Im Wahlkampf bröckeln Fassaden

Kurzlebigkeit

d'Lëtzebuerger Land vom 14.05.2009

Zu den Eigenarten des gegenwärtigen Wahlkampfs gehört die Kurzlebigkeit der sicheren Überzeugungen und der festen Versprechen. Kaum waren die ersten Wahlprogramme verfasst, mussten sie schon umgeschrieben werden.

Wer noch vor wenigen Monaten versprochen hatte, mit sicherer Hand die Staatsgeschäfte zu leiten, die wirtschaftlichen Aussichten zu kennen und die nächsten fünf Jahre bei den Staatsfinanzen aus dem Vollen zu schöpfen, muss heute eingestehen, dass er nicht weiß, wie es in zwei Monaten weitergeht.

Der im Dezember vom Parlament verabschiedete Staatshaushalt sah einen Überschuss von 13,2 Millionen Euro vor. Nach dem Auftritt von Haushaltsminister Luc Frieden diese Woche im parlamentarischen Haushalts- und Finanzausschuss ist nicht mehr auszuschließen, dass es ein Defizit von über einer Mil­liarde wird. Rückblickend lesen sich die einleitenden Seiten 25* bis 27* im Haushaltsentwurf  nur noch wie ein müder Scherz.Die Finanz- und Wirtschaftskrise scheint alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen aufzulösen, alle neugebildeten veralten zu lassen, ehe sie verknöchern können, alles Ständische und Stehende zu verdampfen. Das alles im Rhythmus der jeden Monat pessimistischeren Prognosen über das Schrumpfen des Bruttosozialprodukts.

In seinen letzten Sitzungen diese Woche verabschiedete das Parlament noch im Schnelldurchgang eine Handvoll Gesetze, die pompös „Konjunkturpaket“ getauft worden waren, aber größtenteils leere Hüllen zu bleiben drohen. Drei Wochen vor dem Wahlgang sieht es so aus, als ob die letzten Reste des schönen Scheins gerade noch bis zur Schließung der Wahllokale am 7. Juni um 14 Uhr gewahrt werden sollen.

Das galt bisher für die Wirtschafts- und Haushaltspolitik und somit wohl auch für die Sozialpolitik. Über letztere werden hierzulande Wahlen gemeinhin entschieden, wie die Gewerkschaftskundgebung an diesem Wochenende in Erinnerung ruft.

Doch nun bröckeln auch andere Fassaden. „Nur gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn haben wir Luxemburger in der Welt wirtschaftliches und politisches Gewicht,“ heißt es im Wahlprogramm der CSV. „Europa braucht jedoch auch die geschichtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Erfahrungen Luxemburgs. Daher werden die CSV-Politiker ihr traditionelles Verhandlungsgeschick auf europäischer Ebene einbringen – zum Wohle Europas und zum Wohle Luxemburgs.“

In Wirklichkeit ist Luxemburg inzwischen diplomatisch so isoliert, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Isolierter vielleicht als zu Zeiten des internationalen Widerstands gegen den „Coca-Cola-Satelliten“ oder des vom ersten Bürger des Landes angeführten Klëppelkrich gegen den Atommeiler von Cattenom. Wer sich gestern noch jenseits der Grenzen stolz von konservativen oder sozialdemokratischen Freunden umgeben wähnte, muss heute durch halb Europa reisen, um wenigstens den einen oder anderen Leidensgenossen aufzuspüren.

In ihrer Ratlosigkeit können sich manche Parteien nicht einmal mehr auf einen Wahlslogan einigen. Beschwörend hat die CSV gleich drei verschiedene auf ein Plakat geschrieben: „Dir wielt Är Zukunft. Zesumme wuessen. CSV. De séchere Wee.“ 

Romain Hilgert
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