Erst gab es ein Dutzend Interessenten, dann noch ein halbes. Jetzt gibtes nur noch drei Mutige, die im Angesicht der Gespenster, die ihnen imdata room der Kaupthing Bank Luxembourg begegnet sind, die Fluchtnoch nicht ergriffen haben. Den anderen schlotterten bereits kurz hinterdem Eingang dieses Gruselkabinetts die Knie, denn da mussten sie amRande eines 230 Millionen Euro tiefen Abgrunds vorbeibalancieren.Diese 230 Millionen hatte die seit Anfang Oktober zahlungsunfähigeLuxemburger Kaupthing Bank an ihre Muttergesellschaft in Island überwiesen, und diese Millionen wollen die Luxemburger zurückhaben.
Das, meinen Insider, hatte der isländische Premier Minister Geir Haarde, seinem Amtskollegen Jean-Claude Juncker auch versprochen. Doch dieses Versprechen hat er bisher nicht gehalten. Es sieht auch nicht so aus, als ob er es in nächster Zeit einlösen würde. Am 21. Oktober haben die Isländer die New Kaupthing gegründet. Die neue Bank ist nur auf nationaler Ebene tätig. Alle Gläubiger der Kaupthing Bank, die Anfang Oktober nationalisiert wurde, sollen sich an die britische Filiale der Beratungsfirma Deloitte[&]Touche wenden, welche die Forderungen an die einstige Vorzeigebank Islands verwaltet. Damit müsste sich die Luxemburger Tochtergesellschaft zu den anderen Gläubigern in die Schlange stellen.
Es sieht demnach nicht gut aus für die Kaupthing Luxemburg mit ihrenZweigstellen in der Schweiz und Belgien. Dabei hatten Beobachter gehofft, von den drei zusammengebrochenen isländischen Banken, Landsbanki, Glitnir und Kaupthing, hätte Letztere die besten Chancen auf Genesung – mittels Verkauf an eine andere Bank. Am Montag jedoch eröffnete die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) das Konkursverfahren für die Schweizer Zweigniederlassung, die nun den neuen einprägsamen Namen „Kaupthing Bank Luxembourg S.A., Luxembourg, Geneva Branch, en liquidation par suite de faillite“ trägt.
„Für uns hat sich in nützlicher Zeit keine Aussicht auf Sanierung abgezeichnet“, sagt Tobias Lux von der EBK. „Die Bank war überverschuldet und illiquide.“ Die EBK habe abgewartet, aber es habe sich nichts konkretisiert. Wie es möglich ist, dass die Schweizer Bankaufsicht einer Zweigniederlassung ohne eigene juristische Person den Konkurs eröffnen kann, wenn das restliche Unternehmen noch unter Verwaltung ist, konnte auch er nicht erklären.
Doch wenn Lux sagt, es habe sich nichts konkretisiert, kann er damitnur das Interesse eventueller Käufer der Kaupthing Luxemburg meinen.Die einzige Absichtserklärung, die den Verwaltern der Kaupthing Luxemburg derzeit vorliegt – das seriöse Angebot, von dem Luxemburger und belgische Politiker wiederholt sprachen – fanden die Schweizer demnach unzureichend. Ein festes Angebot gibt es nicht, sagen mit der Sache vertraute Personen, zwei weitere Interessenten seien noch im Spiel, hätten aber nicht einmal eine Absichtserklärung hinterlegt.
Die 230 Millionen, welche die Muttergesellschaft der Luxemburger Einheit schuldet, sind bei weitem nicht das einzige Gräuel im data room der Kaupthing Luxemburg. Als äußerst spannend, so ein Insider, erweise sich auch die Bewertung der Kredite, die an Isländer und isländische Firmen vergeben wurden. Was sind sie noch wert? Können die Kunden angesichts der desolaten Wirtschaftslage in Island ihre Rückzahlungen gewährleisten, und welche Sachwerte unterliegen den Verträgen? Zudem wurden Geschäfte in heimischer Währung getätigt.Der Internationale Währungsfonds hat Island zwar am Donnerstageinen Kredit von 2,1 Milliarden Dollar gewährt. Weitere 3,05 Milliardenkonnten von den skandinavischen Ländern, Russland und Polen geborgtwerden. Haarde gab sich daraufhin optimistisch, dass die isländischeKrone bald wieder frei gehandelt werde könne. Erst dann aber kann im data room der Kaupthing ein Preis auf diese Geschäfte gesetzt werden.
