Fortis-Übernahme

Histoire belge

d'Lëtzebuerger Land du 18.12.2008

BNP kann weder vor noch zurück, nachdem das Brüsseler Berufungsgericht am vergangenen Freitag den unzufriedenen Fortis-Kleinaktionä­ren Recht gab, die gegen die Rettungsaktionen der Bank geklagt hatten. Die Hauptversammlung hätte den am zweiten Rettungswochenende beschlossenen Transaktionen zustimmen müssen, so das Gericht. Deswegen wurden diese bis zum 16. Februar 2009 auf Eis gelegt.

Das betrifft den Verkauf der niederländischen Sparte an den niederländischen Staat, die Verstaatlichung von 50,1 Prozent von Fortis Bank Belgien – 49,9 gehörten Belgien schon nach dem ersten Wochenende – und den Verkauf der belgischen Versicherungssparte an BNP Paribas. Daher kann nun der Verkauf von 75 Prozent von Fortis Belgien und 66 Prozent der Fortis Banque Luxembourg (FBL) an BNP Parisbas nicht, wie geplant, zum 19. Dezember abgeschlossen werden. Falls sich die belgische Regierung nicht an die Auflagen hält, muss sie fünf Milliarden Euro Strafe zahlen, entschied das Berufungsgericht. Angesichts der prekären belgischen Haushaltssituation und der Milliarden, die Belgien bereits in die Rettung seiner Banken investiert hat, dürfte das als Abschreckung ausreichen, damit niemand in Versuchung gerät, den Gerichtsbeschluss zu ignorieren. Und auch BNP dürfte ziemlich sauer sein, zwingt das Gericht die Bank doch, ein normales Geschäftsverhältnis mit Fortis aufrechtzuerhalten, sprich, den Geldhahn offen zu lassen, während sie nicht ins Kapital einsteigen kann.

Am Montag gab sich Budgetminister Luc Frieden gegenüber dem Luxemburger Wort optimistisch, was den Restrukturierungsplan von Fortis Luxemburg betrifft, unterstrich, das Brüsseler Urteil habe darauf keinen direkten Einfluss. Das stimmt nur zum Teil. Wohl steht es der Luxemburger Regierung, die ebenfalls am Montag auf der außerordentlichen Hauptversammlung von FBL ihre Wandelanleihe von 2,5 Milliarden Euro in eine Beteiligung von 49,9 Prozent umwandelte, frei, BNP Paribas davon 16 Prozent zu verkaufen. Den Rest der Aktien, durch die die Beteiligung von BNP an FBL auf rund 66 Prozent ansteigen soll, müssen die Franzosen indirekt, durch den Kauf der belgischen Fortis erwerben. Das geht aber wegen des Ur­teils von vergangener Woche einstweilen nicht. Außerdem setzten die Richter ein Expertenkollegium ein, das unter anderem die finanziellen Rahmenbedingungen für den Verkauf der Filialen der Fortis Bank an BNP Paribas – dazu gehört FBL – untersuchen soll.

Carlo Thill, CEO von FBL, die nun wieder BGL heißt, versicherte am Mon­tag, das Interesse von BNP Paribas sei ungebrochen. Dennoch wollten die französischen Retter anscheinend nicht das Risiko eingehen, eine Minderheitsbeteiligung an der Luxemburger Bank zu kaufen. Schade, denn die darf sich seit der Kapitalerhöhung durch den Staat sicherlich zu den bestkapitalisierten Banken Europas zählen: Die Eigenkapitaldeckungsrate ist dadurch von 10,7 auf 20,6 Prozent (Tier 1) angestiegen, gegenüber acht Prozent, die das Gesetz vorschreibt. Just deswegen dürften die Verantwortlichen von BNP umso lauter mit den Zähnen knirschen. Die eigene Kapitaldeckungsrate liegt Informationen der Wirtschaftszeitung Les Échos zufolge bei 7,6 Prozent.

Das ist aber nicht das einzige surreale Element in der Fortis-Saga. Die belgische Regierung hat am Montag beschlossen, als Drittpartei gegen das Berufungsurteil in Berufung zu gehen. Derweil häufen sich Presseberichte, die Regierung habe Druck auf die Richter ausgeübt, Premierminister Yves Leterme habe zugegeben, dass es Kontakte zwischen seinem Kabinett und der Magistratur gab, die Opposition fordert seinen Rücktritt. Eine Richterin der Berufungsinstanz hatte sich krank gemeldet, als sie das Urteil unterschreiben sollte, und hat gegen ihre Kollegen, die sie zuhause aufsuchten, damit sie doch noch ihre Unterschrift auf die Entscheidung setzen sollte, Klage eingereicht. Derweil habe der Anwalt der Kleinaktionäre, dessen Klienten für den Verlauf der Prozedur auf seiner Adresse angemeldet waren, diese aufgefordert, sich alle Schriftstücke nach Hause schicken zu lassen. Allein die Kosten, um den 2 200 Klienten, darunter Russen, Malteser, Briten, Niederländer und auch Israelis, alle für den Prozess nötigen Dokumente zu übersetzen und zukommen zu lassen, würden sich, wie belgische Medien berichteten, auf über 50 000 Euro belaufen.

Die Aktionä­re der Fortis Holding sollen nun auf ihrer außerordentlichen Hauptversammlung am 19. Dezember erst einmal darüber entscheiden, ob sie die Abstimmung über die Weiterführung der Geschäfte verschieben wollen oder nicht. Am gestrigen Donnerstag traf sich der neue Verwaltungsrat der BGL – mit als Vertretern des Luxemburger Staates Gaston Reinesch, Tom Theves und Jean-Lou Siweck – ein erstes Mal, um den Vorsitzenden zu wählen.

Michèle Sinner
© 2024 d’Lëtzebuerger Land