euro bis 28 437 Euro:24 Prozent24 621 Euro bis 26 529 Euro:22 Prozent22 713 Euro bis 24 621 Euro:20 Prozent20 805 Euro bis 22 713 Euro:18 Prozent18 897 Euro bis 20 805 Euro:16 Prozent16 989 Euro bis 18 897 Euro:14 Prozent15 081 Euro bis 16 989 Euro:12 Prozent13 173 Euro bis 15 081 Euro:10 Prozent11 265 Euro bis 13 173 Euro:8 Prozent0 Euro bis 11 265 Euro:0 Prozent.

Allerdings sieht die Reichensteuer der LSAP auf den ersten Blick weit bedrohlicher aus, als sie ist. Denn selbstverständlich sollen Leute mit einem steuerpflichtigen Jahreseinkommen über 200 000 Euro nicht 45 Prozent dieses Einkommens abführen müssen. Nach dem Prinzip der Steuerprogression soll der 45-prozentige Steuersatz lediglich auf der Einkommenstranche erhoben werden, die 200 000 Euro übersteigt. Wer beispielsweise 210 000 Euro verdient, zahlt lediglich auf den 10 000 Euro über dem Schwellenwert 45 Prozent, auf seinen anderen Einkommenstranchen zwischen null und 40 Prozent.

Zudem will die LSAP mit ihrer Reichensteuer den Reichen einen guten Teil der Steuerprogression schenken. Denn im unteren Bereich der Einkommenstabelle steigt der Steuersatz bei jeder um 1 908 Euro höheren Einkommenstranche um ein oder zwei Prozentpunkte. Der „Reichensteuer“ genannte neue Spitzensteuersatz soll aber, ähnlich wie der derzeitige Spitzensteuersatz von 40 Prozent, nicht nach einer 1 908 Euro höheren Einkommenstranche, sondern erst nach einer 100 000 Euro höheren Einkommenstranche fällig werden. Dadurch bleiben die Reichen auf dem Gros ihres Einkommens nicht höher besteuert als ein Teil der Mittelschicht.

Außerdem verspricht die Partei in ihrem Wahlprogramm, dass der Mittelstandsbuckel abgeflacht werden soll, indem der Spitzensteuersatz „erst bei einem wesentlich höheren Jahreseinkommen als bislang einsetzen“ soll. Dadurch würden die Bezieher hoher Einkommen auf den Einkommenstranchen unter 200 000 Euro deutlich weniger Steuern zahlen, so dass die höhere Besteuerung durch die Reichensteuer zu einem wesentlichen Teil ausgeglichen würde.

Schließich ist der von der LSAP für die Reichensteuer vorgeschlagene Steuersatz weit bescheidener, als sein klassenkämpferischer Name vermuten lässt. Mit 45 Prozent liegt er unter dem noch vor 15 Jahren üblichen normalen Spitzensteuersatz und weit unter den historisch höchsten Spitzensteuersätzen. Denn die Geschichte der Einkommensteuer war lange Zeit die Geschichte eines ständig steigenden Spitzensteuersatzes.

Im liberalen Nachtwächterstaat des 19. Jahrhunderts, der wenige Einkünfte für seine geringen Aktivitäten brauchte, war die Mobiliarsteuer auf den Gehältern und Pensionen eine Flat Tax von einem Prozent. Mit dem Entstehen des Sozialstaats und bald dem allgemeinen Wahlrecht wurde 1913 eine einheitliche Einkommensteuer und die Steuerprogression eingeführt, ein von der Einkommenshöhe abhängiger Steuersatz zwischen nunmehr 0,28 und vier Prozent. In den Dreißigerjahren wurde der Spitzensteuersatz bis auf zehn Prozent erhöht, als dem Staat immer neue Aufgaben zufielen. Nach dem deutschen Überfall wurde das deutsche Steuerrecht eingeführt, in dessen Rahmen schon 1938 die Steuern drastisch erhöht worden waren, um die Kosten des Eroberungskriegs zu bestreiten; der Spitzensteuersatz war dabei von 38 auf 54 Prozent heraufgesetzt worden. Der Wiederaufbau, der erstarkende Sozialstaat und die staatliche Intervention in den Goldenen Nachkriegsdreißigern führten dazu, dass der Spitzensteuersatz bis 1966 auf 54 Prozent blieb und anschließend sogar auf den historischen Höchststand von 57 Prozent erhöht wurde. Mitte der Achtzigerjahren setzte dann im Rahmen der Deregulierung der Märkte und des siegreichen Neoliberalismus erstmals seit über einem Jahrhundert die gegenläufige Tendenz ein: Innerhalb von 30 Jahren wurde der Spitzensteuersatz schrittweise von 57 auf 38 und nunmehr wieder 40 Prozent gesenkt.

Als 1990 der Spitzensteuersatz drastisch herabgesetzt wurde, erklärte das Gutachten des parlamentarischen Finanz- und Haushaltsausschusses dies, wie seither bei jeder weiteren Senkung: „La réduction du taux maximum s’impose pour des raisons de comparaison avec l’étranger et profite non seulement aux ménages, mais aussi aux entreprises dépendant de personnes cadres et de la main-d’œuvre qualifiée recrutée à l’étranger.“

Der von der LSAP angedrohte Klassenkampf gegen die Reichen zielt weitgehend auf eine Umverteilung innerhalb einer Klasse, vor allem der kleinen und großen Lohn- und Gehaltsbezieher. Keine Rede geht mehr von der im Wahlprogramm versprochenen „Trendwende“ hin zu „mehr Ausgewogenheit bei der Besteuerung von Arbeit und Kapital“. Seit der Veröffentlichung von Steuervorentscheidungen vergangenes Jahr scheint sogar erstmals eine drastische Senkung des als „taux d’affichage“ heruntergespielten Körperschaftssteuersatzes politisch durchsetzbar. Und sei es der sozialen Ausgewogenheit halber zum Preis einer Reichensteuer, die ebenfalls vor allem ein politischer taux d’affichage wäre.

Romain Hilgert
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