Erschwerend hinzu komme, dass im Kleingedruckten vieler Verträgeeine Zahlungsunfähigkeit als exit clause gelte, so ein Eingeweihter. Willheißen, die andere Vertragspartei kann sofort kündigen. Das gelte auchfür die Kredite, welche die Bank zwecks Refinanzierung bei anderenBanken aufgenommen habe. Nun müsse man erst einmal herausfinden,was die Kreditgeber genau wollen. Natürlich wollen sie ihr Geld zurück,die Frage ist nur, wie schnell. Diese Unsicherheit ist für eventuelle Käuferebenso problematisch wie die Zitterpartie um die Bergung der 230 Millionen Euro aus Reykjavik.
Grundlegender stellt sich überdies die Frage, ob die Bank überhauptnoch überlebensfähig ist. „Sobald die Türen aufgehen, kommt es zumAnsturm auf die Schalter“, meint ein Beobachter. Andere teilen diese Einschätzung. Seit über einem Monat haben die Kunden keinen Zugriffauf ihre Konten. Mit jedem weiteren Tag schwinden die Chancen, dass sie der Bank ihr Erspartes künftig weiter anvertrauen wollen. Dann bliebe der Kaupthing nicht einmal ein Geschäftsfundus. Eine Umfrage unter den Mitgliedern der Gruppe K, einem Zusammenschluss belgischer Kunden, hat zwar ergeben, dass 90 Prozent von ihnen ihr Konto nichträumen würden. Doch das ist bereits zwei Wochen her und diesenTreueeid könnte man auch als Versuch verzweifelter Sparer werten,eventuellen Käufern Mut zu machen.
Dass die Bank übernommen werde, sei noch immer das bevorzugte Szenario der Regierung, hatte Budget- und Schatzamtsminister Luc Frieden diese Woche mehrmals wiederholt. Um den Ansturm der Kunden überhaupt bewältigen zu können, brauchte die Kaupthing, sollte sie ihre Türen je wieder öffnen, aber vor allem Barmittel. Deswegen zerbrechen sich die Beamten im Ministerium derzeit die Köpfe, wie maneinem Käufer helfen könnte, diese zu besorgen. Zum Beispiel durchÜbergangskredite, bis man die Aktiva der Bank zu Bargeld machenkönnte. Sollte die ersehnte Übernahme aber Wunschdenken bleiben,müssten die Kunden möglichst schnell entschädigt werden. Radio100,7 meldete am Dienstagabend, die Association pour la garantie desdépôts Luxembourg, habe in einem Brief an Budgetminister Luc Friedenum Erlaubnis gebeten, mit der Auszahlung beginnen zu können.
Dabei braucht sie dessen Zusage überhaupt nicht. Nur steckt dieAGDL in der Zwickmühle. Drei Monate hat sie ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit, um die Kontoinhaber zu entschädigen. Die Verwalter ihrerseits dürfen laut Gerichtsbeschluss sechs Monate lang nach einer Lösung suchen. Wann soll sie mit der Auszahlung beginnen? Denn einerseits sind die Mitglieder der AGDL nicht besonders scharf darauf, die rund 320 Millionen Euro Entschädigungen – diese Summestellt niemand mehr in Frage – auszuzahlen, weil die wenigsten vonihnen dafür Rückstellungen vorgenommen haben. Und die Bank würdedurch bereits getätigte Auszahlungen als Kaufobjekt nur noch uninteressanter.
