Luxemburgensia

Kabale und Liebe (zu Büchern)

Der Autor Gast Mannes in seiner Bibliothek
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 09.06.2017

Undankbar ist die Plackerei des Schriftstellers. Fünf Jahre lang hat Gast Mannes nach eigenen Angaben (vgl. d’Land vom 28. 4. 2017) an seinem neuen Buch gearbeitet, historische Hintergründe recherchiert und sich eingelesen, sich in verschiedenste Stile hineinversetzt, ein Register mit Anmerkungen und ein Literaturverzeichnis erstellt – und alle Welt (in Luxemburg) fragt zuerst und zuvörderst nach den letzten zwanzig Seiten, für die weder eine Recherche noch ein Literaturverzeichnis nötig waren. In Der Abschied des Hofbibliothekars präsentiert Mannes acht berühmte Hofbibliothekare aus dem deutschsprachigen Raum und ihr Verhältnis zu den Machthabern, an deren Höfen sie sich verdingten, angefangen bei Leibniz und Kant, bis hin zu Grillparzer und Hoffmann von Fallersleben. Den Abschluss macht ein neuntes Kapitel über den nicht ganz freiwilligen Abgang des ehemaligen Hofbibliothekars der großherzoglichen Bibliothek auf Schloss Berg – also über Gast Mannes selbst, der diese Stelle sechzehn Jahre lang versah. Wer die Kabale wittert, wittert richtig.

Ein unbefangener, gegen das Verlangen nach Hoftratsch immuner Leser wird den Rat eines berühmten Königs beherzigen und am Anfang anfangen1. Er wird sich über die seltsame Betonung der Fiktionalität des Textes wundern, die der Autor dem Werk voranstellt, denn das Interesse einer literarischen Auseinandersetzung mit Lessing oder Grillparzer liegt selbstverständlich darin, dass „Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen“ nicht „rein zufällig“ sind, sondern dass die im engen Sinn fiktionalen Figuren den historischen Persönlichkeiten nachempfunden, also nicht rein fiktional sind. Dazu gehört für Mannes weitaus mehr, als Anspielungen auf Biografie und Werk in seine „Tableaus“ einfließen zu lassen. Er macht sich einen Spaß daraus, die Sprache dieser Persönlichkeiten zu imitieren, etwa wenn Leibniz in gezierter Manier einen halb deutschen, halb französischen Dialog mit der Kurfürstin Sophie von Hannover führen lässt. Erzeugt wird der Schein des Authentischen jeweils durch ein Pastiche, das Erfundenes meist sehr geschickt mit Zitaten aus den Werken der Porträtierten und Aussagen von Zeitzeugen vermischt. Mit Freude am historischen Detail beschreibt Mannes die einzelnen Bibliotheken bis hin zu den Deckenornamenten oder den Hölzern, aus denen die Regale gefertigt wurden, das Wirken der Hofbibliothekare, einzelne bedeutende Anschaffungen, die Bemühung um Ordnung.

Ideeller Fluchtpunkt bleibt dabei das spannungsreiche Verhältnis zwischen Gelehrtem und Fürst, Geist und Macht. Dieses Verhältnis zeigt sich etwa in Bitten um ein vernünftiges Gehalt. Auch kommt es zu Meinungsverschiedenheiten darüber, welche Anschaffungen als sinnvoll anzusehen sind: Prachtausgaben versus wichtige Neuerscheinungen, Unterhaltungsliteratur versus Klassiker. Leser, die nicht Bibliothekar geworden sind und darob in ihrem Leben nichts vermissen, werden aber vor allem die Partien ansprechend finden, die Lebensumstände und intellektuellen Werdegang in den Vordergrund stellen. Das eingängigste Kapitel des Buches ist nicht von ungefähr dasjenige, in dem Mannes Isaac von Sinclair, den Freund und Förderer Hölderlins, über dessen trauriges Schicksal berichten lässt. Da Hölderlin die meiste Zeit nur pro forma in der Hofbibliothek von Bad Homburg angestellt war, erübrigen sich übergenaue Beschreibungen einer entsprechenden Tätigkeit.

Dadurch, dass Hölderlin aus einer Außenperspektive porträtiert wird, kommt das Kapitel außerdem fast ohne die Schwächen aus, die sich in allen anderen Kapiteln manifestieren: Nicht alle erzählerischen Konstrukte, derer sich Mannes bedient, um seine Hofbibliothekare anschaulich zu machen, funktionieren gleich gut. Es wirkt zum Beispiel unnatürlich, wie sich manche der Figuren angeblichen Freunden gegenüber lang und breit über ihre Vita auslassen, die alten Bekannten wenigstens in den Grundzügen vertraut sein müsste. Auch in einer anderen Hinsicht steht die Glaubwürdigkeit der Erzählperspektive auf dem Spiel: Wo Mannes die Bibliothekare in eigener Sache sprechen lässt oder sich einer personalen Perspektive bedient, lässt er den Figuren häufig historisch verbürgte Aussagen von Zeitgenossen aus der Feder fließen. Der Sinn dieses Verfahrens, nämlich der Figur eine größere Komplexität und Glaubwürdigkeit zu verleihen, wird dadurch unterlaufen, dass viele dieser Aussagen wie das plumpeste und eingebildetste Eigenlob klingen, wo die Figur selbst sie von sich gibt.

Dreihundert Seiten später bleibt die Frage, warum es am Ende dieser gelehrten Spekulationen, die Liebhaber der deutschen Literaturgeschichte nicht ohne Erkenntnisgewinn und Vergnügen lesen werden, eines Kapitels über den Luxemburger Hofbibliothekar bedarf. Kapitel für Kapitel bemüht sich Mannes darum, Querverbindungen zwischen den einzelnen Biografien herzustellen, eine Kontinuität von Leibniz bis Hoffmann herzustellen, als handele es sich um eine ehrwürdige Ahnenreihe. Dass er sich selbst – oder einen, der ihm sehr ähnlich ist (man bedenke den Hinweis am Eingang des Buches) – in die Coda setzt, erscheint zunächst nicht nur forciert, sondern auch flagrant unbescheiden. Oder handelt es sich um einen Versuch zur Selbstironie?

Leider tut es das nicht. Statt leicht und unbeschwert gerät der Tonfall dieses letzten Kapitels verbittert und nachtragend. Gerade Luxemburger Leser hätten vermutlich gern mehr über Bestand und Aufbau der großherzoglichen Bibliothek erfahren, über die tägliche Arbeit und die Diskussionen darüber, wie eine größere Öffentlichkeit von dem bisher unzugänglichen Fundus profitieren könnte. Zu diesen Aspekten fasst sich Mannes kurz. Ihm geht es offenbar vielmehr darum, alte Rechnungen zu begleichen und die Gründe für seine Entlassung aus der Bibliothek an die Öffentlichkeit zu zerren. Den Vorwurf der Indiskretion, den er in diesem letzten Kapitel so entschieden von sich weist, muss er sich spätestens mit der Veröffentlichung dieses Buches gefallen lassen.

1 „Begin at the beginning,“ the King said, very gravely, „and go on till you come to the end: then stop.“ (in: Lewis Carroll: Alice’s adventures in wonderland)

Gaston Mannes: Der Abschied des Hofbibliothekars. Kulturhistorische Tableaus. 348 S. Georg Olms Verlag, Hildesheim 2017. ISBN 978-3-487-08593-7.

Elise Schmit
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