Jugendliche Intensivtäter

Schwierige Lösungssuche

d'Lëtzebuerger Land vom 22.10.2009

Skeptische Töne erklangen auf einer Expertentagung zur geschlossenen Unterbringung jugendlicher Intensivtäter, welche die Association des communautés éducatives zusammen mit der Uni Luxemburg am vergangenen Donnerstag in Walferdingen organisiert hatte. Zwei Tage lang diskutierten Sozialwissenschaftler, Sozialpädagogen, Jugendstrafrechtler und Kriminologen über Chancen und Risiken des Wegsperrens von Jugendlichen in geschlossenen Heimen oder im Jugendstrafvollzug – und ihre Schilderungen geben nicht viel Anlass zu Optimismus. 

So hat sich beispielsweise in den Niederlanden die Zahl der einge-sperrten Jugendlichen zwischen 1983 und 2006 nahezu vervierfacht. Angesichts von Rückfallquoten bei 70 Prozent nach vier Jahren und 80 Prozent nach acht Jahren sei er „sehr pessimistisch“, was die Wirksamkeit der geschlossenen Unterbringung angehe, sagte Ido Weijers, Professor für Jugendstrafrecht am Willem-Pompe-Institut für Kriminalrecht und Kriminologie in Utrecht.

Ähnlich skeptisch äußerte sich der französische Soziologe Christophe Moreau. Er warnte davor, statt den Jugendlichen mehr und mehr die Gesellschaft zu schützen. In den vergangenen Jahren habe die Politik für Millionen Heime und Jugendvollzugsanstalten gebaut, ein Platz in einem Établissement pénitentiaire pour mineurs kostet den Staat pro Tag zwischen 600 und 1 000 Euro, Geld, das nun für die Betreuung und offene Strukturen fehle. 70 bis 80 Prozent der jugendlichen Straftäter würden rückfällig. Es müsse stärker darum gehen, die Geschichte und Lebenswelt der straffällig gewordenen Jugendlichen in den Blick zu nehmen, als einseitig ihre (strafrechtliche) Verantwortung zu betonen, so Moreau. Eine Ansicht, die Philipp Walkenhorst, Professor am Lehrstuhl für Erziehungshilfe und Soziale Arbeit der Uni Köln teilte.

Walkenhorst hinterfragte zudem den gängigen Erfolgsbegriff in der Jugendhilfe: Oft werde nur geprüft, ob der Jugendliche nach der Entlassung wieder aktenkundig, rückfällig, würde. Dabei werde ausgeblendet, dass ein Gewalttäter, der später „nur“ noch kleinere Diebstähle begeht, ein pädagogischer Erfolg sein könnte, so Walkenhorst, der vor falschen Illusionen warnte und für einen „pragmatischeren Ansatz“ in Jugendhilfe und Jugendvollzug plädierte. Aufgrund von Bindungsproblemen, Arbeitslosigkeit und gestiegener Eingangsqualifikationen sei für viele ein Leben nach bürgerlichen Vorstellungen „einfach nicht realistisch“. Es müsse vielmehr darum gehen, (gering bis gar nicht qualifizierte) Jugendlichen auch auf ein „Leben in der Grau­zone“ vorzubereiten – und dies vom Tag seiner Einweisung an.

Viel Stoff zum Nachdenken für die Luxemburger Teilnehmer, hoch-rangige Beamte des Familienministeriums. Ursprünglich waren auch sie gebeten worden, ihr Konzept für die geplante Unité de sécurité zu präsentieren, die einmal jene Jugendlichen aufnehmen soll, die bislang im Erwachsenengefängnis Schrassig untergebracht sind. Doch obschon seit der Verabschiedung des Gesetzes fast fünf Jahre vergangen sind und erste Überlegungen zu einem Konzept schon 2007 zirkulierten, liegt dieses noch immer nicht vor. Das nun soll am 27. November ab 9 Uhr im Justizpalast geschehen. 

Vielleicht aber scheuten die Vertreter aus dem Ministerium auch, sich den kritischen Fragen der Experten zu stellen: Im Land-Gespräch vor zwei Jahren hatte das Ministerium kein Problem darin gesehen, jugendliche Intensivtäter und, beispielsweise, Opfer von familialer Gewalt beieinander zu halten, ein Ansatz, den die Fachwelt als problematisch einschätzt. Auch Bau und Standort – auf dem Ge­lände des Jungenheims Dreiborn – hätten sicherlich zu Diskussionen geführt. Dass Jugendliche von der geschlossenen in die offene Struktur wechseln können, macht pädagogisch Sinn. Aber auch der hermetisch abgeriegelte, millionenteure Gefängnisbau mit Sicherheitszaun und Wachpersonal? Wie wird sichergestellt, dass die geschlossene Unterbringung nicht als Abstellgleis dient, sondern wirklich eine hoch qualifizierte Betreuung bringt – wenn schon herkömmliche Heime Probleme haben, qualifiziertes Personal zu finden? In Luxemburg fehlen Studien zu Behandlung und Rückfallgefahr (nicht nur) von jugendlichen Delinquenten, die Jugendhilfe gleicht insgesamt eher einer Black Box – es fehlen Therapieplätze für schwer verhaltensauffällige Kinder und Jugend-liche, über die Schnittstellen zwischen Schule, Elternhaus und Sozialdiensten ist wenig Fundiertes gewusst. Wie fügt sich das neu geschaffene Office national de l‘enfance in das Gefüge ein?  Immerhin: Der kritische Dialog hat, nach mehreren vergeblichen Anläufen, endlich begonnen. 

Ines Kurschat
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