Dadurch würde die AGDL zum Gläubiger und müsste ihrerseitsentschädigt werden. Ohne Zahlungen könnte man zumindest nochhoffen, dass die Kunden keine Massenflucht antreten und die Einlagenin der Bank bleiben würden. Die AGDL will sich vom Budgetministerdemnach weniger eine Erlaubnis einholen, als sicherstellen, dass sie durch ihre Überweisungen nicht einen möglichen Übernahme-Deal verpfuscht.
Das Dilemma vertiefen dürfte der Umstand, dass die Mitarbeiter derAGDL sich im Gegensatz zu den Mitgliedern des Einlagensicherungsverbandes tagtäglich mit den geschädigten Kunden und deren finanzieller Misere auseinandersetzen müssen. Und diese drohe immer mehr persönliche Dramen zu provozieren, sagt Martine Bourgeois von der Gruppe K, die am Samstag in Brüssel bei der Demo vor der isländischen und der luxemburgischen Botschaft dabei war. Dort hat sie eine junge Familie getroffen, die vor kurzem ein renovierungsbedürftiges Haus gekauft habe. Das Geld für die Bauarbeiten stand auf einem Konto der Kaupthing. Nun lebe die Familiemit Kindern in einem Haus ohne Heizung mit leckem Dach. Einer alleinerziehenden Mutter sei kürzlich der Job gekündigt worden, dieEntschädigung, einen halben Jahreslohn, hatte sie auf ein Kaupthing-Konto eingezahlt, auf das sie nun keinen Zugriff hat. Ein älteres Ehepaar,das den Erlös aus dem Verkauf ihrer gesamten Güter als Altersvorsorgeauf dem Konto hatte, sei ruiniert, beschriebt Bourgeois die Lage.
„Die Leute sind verzweifelt“, sagt sie, „sie fühlen sich betrogen. Vielerufen bei uns an, erzählen, dass sie nicht mehr schlafen können undSelbstmordgedanken haben.“ Diskriminiert fühlen sie sich, weil manihnen noch nichts ausgezahlt hat, die Entschädigung der Kaupthing-Kunden in Deutschland und Großbritannien über die isländische Einlagensicherung hingegen bereits angelaufen ist. Das empfinden sieals Verstoß gegen die europäischen Verträge, die Gleichbehandlungvorschreiben.
Der Luxemburger Botschafter in Brüssel, Alphonse Berns, wurde am Samstag von der Menge ausgebuht und als Lügner beschimpft. Andere finden seinen Einsatz vorbildlich und hoffen noch darauf, dass die Luxemburger Regierung den Verwaltern hilft, einen Käufer zu finden. Oder aber die Luxemburger und die belgische Regierung, wie versprochen, niemanden im Regen stehen lässt. Nass zu werdendrohen die Kauthing-Kunden dadurch, dass der gesicherte Höchstbetrag erst auf 100 000 Euro angehoben wurde, nachdem ihre Bank zahlungsunfähig war.
Deswegen hoffen die Kontoinhaber, deren Guthaben 20 000 Euroübersteigen, dass der belgische und der Luxemburger Staat für die Differenz aufkommen. Das dürfte noch einmal 300 Millionen Euro kosten, meint ein Kenner. Die müssten notgedrungen aus den jeweiligen Staatskassen gezahlt werden; die AGDL haftet, bis das neue Gesetz am 1. Januar in Kraft tritt, nur bis zu 20 000 Euro.
300 Millionen entsprechen in etwa einem Prozent des Luxemburger Bruttoinlandprodukts. Der Budgetminister müsste sich zu den Gläubigern der Kaupthing Island in die Warteschlange gesellen. Die Vertreter der Gruppe K werden am heutigen Freitag vom belgischen Premierminister Yves Leterme empfangen. Sie deuten das als Zeichen dafür, dass es gute Neuigkeiten gibt. Hier in Luxemburg rechnen Insider allerdings noch nicht mit bahnbrechenden Neuigkeiten zumWochenende.